« Rechtsanwältin kritisiert erneute Hausdurchsuchungen nach 129a | Hauptseite | Die repräsentative Demokratie – ein Kasperletheater »

G8-Journalismus: Die Konstruktion der Wirklichkeit wiedergewinnen

KrankenhausBadDoberan.jpg
Geschwollene Hände nach Fixierung mit Kabel: Verletzter Journalist im Krankenhaus Bad Doberan

Erlebnisbericht zum G8-Gipfel in Heiligendamm

von Kamil Majchrzak

Mit großen Erwartungen begleitete die polnische Redaktion der Le Monde Diplomatique die Mobilisierung gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm. Wir hofften, dass aufgrund der geographischen Nähe zum Tagungsort zahlreiche KapitalismusgegnerInnen aus Osteuropa anreisen werden. Deshalb beteiligten wir uns selbst an den Protesten und im Presse Team des Camps Rostock. Wir hofften insgeheim, dass die bislang auf den Welt-Sozialforen unterbelichtete prekäre Situation in Mittel- und Osteuropa neue Impulse für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit gegen die kapitalistische Globalisierung liefern wird.

Zahlreiche AktivistInnen wurden jedoch an der deutsch-polnischen Grenze zu Gewalttätern stilisiert und zurückgewiesen. Einige die durchkamenm wie der Verein "Młodzi Socjaliści" (Junge Sozialisten), beteiligten sich aktiv an den Blockaden in Börgerende. Wer sich in die Sicherheitshysterie nicht integrieren wollte, lief Gefahr selbst zum Sicherheitsrisiko oder Gewalttäter stilisiert zu werden.

Der Entzug von mehr als zwei Dutzend Akkreditierungen durch das Bundespresseamt kurz vor Beginn des Gipfels hatte eben dies zum Ziel. Der G8-Gipfel wurde so zu einer Lektion darüber, was unabhängige Berichterstattung leisten kann und welche Rolle Medien in der Legitimierung staatlicher Gewalt und der Einschränkung der Grundrechte zukommt.

Als Anfang Mai mit zahlreichen Hausdurchsuchungen eine erste Repressionswelle über Deutschland schwappte, bangten wir mit anderen GlobalisierungskritikerInnen, dass diese Kriminalisierungsstrategie Erfolg haben könnte. Denn wer die Macht über die Wirklichkeitskonstruktion im öffentlichen Raum hat, der bestimmt was Recht und Unrecht ist, Gewalt und friedlicher Protest. Eine Dramaturgie die kritischen polnischen JournalistInnen allzu gut bekannt ist, in einem Land in dem seit 1989 die Linke unter einem Generalverdacht steht. Just in diesen Tagen wird in Warschau der Protest mehrerer AktivistInnen gegen den Europaratsgipfel 2005 vor Gericht verhandelt.

Auch der Versuch der Polizei am Rande der Anti-G8-Kundgebung in Rostock am Samstag durch Provokationen und Eskalationen das Selbstverständnis der GipfelgegnerInnen zu brechen war nur für wenige Tage von Erfolg gekrönt. Die erfolgreichen Blockaden am Mittwoch und Donnerstag zeigten ein konträres Bild zu dem, dass von der Pressestelle der G8-Spezialeinheit Kavala kolportiert wurde. Das dies nicht gelungen ist, ist auch ein Verdienst der professionellen Pressearbeit des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV), der dem der Aufbau einer kritischen Gegenöffentlichkeit gelungen ist.

Selbst als einige basisferne NGO-Eliten eine enge Zusammenarbeit mit der knüppelnden sowie Tränengas und Räumpanzer einsetzenden Polizei beschwörten, kam es nicht zu einer Spaltung der Globalisierungsbewegung. Ihre Gedankenlosigkeit wird an den Erklärungen der Basis in den Camps Reddelich und Rostock deutlich, bei der mehrere Tausend Demonstranten gegen die öffentlichen Auftritte der deutschen attac-Führung protestierten.

Der Gipfel wurde zur Herausforderung für unabhängige JournalistInnen. Nicht nur aufgrund der schwierigen Arbeitsumstände, sondern aufgrund der direkten Verantwortung für die Legitimierung der Staatsgewalt. Ich habe noch immer Bilder von KollegInnen im Kopf, die im Camp nach Strom für ihre Laptops suchen oder per Handy ihre handgeschriebenen Artikel diktieren. Diese solidarische Atmosphäre wurde durch eine auf Loyalitätsbekundungen gegenüber den Herrschern ausgelegte Berichterstattung getrübt.

