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Neo-Faschisten und Hitlergruß leiten nicht nur das Polnische Fernsehen

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Titelseite des Naziblattes "Front", die der Neofaschist Piotr Farfał (heute Stellvertretender Chef des Polnsichen Fernsehens TVP) in den 90er Jahren herausgebracht hat. Der Titel der Ausgabe: "Polen - Fremde Zutritt verboten".

- von Kamil Majchrzak aus Warschau -

Es war ein symbolischer Akt als im Frühjahr dieses Jahres zur feierlichen Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung zwischen den drei neuen Regierungspartnern in Polen nur JournalistInnen des antisemitischen Radiosenders „Radio Maryja“, des TV-Senders „Trwam“ [Bleibe treu] sowie Hof-Korrespondenten der rechtsextremen Zeitung „Nasz Dziennik“ [Unsere Tageszeitung] eingeladen wurden. Die Arroganz mit welcher die neuen Machthaber unverholen ihre kulturelle und politische Revolution vollziehen bildet eine historische Zäsur. Das Ausmaß ist kaum mit Berlusconis Hopser auf die italienischen Medien vergleichbar. Im Gegensatz zu Italien stehen in Polen nicht Werbeeinahmen oder kurzsichtige Machtinteressen im Mittelpunkt. Es geht um die Gleichschaltung des öffentlichen Diskurses und die Begründung einer neuen IV. Republik.

Das Fundament für die diskursive Hegemonie wurde Anfang des Jahres mit dem im Expresstempo verabschiedeten neuen Mediengesetz gelegt. Das Gesetzt wurde im März lediglich in einigen Teilen vom Verfassungstribunal für verfassungswidrig erklärt, dennoch sichert es der regierenden PiS einen 100% Machteinfluss auf den „verschlankten“ Fernsehrat KRRiT. Dieser entscheidet u. a. über die Vergabe von Sende-Frequenzen und TV-Konzessionen sowie das Programm in öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das Gesetzt breitet auch einen Schutzschirm über sog. „Soziale-Sendeanstalten” aus, wovon es in Polen insgesamt elf gibt. Die meisten werden als Diözese-Sender betrieben. Unter ihnen das steuerfreie Imperium von Vater Tadeusz Rydzyk, der neben einer eigenen Journalisten-Universität, seit 1991 auch das ultra-nationalistische Radio Maryja mit seinen 1,2 Mio. ZuhörerInnen führt.

Neuer Vorstandsvorsitzender des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wurde Bronisław Wildstein, der eine besondere Rolle in der Gleichschaltung der polnischen Medien spielt. Zu seinem Stellvertreter und Vizechef des Polnischen Fernsehens wurde der Neofaschist Piotr Farfał ernannt.

Farfał gab in den 90er Jahren die Nazi-Zeitschrift „Front“ heraus. Darin schreibt er: „Wir tolerieren keine Angsthasen, Verräter und Juden. Wir sind die Zukunft – in einer Reihe, stark, erbarmungslos, kompromisslos und jederzeit zum Kampf bereit. Wir sind einfach die besten“. In dem Nazi-Zin findet man auch ein Foto von Farfał mit zum Hitler-Gruß ausgestrecktem Arm. Er habe nur jemand rufen wollen ließ er verkünden als der Skandal vor kurzem aufgedeckt wurde. Das polnische Fernsehen darf er zusammen mit Wildstein dennoch weiterleiten. Es ist noch nicht allzu lange her das sein Gesinnungsgenosse von der neofaschistischen Młodzież Wszechpolska [Allpolnishce Jugend] und heutige Parlamentsabgeordnete Bogusław Sobczak es mit einer ähnlichen Geste auf die Titelseite des Fakt brachte (ostblog berichtete). Der Abgeordnete Sobczak beteuerte er habe nur ein Bier bestellen wollen.

