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Gegenöffentlichkeit und interventionistischer Journalismus

Seit seiner Gründung versucht der ost:blog mit kritischen Beiträgen, als Internet-Plattform, einer der letzten noch existierenden Zeitschriften der DDR-Opposition eine linke Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Der ost:blog ist damit Teil einer Vielzahl von NetzakteurInnen innerhalb der linken Blogger-Gemeinde. Hier werden die Möglichkeiten und Grenzen eines interventionistischen und -im positiven Sinne- parteiischen Journalismus diskutiert und praktisch umgesetzt. In Vergangenheit konnte so u. a die Homo-Ausstellung im deutsch-polnischen Collegium Polonicum vor dem "Aus" bewahrt werden, zweifelhafte Finanzierungsvorhaben und Aktivitäten auf der Deutschen Börse aufgedeckt und verhindert sowie auf prekäre Zustände der deutschen Migrationspolitik hingewiesen werden. Letztgenannter aktueller Fall eines ukrainischen Wissenschaftlers an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), der -mitunter- durch interventionistische Presseberichterstattung vor der Abschiebung geschützt werden sollte, wird nun von Helmut Höge auf einem Blog der taz diskutiert. Am Beispiel der „tageszeitung“ wird die Krise der gegenwärtigen linken Kritik sichtbar.

Noch vor nicht allzu langer Zeit konnten die bürgerlichen Medien bestimmte Themen Todschweigen oder tabuisieren. Durch die Entwicklung des Internets, zahlreicher Bloggs und unabhängiger Internet-Radiostationen steht zumindest allen Interessierten offen, bei Bedarf an wichtige und oft unterschlagene Informationen heranzukommen oder Gegendarstellungen abzurufen.

Interessant ist dabei die Entwicklung die „linke“ Medien über die Jahre gemacht haben. Hat sich die „tageszeitung“ bei ihrer Gründung noch auf das Bedürfnis der Schaffung einer linken Gegenöffentlichkeit berufen, befindet sie sich heute durch ihre Kommerzialisierung, ähnlich wie das französische Vorbild “Liberation“ in einem permanenten Konkurrenz-Kampf mit anderen Medien um „Stories“ und „Schlagzeilen“. Diese Entwicklung hat weder vor kleineren Print-Medien, noch oder insbesondere vor dem Internet halt gemacht. Unter ständigem Druck etwas Besonderes mit „Wiedererkennungswert“ zu bieten werden auch BetreiberInnen mit einem linken Selbstverständnis zu absehbaren Reaktionen gezwungen. Die Präsentation von Bild- und Video- und Audiomaterial gilt hier noch als relativ harmlos.

Es geht vielmehr um die Aufbereitung der Themen. Einige Autoren schrecken auch nicht vor „schlüpfrigen“ Themen zurück. Muss den z.B. so oft über Kindesmissbrauch berichtet werden? Wird dadurch nicht vielmehr der Voyeurismus und die Sensationsgeilheit bedient? Infotainment statt Information geboten? Nicht die Themenwahl an sich ist dabei so zweifelhaft, denn auch über schwierige Themen muss berichtet werden. Das Problem ist vielmehr die Aufmache, mit der sich einige AutorInnen bestimmter Themen annehmen müssen zu glauben um die Einschaltquoten und Zugriffsstatistik zu erhöhen. Dabei verwischen die Grenzen zwischen PR und Journalismus. Linker Journalismus kämpft heute nicht mehr um das "ob", sondern "wie" der Berichterstattung.

Michal Stachura | 26.10.06 14:37 | Permalink