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»Die brutalste Repression in unserer Geschichte«

Die Volksbewegung im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca erholt sich langsam von der Niederschlagung ihres Aufstands vor einem Jahr. Ein Gespräch mit Samuel Hernández Morales und Jaquelina López Almazán

Das Gespräch führten Katharina Morawietz, Emmanuelle Piriot

* Samuel Hernández Morales und Jaquelina López Almazán sind Aktivisten der APPO, der Versammlung der Völker der mexikanischen Provinz Oaxaca (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca). Sie reisen zur Zeit durch Europa, um über die Zustände in ihrer Heimat aufzuklären

Seit Juni 2006 hat sich im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eine breite Volksbewegung, die APPO, entwickelt. Sie wurde im November von der Regierung fast zerschlagen. Warum wird die APPO so verfolgt, welche Ziele hat sie?

Hernández Morales: Sieverfolgt vor allem zwei Ziele. Zum einen den Rücktritt des Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortiz, der nur mit Wahlbetrug an die Macht kam. Zum anderen fordern wir die Demokratisierung; die Bevölkerung soll künftig die Entscheidungen treffen.

Wie hat sich die APPO seit den Angriffen der Regierungstruppen im November 2006 entwickelt?

Hernández Morales: Die Repressionen verursachten einen Bruch innerhalb der APPO. Es waren die brutalsten in der Geschichte von Oaxaca – es gab 60 Ermordete und mehr als 500 Verhaftungen. Außerdem sind 50 Menschen spurlos verschwunden. Das hat viele eingeschüchtert, die Teilnahme der Bevölkerung ließ zunächst nach. Aber ab Dezember 2006 nahmen die Protestmärsche wieder zu. Wichtige Entwicklungen sind auch der Organisationsprozeß, der innerhalb der APPO in Gang gekommen ist und die Ausweitung des Kampfes auf die nationale Ebene. Ein Beispiel dafür ist das »Juicio Popular«, das Volksgericht, das zwischen dem 3. und 5. August 2007 auf dem Zoccalo in Mexiko-Stadt stattfand.

Was sollte mit dem Volksgericht erreicht werden?

Hernández Morales: Dazu waren Vertreter aus allen Regionen Mexikos eingeladen. Es gab all denen eine Stimme, die durch Ulises Ruiz, durch den Exstaatspräsidenten Vicente Fox und den gegenwärtigen Präsidenten Felipe Calderón unterdrückt werden. Es ist uns mit dem Volksgericht gelungen, die nationale Zusammenarbeit zu fördern. Wichtige Gruppen wie die »Andere Kampagne« der Zapatisten haben daran teilgenommen. Auf dieser Basis können wir gemeinsam Forderungen formulieren.

Welche Rolle spielen Frauen in der Volksbewegung?

López Almazán: Die Frauen hatten den Aufstand in Oaxaca zunächst eher aus dem Hintergrund unterstützt. Am 1. August 2006 organisierten wir jedoch einen Frauenmarsch und traten erstmals als Untergruppe der APPO auf. Kurz darauf besetzten die Frauen die staatliche Radiostation Canal 9 und konnten einige Wochen lang über den Volksaufstand berichten. Von diesem Moment an galten sie als die Stimme der Bewegung.

Haben die Frauen auch spezifische Ziele formuliert?

López Almazán: Ja. Wir fordern die Wiederaufwertung der Frau und ihre gleichberechtigte Berücksichtigung für alle Ämter. Das gab es vor der Bewegung nicht.

In der letzten Juliwoche 2007 fanden in Oaxaca Kommunalwahlen statt. Was sagen Sie zu den Wahlergebnissen?

Hernández Morales: Die APPO hat sich aus vielen Gründen nicht an den Kommunalwahlen beteiligt – die Folge war, daß die Wahlbeteiligung nur 23 Prozent betrug. Leider hat sich die regierende Partei PRI wieder viele Sitze zurückgeholt – und das mit der Zustimmung eines Bruchteils der Bevölkerung. Sie ist von nur 16 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden –das ist nichts! Nichts, was in die Nähe der 800000 Demonstranten kommt, die die APPO in ihren Protestmärschen im vergangenen Jahr mobilisierte. Und doch stellt sich die PRI jetzt so dar, als stehe die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihr.

Wie sehen Sie den Volksaufstand von Oaxaca im nationalen Kontext?

Hernández Morales: Es ist der Neoliberalismus, der uns alle trifft. Seinetwegen büßen wir in Mexiko unsere natürlichen Ressourcen ein, d. h., wir verlieren das wenige, das uns bleibt. Er fördert die Bestrebungen nach Privatisierung. Elektrizität, Benzin, das Gesundheitssystem und das Schulsystem sind davon betroffen. Der Neoliberalismus macht Errungenschaften rückgängig, die in 100 Jahren sozialer Kämpfe erreicht wurden. Angesichts dieser Ausbeutung unserer Nation hat sich der Widerstand der Mexikaner verstärkt. Es wird sich zeigen, ob die regionalen Bewegungen nun gemeinsam an Stärke gewinnen.

Info:

gieichzeitig erschienen in Junge Welt vom 15.10.2007

Michal Stachura | 18.10.07 13:35 | Permalink