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Die Nazi-Abgeordneter Bogusław Sobczak und Szymon Pawłowski von der LPR "rufen sich nur zu" bzw. bestellen ein ordentliches deutsches Weizen... [Titelseiten des Boulevardblatt "Fakt" vom 29./30.10.05 und 8.12.05]

Die Hitler-Fan-Liste krönt der neue Minister für Meereswirtschaft Rafał Wiechecki (erster von rechts auf einem Foto aus dem Jahre 1997 von der Wochenzeitschrift Polityka, der die polnische Hool-Szene behandelt). Alle drei Nazis stammen aus einer Partei der neofaschistischen Liga der Polnischen Familien (LPR). Ob Minister Wiechecki auch nur einen Freund rufen wollte oder ein Bier im Bahnhofskiosk bestellte ist zur Zeit noch unklar.

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Nazi-Minister Rafał Wiechecki (erster rechts, lesenswert auch seine Reaktion auf einen ostblog-Anruf) diesmal als Widzew-Łódź-Hool mit seinem Kumpels im Jahre 1997 auf der Reise zu einem Fußball-Spiel (Remake auf der Titelseite des "Dziennik" vom 7.05.06)

Als treuer Aktivist des Narodowe Odrodzenie Polski [Nationale Wiedergeburt Polens] schrieb Farfał bis vor kurzem auch Artikel für das NOP-Parteiblatt „Szczerbiec“. Die NOP ist die polnische Sektion der militanten neofaschistischen International Third Position und verfügt über Verbindungen zu „Blood & Honour“-Bewegung.

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Titelseite des Naziblattes "Szczerbiec" (aus dem Jahre 2000) in der Farfał veröffentlicht hat

Der bekehrte konservative Antikommunist Wildstein faszinierte sich noch in den 70er Jahren für die Baaader-Meinhof-Gruppe. „An echte Klassiker konnten wir nur schwer rankommen, also lasen wir Blödsinn. Ich interessierte mich für Max Stirner. Badder-Meinhof? Wir verstanden die Welt nicht und die Propaganda servierte uns ein falsches Bild von Deutschland“ erklärte Wildstein in einem Gespräch mit der Gazeta Wyborcza. Von den jugendlichen Faszinationen blieben offenbar nur die instrumentalisierte Hegemonietheorie Antonio Gramscis und die Sensibilität für Kultur als Mittel der konservativen Revolution.

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"Ein Bier" - Karrikatur von Marcin Skoczek zu den Hitler-Gruß-Skandalen

Der Journalist gilt spätestens seit seinem im Jahre 2000 veröffentlichten Buch-Manifest „Entkommunisierung, die nicht stattfand“ [Dekomunizacja, której nie było] als Synonym eines unerbittlichen Stasi-Agenten-Jägers. Die ausgebliebene Verurteilung und kompromisslose Ablehnung der Volksrepublik sind für den Autor die Hauptursache aller Probleme der III. Republik (1989-2005). Die Schuld an der unzureichenden Verfolgung ehemaliger Kommunisten und der - im Gegensatz zur BRD und Tschechen - ausgebliebenen Dekommunisierung, trägt die liberale Solidarność-Strömung, die Postkommunisten der SLD sowie die neoliberale „Gazeta Wyborcza” und die progressiv katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“. Der Kompromiss zwischen Opposition und Kommunisten, der 1988/89 zum Runden Tisch führte bedeutet für Wildstein die Demontage der angefangenen antikommunistischen Revolution. Die Einigung mit den Kommunisten brachte einen tiefen „moralischen Verfall“ mit sich. Die Hegemonie so hervorgebrachter intellektueller Eliten bestimmte den gesellschaftlichen Diskurs der 90er Jahre. Dieser sei die polnische Antwort auf den westlichen Postmodernismus. Ein Bewies für den Konformismus und die „Relativierung der Werte“ der einst oppositionellen intellektuellen Eliten wie Adam Michnik und Maria Janion die es versäumt haben die Kommunisten zur Rechenschaft zu ziehen. Unmittelbare Folge davon sei die Rehabilitierung der Volksrepublik, die Etablierung einer „amorphen, formlosen Welt, der Gleichberechtigung von Meinungen“ und der Negation der „natürlichen Wertehierarchie. Die Eliten der III. Republik entstanden somit als Fortsetzung der Eliten der Volksrepublik.”

