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Polen: Keine Angst vor der "Moral-Keule" der Geschichte

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Präsident Kaczyński unterbricht seinen Urlaub um seinen "Helden" zu ehren
Fot. Krzysztof Karolczyk / AG

Seit der Machtergreifung der Kaczyński-Zwillinge in Polen wird Politik im eigentlichen Sinne nicht mehr geführt. Die in Warschau die Amtsgeschäfte leitende Familie will ihren Kindern eine neue Identität geben und verordnet deshalb einen Geschichtsunterricht der besonderen Art.

Gegenwart ist out. Die Zukunft ist Geschichte. Politiker aller Fraktionen machen mit. Sie sprechen lieber über die „Helden“ des antikommunistischen Widerstandes nach 1945, vermeintliche Kontakte ausgewählter Oppositioneller mit Agenten der Staatsicherheit und machen einen Wettkampf wer schneller und besser ist im „outing“ von Agenten und der „Entlügung“ der Geschichte. Letztere Unterrichtseinheit besteht darin, Antisemiten und polnischen Nazis wegen ihrer kompromisslosen antikommunistischen Haltung Denkmäler zu setzen. Die bisherigen Ikonen der Solidarność-Bewegung, insbesondere Anhänger ihres linken Flügels wie Jacek Kuroń – werden der Zusammenarbeit mit der Staatsicherheit bezichtigt. Zur Feier der Unterzeichnung der Danziger Verträge am 31.08.81 und der Legalisierung der Solidarność wird der damalige Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa gar nicht mehr erwartet. Sein oppositioneller Einsatz ist doch nichts verglichen mit dem der Familie Kaczyński, die sich nie was zuschulden haben lassen kommen. Und nie befleckt wurden durch ein Händeschütteln mit den Kommunisten oder Gesprächen am Runden Tisch 1989.

Zwar erinnert dieser "oppositionelle" Wettbewerb an die west-deutsche Variante „wer ist der größte alt-68“ zwischen Spiegel-Chefredakteur und Kriegsminister Joschka Fischer. In beiden Fällen wird der Wettbewerb ja unter Leuten ausgetragen, die nie Oppositionelle im Sinne von Opposition gewesen sind. Jedoch ist die Tragweite des Wettbewerbs in Polen eine andere. The winner taks it all . Bestimmt wird nicht nur über die Titelseite eines Magazins, sondern über den politischen Tod, Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Diesem Zweck dient auch die jagt nach „Mitarbeitern“ und Spitzeln. In den letzten Jahren wurden immer wieder Listen von angeblichen Agenten der polnischen Stasi veröffentlicht. Zwar befanden sich darauf auch Namen von Stasi-Opfern. Für die rechtsextremen Gurus der Stasi-Jagt wie Antoni Macierewicz und Bronisław Wildstein stehen jedoch nicht die Menschen im Vordergrund, sondern der konservative Kulturkampf, der die bisherigen Machtverhältnisse infrage stellen soll. Die einstigen Ikonen der sog. „friedlichen Revolution“ von 1989 sind in der neuen Leseart Verräter. Der Runde Tisch von 1989 das Fundament für den „moralischen Verfall“.

Wichtig ist nur wer ein Agent der Staatssicherheit SB (Slużba Bezpieczeństwa) [Sicherheits Dienst] gewesen ist, Kommunist bzw. wem man/frau dies vorwerfen kann. Nicht Zukunft sondern Vergangenheit regiert die Gegenwart. Das TV-Zapping ergibt ein gleichgeschaltetes Realitätsbild. Über die 59% der polnischen Bevölkerung, die unter dem Sozialminimum lebt, einer unglaublichen Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen spricht keiner.

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Józef Kuraś, ''Ogień'' (links) mit Bruder Jan Ps. ''Kania''

Nachrichten: Präsident Kaczyński enthüllt in Zakopane ein Denkmal für Józef Kuraś-„Ogień“ [das Feuer]. Das leicht brennbare Pseudonym des Partisanen der BCh (Bataliony Chlopskie) [Bauern Batalione] löst bis heute unter älteren BewohnerInnen der Bergkette Podhale Angst aus. Wenn „Ogień“ im Dorf war und nach jemanden fragte, der kam nicht mehr wieder. Größtes verdienst von „Ogień“ war, dass er 1945 die Waffen nicht niedergelegt hat, sondern die Einheit "Błyskawica“ [Blitz] gründete und die Kommunisten bekämpfte bis er im Februar 1947 umzingelt Selbstmord beging. Kartoffel-Kaczyński ist persönlich angereist um Blümchen niederzulegen. Senile Faschisten der ONR legen ebenfalls einen Kranz nieder. Auf ihrer Homepage schrieben sie: „Zakopane verlasse ich mit gemischten Gefühlen. Stolz und zufrieden, dass eine so für Polen und Podhale verdiente Person endlich entsprechend geehrt wird. Andererseits auch enttäuscht, oder sogar unruhig, dass ein Polen für das „Ogień“ gekämpft hat erst noch kommen muss. Hoffentlich wird die Selektivität der Demokratie uns diese hoffnungsvolle Wartezeit nicht allzu stark stören.“ Zuvor wurden die Faschisten der ONR beim Bürgermeister der Stadt Zakopane empfangen. Sie bekommen ein neues Büro, das die Pfadfinder räumen mussten. Die ONR ist die Nachfolgepartei der gleichnamigen rechtsextremen terroristischen Organisation Obóz Narodowo-Radykalny [Radikal Nationales Lager] das im April 1934 gegründet wurde. Auf ihr Konto gehen mehre Morde an Juden und Linken Aktivisten im Vorkriegspolen.

