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Geheimagent "Joseph" oder die Stasi in Polen

- von Michal Stachura aus Warschau -

Bei einem Treffen zwischen der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen Marianne Birthler und dem Vorsitzenden des Polnsichen Instituts für Nationale Erinnerung (IPN) Leon Kieres wurde gestern in Warschau zwischen beiden Behörden ein Abkommen über Zusammenarbeit unterschrieben. Birthler sagte, es wenden sich immer mehr Polen an die sog. Gauck-Behörde, die erfahren möchten, ob Informationen über ihre oppositionelle Tätigkeit auch durch die Stasi gesammelt wurden.

Das Abkomemn sieht unter anderem die Ermöglichung des gegenseitigen Zugangs zu den Archiven der Stasi und der "SB" sowie die Veranstaltung gemeinsamer Forschungsprojekte vor.

Marianne Birthler überreichte Leon Kieres Photos von Lech Walesa, die während geheimer Trefffen des einstigen Solidarnosc-Führers mit polnischen Oppositionelen gemacht wurden.

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Foto: Karolina Sikorska / AG

Sie wurden durch den Stasi-Agenten "Joseph" gemach, der sich als Journalist ausgegeben hat. Walesa bestätigte gestern in einem Interview für das Polnische Radio "Jedynka", dass er immer schon misstrauisch bei Besuchern aus dem Ausland war und sich auch an einen Fotographen aus der DDR erinnert.

"Joseph" sendete ab Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre an die Zentrale in Ost-Berlin Berichte über die polnische Opposition. Birthler überreichte auch Dokumente, die belegen, dass zwischen den Innenminsterien der VR Polen und der DDR ein Übereinkommen geschlossen wurde, in dem sich die VR Polen dazu verpflichtet keine geheimdienstlichen Tätigkeiten auf dem Territorium der DDR vorzunehmen.

Das Misstrauen zwischen beiden sozialistischen Brüdervölkern kann jedoch nicht so gross gewesen sein. Kieres übergab seiner deutschen Kollegin im Gegenzug Dokumente über die deutsch-polnische Zusammenarbeit der Geheimdienste in den Jahren 1965, 1974 und vom Ende der 80er Jahre.

Unterdessen kämpft Lech Walesa um die offizielle Annerkennung als "Verfolgter des Regimes". Das Verfahren zur Feststellung dieses Status dauert noch an. Bereits im August dieses Jahres finden jedoch die Feierlichkeit zur Gründung der ersten unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc statt. Im Frühsommer 1980 hatte sich nach starken Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel eine Streikwelle über Polen ausgebreitet. Das überbetriebliche Streikkomitee der Danziger Lenin-Werft unter Walesa forderte von der Regierung die Respektierung der Meinungsfreiheit und vor allem das Recht auf Gründung einer Gewerkschaft. Nach langen Streiks wurde am 31. August 1980 in der Danziger Werft ein Abkommen unterzeichnet das die Bildung einer unabhängigen Gewerkschaft möglich machte. Diese wurde jedoch mit der Ausrufung des Kreigszustandes am 13. Dezember 1981 verboten und musste in den Untergrund.

Walesa würde gerne an den Feierlichkeiten bereits als "Verfolgter" teilnehmen. Das IPN will jedoch keine voreiligen Entgscheidungen fällen.
Es besteht zwar kein Zweifel das Walesa kein Mitarbeiter der polnischen "SB" (Sluzba Bezpieczenstwa - Sicherheistdienst) war. Dies wurde nämlich bereits in dem Lustrationsverfahren bei dem Amtsantritt als Präsident der Republik Polen (1990-1995) festgestellt. Das davon getrennte Lustrationsverfahren nach dem Gesetz über die Gründung des IPN, das auch durch diese Institution geführt wird, sieht die obligatorische Kundmachung der Tätigkeit oder des Dienstes für staatliche Sicherheitsorgane oder eine Zusammenarbeit mit diesem in den Jahren 1944-1990, durch Personen die öffentliche Ämter bekleiden vor. In der geselschafts-politischen Wirklichkeit Polens kann jedoch jeder sehr schnell vom Opfer zum Täter werden.