Die von moralischen Begriffen durchzogene Rhetorik von Wildstein führte ihn in unmittelbare Nähe zu Jarosław Kaczyński, den Bruder von Lech Kaczyński. Die geistige Verwandtschaft verhalf Wildstein am 11. Mai Vorstandsvorsitzender des Polnischen Fernsehens TVP zu werden.

Breit angelegte Säuberungsaktionen ließen nicht lange auf sich warten. In einer Nacht und Nebel Aktion wurden im Juli alle acht Leiter der regionalen öffentlich-rechtlichen Radiosender ausgetauscht. Die Beschlüsse wurden nahezu zeitgleich an einem Freitag um 7.00 Uhr früh durchgeführt. Einige Betroffene erfuhren von ihrer Entlassung aus der Presse. Aus dem Polnischen Jugend-Radiosender „Bis” verschwand die beliebte Kult-Sendung „Masala“. „Das war die letzte Bastion der Unabhängigkeit in den polnischen Medien, sowohl was die Musik als auch die besprochenen Themen angeht“ erzählt Przemek Wielgosz von der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique, der einmal im Monat bei „Masala“ politische Ereignisse kommentieren durfte. „Masala“ wurde vom Programm genommen als ihr Leiter Maks Cegielski in seiner Sendung davon sprach, dass „in Polen Faschisten Verbindungen mit der LPR und der Młodzież Wszechpolska [Allpolnische Jugend] aufweisen.“

Personaländerungen sind zwar nach Wahlen nichts ungewöhnliches, jedoch wurden sie noch nie so offen als Ausdruck eines politischen Kulturkampfes betrieben.

Neuer Direktor des Fernsehsenders TVP Kultura wurde Krzysztof Koehler. Koehler ist Mitarbeiter verschiedener rechtsextremer Zeitschriften unter ihnen der fundamental-katholischen „Fronda” und „Arcana”. Kohler ist Dozent an der katholischen Universität von Kardinal Stefan Wyszyński in Warschau. Angefragt nach den Gründen seiner Entlassung antwortete Jacek Weklser, der bisherige Leiter von TVP Kultura der „Rzeczpospolita“: „der Vorstandsvorsitzende [Wildstein] gab keine besondere Begründung an, außer der, dass er ein anderen Fernsehkanal haben will. Das Gespräch dauerte zwei Minuten.“

Auch im Ersten TV-Programm vollzieht sich eine kulturelle Revolution. Drei neue Sendungen sollen den gesellschaftlichen Brain-Wash fortsetzten. Jeden Freitag wird der rechtsextreme Schriftsteller und Publizist der „Gazeta Polska“ [Polnische Zeitung] Rafał Ziemkiewicz eine „Kultur-Show“ unter dem Namen „Ring“ führen. „Wir haben vor Tabus zu brechen, solche Strömungen in der Kultur zu zeigen, die bislang in polnischen Medien nicht vorhanden waren.“ Ziemkiewicz will dabei nach den Ursachen fragen, dass bislang bestimmte Personen prämiert wurden und andere nicht. Diesem Ziel soll auch die neue Sendeeinheit „Łoskot” dienen. „Wir werden den politisch korrekten Stil der Sprache durchbrechen und neue Formen der Expression zu Wort kommen lassen“ so die Leiterin der Kulturredaktion des Ersten Marta Sawicka gegenüber Gazeta Wyborcza.