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Schutzeinheit des Stabes von ''Ogień''. Auf den Pferden: Józef Kuraś (links), seine Frau Czesława Kuraś-Polaczyk rechts) Fot. Zakład Historii Ruchu Ludowego

Aus einem Flugblatt von „Ogień“ nach 1945: „Auf dem Gebiet des Kreises Nowy Targ treiben jüdischen Kakerlaken und die Staatssicherheit ihr Unwesen … Sie haben ihre Arbeit in die Fußstapfen der deutschen Gestapo gesetzt.“ Alles von Kommunisten gefälscht meinen die heutigen Geschichts-Lehrer.

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Czesława Bochyńska, die Witwe von Kuraś wird mit der höhsten polnischen Auszeichung geehrt: dem Order Orła Białego. Sie kämpfte als Partisanin in der Einheit "Błyskawica". Gleichzeitig haben zwei rechtsextreme Abgeordnete der LPR Arnold Masin und Bogusław Sobczak gefordert, dass man die gleiche Auszeichnung für den Oppositionellen Jacek Kuroń zurückzieht. Fot. Józef Figura/Tygodnik Podhalański

Der neue Geschichtsunterricht spricht von kommunistischen Manipulationen wenn die Rede davon, ist dass „Ogień“ in Nowy Targ, Krościenko, Maniowe und Zakopane Menschen nur dafür umgebracht haben soll, dass sie jüdisch klingende Namen hatten. In seinem Tagebuch notiert „Ogień“ am 3. Mai 1946 „Sei gegrüsst Du Maimorgen! In der Nacht Auto mit Juden. Sie sollten über die Grenze gebracht werden. Vor Krościenko in die Gräben. Salcia schreite noch „Herr ‚Ogień’ eine schöne Demokratie machen sie“. Haben ihr die Zunge raus geschnitten“. Damit sich die Frau nicht quält gab ihr der antikommunistische Held einen „Gnadenschuss“. Der Bus fuhr mit kranken jüdischen Kindern nach Rabka. Insgesamt 12 Personen wurden dabei getötet. Nach Angaben der linken Zeitung „Trybuna” (Autor: Andrzej Szymkiewicz, Januar 1997) kamen in Kämpfen mit „Ogień“ bzw. Aufgrund seiner Befehle 300 Wehrpflichtige und Soldaten des KBW (Korpus Bezpieczeństwa Wewnętrznego) [Korps der Inneren Sicherheit]; 68 Stasi- und Partei-Mitarbeiter sowie 33 Juden.

Programm Eins: In der Kinder-Show „Od przedszkola do Opola“. singen Kinder diesmal Militärlieder. Schließlich ist heute der 15. August: der Jahrestag des Wunders an der Weichsel im Polnisch-Sowjetischen Krieg 1920. Die Schlacht ist deshalb so wichtig, weil sie gegen die Kommunisten geführt wurde. Der Moderator Michał Juszczakiewicz fragt die 5 Jährige Sylwia Zientara, was sie uns denn heute vorsingt. „Białe Róże“ [Weiße Rosen] antwortet resolut die kleine und „schießt“ im wahrsten Sinne los:

Kładłam ci ja idącemu w bój – Ich legte dir, der in den Kampf zog
Białą różę na karabin twój, - Eine weiße Rose auf dein Gewehr,
Nimeś odszedł mój Jasieńku stąd, - Bevor du Hänslein losgezogen bist,
Nimeś próg przestąpił, kwiat na ziemi zwiądł. - Noch die Schwelle überschritten hast, verwelkte die Blume.

(…)

Nie rozpaczaj, lube dziewczę nie, - Weine nicht geliebtes Mädchen,
W polskiej ziemi nie będzie mu źle, - In der polnischen Erde wird ihm nicht schlecht sein,
Policzony będzie trud i znój, - Aufgerechnet wird seine Mühe und Aufopferung sein,
Za Ojczyznę poległ ukochany twój. - Für das Vaterland starb Dein geliebter.

Leider kam der Moderator nicht auf die Idee Sylwia zu fragen, ob die beim völkerrechtlichen Überfall auf den Irak gefallenen polnischen Helden-Soldaten auch keine schlechte Erde haben werden. Da stimmt aber schon Zuzanna – kaum älter als 6 Jahre alt – das Lied „Piechota“ [Landwehr] an:

Maszerują strzelcy maszerują - Die Schützen Marschieren
Karabiny błyszczą, szary strój, - Ihre Gewehre blitzen, die Tracht ist grau,
A przed nimi drzewce salutują, - Vor Ihnen salutieren die Bäume,
Bo za naszą Polskę idą w bój! -Weil für unser Polen gehen sie zum Kampf!


Die neue Geschichts-Politik soll mit einem medialen Brain-Wash den neuen Einheits-Polen schaffen. Zu einer Parodie ihrer selbst wird dieser Geschichtsunterricht, wenn Miss Australien, Thailand und Puerto Rico auf ihrer Stippvisite in Warschau als Kandidatinnen für die Miss-World-Wahlen nicht umhin kommen einen Kranz niederzulegen vor dem Grabmal des Unbekanten Soldaten. Das Grabmal ist nationales Symbol und zentraler Ort für alle Gedenkfeierlichkeit.

Vielleicht erleben wir bald, dass Teresa Orlowski geprüfte PornodarstellerInnen nicht anders können als bei ihren Berlinbesuchen auch einen Kranz niederzulegen für die Opfer der innerdeutschern Teilung oder vor dem Holocaust-Mahnmal. Was ist schon dabei, schließlich haben auch die Deutschen endlich ein lockeres Verhältnis zu ihrer Geschichte. Aber da muss die SPD-CDU-Grüne-NPD noch etwas stärker zuarbeiten in dem Bereich.

Michal Stachura | 04.09.06 11:12 | Permalink