Diverse Medien wiederholten gezielte Falschmeldungen der Pressestelle der G8-Sondereinheit Kavala ohne sie auch nur ansatzweise zu Überprüfen. Was gab es nicht alles. Säureverspritzende Clowns mit Wasserpistolen, 400 verletzte Polizisten davon einige Dutzend schwer, obwohl nur einer wirklich stationär behandelt wurde. Vermummte Demonstranten die zur Gewalt aufrufen und sich dann als Zivilpolizisten entpuppten. 2000 Gewalttäter bei einer antirassistischen Demo, die vor Ort keiner finden konnte.

Wie wichtig es ist, vor Ort zu sein begriff frühzeitig auch das Bundespresseamt. Mit zahlreichen unentgeltlichen Extras wie permanentem Ausschank von Sekt, Süßigkeiten, einem Würstchenstand und Eistheke täuschte das BPA vor, das Treffen der G8 stehe als Synonym für Urlaub. Im eigens geschaffenen Welnessbereich im Pressenzentrum Kühlungsborn wartete auf die embedded journalists ein spezieller Massagesalon. Auslandsgespräche, Fax und Internet waren selbstverständlich gratis. Die Presse sollte am Strand bleiben und nicht die Brutalität der Polizei dokumentieren.

Dank engagierter Videoaktivisten, Fotographen und Journalisten ist es dennoch gelungen die Gewaltdebatte wieder dahin zurückzuführen, wo sie bislang tabuisiert wird und die Gewalt die von den herrschenden Verhältnissen ausgeht zu hinterfragen. Hinter Lügen, Tränengas und Knüppeln lichtet sich langsam der Schleier der demokratischen Fassade des neoliberalen Projektes in Europa.

Dies wird auch an den Einschränkungen der Grundrechte sichtbar. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Rahmen einer Eilentscheidung einen Sternmarsch eben aufgrund gezielter Falschmeldungen der Pressestelle der Kavala über die Ausschreitung vom Samstag und der in den Medien kolportierten hohen Zahl der Verletzten. Die medial gestützte Eskalationsstrategie der Polizei lieferte Argumente um das Versammlungsrecht einzuschränken. Diese Taktik entwickelte die Polizei über Jahre im Zusammenhang mit den Castor-Protesten im Wendland. Mit der Folge, dass –wie Rechtsanwälte berichten- selbst bei Haftprüfungsterminen von mehreren Hundert DemonstrantInnen eine Stimmung herrschte die keine rechtsstaatlichen Verfahren gewährleisten konnte. Nach Angaben des RAV waren dabei über 90% aller Gewahrsamnahmen rechtswidrig.

Staatsanwälte und Richter nahmen dabei in erster Linie Bezug auf die Falschmeldungen der Pressestelle der Kavala. Aufgrund der affirmativen Medienberichte gab es keinen Platz um Abstand zu der hysterisierten Grundstimmung zu gewinnen. Unüberprüfte Mitteilungen der Kavala konnten dann auch wieder rückgekoppelt direkt zur Legitimation des polizeilichen Verhaltens vor Ort herangezogen werden.

Dabei waren wir selbst Zeugen wie Ärzte und RechtsanwältInnen vom Legal Team durch die Polizei bedroht wurden. Auch wir wurden ständigen Behinderungen in unserer journalistischen Arbeit ausgesetzt. Man bedrohte uns, und wollte verhindern, dass wir durch Fotographieren die Brutalität der Polizei dokumentieren. Schliesslich wurden wir bei Börgerende selbst in Gewahrsahm genommen. Die harte Gangart der Polizei führte zum Verlust des Bewustseins und einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus Bad Doberan.

Das Widerstand sinnvoll und machbar ist zeigt, dass sich vom Gipfel ausgesperrte JournalistInnen erfolgreich eine Akkreditierung einklagen konnten. Erstaunlich wie MedienvertreterInnen innerhalb weniger Tage per Richterspruch von einem Sicherheitsrisiko auf den Boden der fdGO transferiert wurden.


Der Autor ist Redakteur der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique

Michal Stachura | 18.06.07 10:30 | Permalink