Die öffentliche Politik Polens wird zunehmend von Politik-Geschichte dominiert und löst sich von der Bearbeitung gegenwärtiger Probleme. Ein neuer Blick auf die Vergangenheit soll den Menschen eine neue Identität geben. Ein neuer Sender soll bald an den Start gehen. Artur Dmochowski, bislang Autor einer minderwertigen Publikation über den Vietnamkrieg wurde zum Leiter ernannt. Er soll den neuen Fernsehsender „Historia“ [Geschichte] aufbauen: „Die Priorität des neuen Kanals liegt in der „Entlügung“ der Geschichte der Volksrepublik und die Verbreitung eines Fundierten Wissens über die polnische Geschichte“.

Anmerkungen:
1.) Hitler-Gruß
Im März 2006 kam die Krakauer Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass die beiden Mitglieder der Młodzież Wszechpolska und LPR-Abgeordneten Bogusław Sobczak und Szymon Pawłowski durch das Ausstrecken ihrer Arme zum faschistischen Hitler-Gruß weder eine faschistische Ideologie verherrlicht noch ihre Anerkennung für Adolf Hitler zum Ausdruck gebracht haben. Aus diesem Grund stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Nazis ein.

2.) Hitler-Gruß die zweite
Im Chat-Forum der Fußball-Hools des IV.Legisten „Sparta Augustów“ finden sich bis heute Einträge des heutigen Nazi-Minister Rafał Wiechecki vom 9. und 18. November 2002 (Nr. 1711: „Na dann werden ihr Scheißer die Stahl-Faust der Nationalen Wiedergeburt Polens spüren“, Nr. 1714: „Iwonchen schluckt nicht runter, sondern verschluckt sich. Außerdem ist das ein so wunderschöner Junge, eine Glatze von NS88“). Die Einträge sind vom damaligen Pressesprecher der neofaschistischen NOP und Młodzież Wszechpolska Rafał Wiechecki unterzeichnet. Darunter findet sich ein Link zur neofaschistischen MW sowie die private Handynummer des heutigen Ministers „0503.086.356“. (war übrigens bis vor kurzem noch aktuell).

Der 27jährige Nazi-Jurist und heutige Minister nahm zwar ab, wollte jedoch mit dem ostblog nicht reden und legte sofort auf.

3.) Volksverhetzung und Hitler-Gruß die dritte
Unterdessen wurde Gazeta Wyborcza von Piotr Farfał wegen Verleumdung verklagt. Farfał sagte, er habe Freunden „vom Hof“ nur seinen Namen ausgeborgt um „nobilitiert zu werden“. Die in dem Nazi-Zin mit seinem Namen signierten Passagen stammen nicht von ihm. Auch er habe mit ausgestrecktem Arm nur einen Freund grüssen oder verabschieden wollen, so genau kann er sich nicht erinnern: „Ich hatte nie vor meine Hand in dieser Intention auszustrecken. Und es ist die Intention die zählt“ sagte er gegenüber Gazeta Wyborcza. Und die in dem Blatt veröffentlichen antisemitischen Texte sowie Hakenkreuze und Zeichnungen von SS-Männern stammen auch nicht von ihm.


Weiterführende Links:
Fronda - gesegneter Faschismus in Polen in telegraph # 111

Michal Stachura | 21.08.06 13:41 | Permalink

Kommentare

Was ich mit meiner deutschen Perspektive in Polen beobachte ist erschreckend! Zum Beispiel gibt in Deutschland kaum jemand zu Antisemit zu sein. In Polen, gerade in ländlichen Gebieten, gibt es ehr eine Minderheit, welche sich nicht antisemitisch äussert. Dazu kommt eine nationale Regierung mit einem negativen Einfluss auf Medien und demnach auf die politische Stimmung. Bleib nur zu hoffen, dass die beschränkten "Politiker" in der nächsten Legislaturperiode nichts mehr zu entscheiden haben. Alles Gute!

Verfasst von: Peter | 08.12.06 00:56

Wir in Polen sind auch besorgt über diese Entwicklungen

Verfasst von: tomek | 27.06.07 09:20

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