In der Danziger Zweigstelle des IPN werden zur Zeit zwei Verfahren auf Antrag Walesas geführt. Das eine betrifft die Annerkennung als "Verfolgter" und die Gewährung von Akteneinsicht. So will sich Walesa vor rechts-katholischen Attacken des Abgeordneten der National-Katholischen-Bewegung (Ruch Narodowo-Katolicki) im polnischen Parlament Antoni Macierewicz und des ihm im Antisemitismus nichts nahstehenden Radio Maryja wehren. Beide bezichtigen Walesa der Zusammenarbeit mit der SB unter dem Agentennamen "Bolek". Das zweite Verfahren bezieht sich auf die Zusammenstellung von Materiallien gegen Walesa durch die polnsiche SB selbst, um diesen politisch und geselschaftlich bei seinen Aktivitäten als damaligen Oppositionsführer zu diskreditieren.

Das IPN spielt dabei selbst ein unrühmliche Rolle und ist deshalb in letzter Zeit unter Beschuss geraten. Zunächst hat der national-konservative Journalist Bronislaw Wildstein geheime Unterlagen mit Namen von StasimitarbeiterInnen und deren Opfern publiziert. Die Daten wurden vermutlich von einer IPN-Mitarbeiterin von einem IPN-Komputer auf einen USB-Stick kopiert und Wildstein zugespielt worden. Die Liste unterscheidet weder zwishcen vermeintlichen Tätern noch Opfern und stellt alle genannten Personen unter Generalverdacht. Nach der Publikation der Liste von mehreren Tausend Namen begann eine Exkulpations-Veranstaltung, viele in der Liste genannte Personen versuchten sich öffentlich zu ihrem Antikomunismus und so von einer evtl. Mitarbeit mit der polnsichen SB freizusprechen.

Diese Art der Informationsaufbereiteung ist jedoch ein Teil der politischen Wirklichkieit in Polen in der es nicht um Auseinandersetzung mit der Geschichte geht, sondern um in der öffentlich geführten Schlammschlacht um vermeintlichen Volksverrat und politischen Widerstand gegen den atheistischen Feind unwiderlegbare Behauptungen aufstellen zu können.
Wildstein gehört in diesem Kampf einer nationalistisch-katholischen Strömung mit Ausschlieslichkeitsrecht auf Polnisch sein an. In dem katholischen Fernsehsender PULS führt er eine Sendung in der er die Feinde Polens und ihre Gegener ausfindig zu machen glaubt. Die sog. "Lista Wildsteina" ist ihm dabei behilflich.

Wildstein wurde nach seiner Veröffentlichung aus der Redaktion der grossen konservativen Zeitschrift "Rzeczpospolita" entlassen. Vor dem Gebäude demonstrierten damals gegen die Entlassung unter Rufen wie "Die Wahrheit wird uns erlösen", ca. 200 Menschen darunter MitarbieterInnen der fundamentalistisch-katholischen "Fronda", der "Gazeta Polska" und des Gewerkschaftsblattes "Tygodnik Solidarność".

In derseleben Atmosphäre unbelegter bzw. unwiderlegbarer Behauptungen erwähnte der Vorsitzende des IPN Leon Kieres beiläufig - kurz nach dem Tod des polnischen Papstes JPII - die Mitarbeit von dem Dominikaner "Vater Konrad Hejmo", einem engen Mitarbeiter des verstorbenen Papstes, mit dem polnischen Sicherheitsdienst. Der wehrt sich jetzt vergeblich gegen diese Behauptungen.

Der Hexenjagd zum trotz lud diese Woche Lech Walesa seinen einstigen Verhandlungsgegner vom Runden Tisch aus dem Jahre 1989 und derzeitigem Präsidenten Polens Aleksander Kwasniewski zu seiner Geburtstagsfeier ein. Walesa feiert am kommenden Montag seinen 60 Geburtstag in Gdansk und spielt bei den politsichen Auseinadersetzungen in Warschau zur Zeit keine Rolle mehr.

Andere Links:

DRadio Beitrag vom 14.2.2005 Wildsteins Liste
Streit um die kommunistische Vergangenheit spaltet Polens Gesellschaft

Peter Nowak - Liste im Internet sorgt in Polen für Unruhe

Michal Stachura | 08.06.05 10:18 | Permalink