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Freies Radio 102.3 Mhz: Umkämpfte polnische Geschichte

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McCarthy mit McCartney verwechselt
Geschichtspolitik als Legitimations- und Politikinstrument der neuen polnischen Regierung

Hinter der Fassade eines demokratischen Staates kehrt die polnische Regierung zu den dunkelsten Kapiteln ihrer Geschichte zurück. Seit ihrem Wahlsieg geht sie von der rhetorischen Verherrlichung der autoritären und antisemitischen Vergangenheit in den 30er Jahren zu dessen Nachahmung über. In Polen tobt in diesem Zusammenhang ein Kulturkampf in dessen Zentrum die Geschichtspolitik steht.

Diese soll die neuen Machthaber nicht nur legitimieren und eine „astreine“ politische Abstammung bescheinigen, sondern die deliberative Zivilgesellschaft als Symbol westlichen sittlichen Verfalls ausschalten.

Der telegraph-Redakteur Kamil Majchrzak berichtet heute zwischen 12.00 und 13:00 Uhr auf Radio Dreyeckland 102.3 Mhz über die Geschichtspolitik der neuen polnischen Regierung und den Kontext des Widerstandes der polnischen Redaktion der Le Monde Diplomatique gegen die diskursive Hegemonie der extremen Rechten.

Am Abend um 18:00 Uhr findet dann am Historischen Seminar der Universität Basel ein öffentlicher Vortrag zum Thema und das neue Lustrationsgesetz in Polen.

Das rechtsextreme Triumvirat der Brüder Lech und Jarosław Kaczyński (PiS) und des Bildungsministers Roman Giertych (LPR), dass –nach eigenen Angaben- die Nachfolge des Erbes der einstigen Solidarność-Gewerkschaft angetreten hat, steht heute nicht mehr für die Verteidigung der ArbeitnehmerInnenrechte und Demokratie, sondern für die Zerstörung der öffentlichen Sphäre und das austrocknen all jener Quellen, die die freie Willensbildung erst möglich machen. Es war diese „Gedankenlosigkeit“ die Hannah Arendt als den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen moderner bürgerlicher Gesellschaft und totaler Herrschaft ausgemacht hat.

Die Diskussionen in Deutschland um eine angebliche Mitarbeit des Philosophen Zygmunt Bauman für den sowjetischen Sicherheitsdienst bewiesen wie wirksam die neue Geschichtspolitik ist und der Export dieses revisionistischen Diskurses längst begonnen hat.

Noch immer halten viele die antikommunistische Paranoia für eine polnische Folklore. Doch die längst wirklich gewordene Jagd auf vermeintliche Kommunisten als Oberbegriff für kritisches Denken, zeigt auch was in Zukunft für das gesamte europäische Projekt gelten soll. Denn das Mimen von Ernst Nolte nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat nicht nur die Relativierung der deutschen Schuldfrage zum Zweck, sondern das Schaffen der Bedingungen der Möglichkeit eine antikapitalistische Alternative nicht mehr denkbar zu machen.

Die nach dem Mauerfall orientierungslos gewordene europäische Intelligentsia ist heute nicht mehr in der Lage Geschichte als Vergangenheit zu denken. So präsentierten bereits die Live übertragenen Bilder der Hinrichtung von Nicolae Ceauşescu Geschichte zugleich als Gegenwart. Die simultane Übersetzung verband Alternativentwürfe zur Gegenwart untrennbar mit dem Vorwurf einer Zugehörigkeit zu jenen Diktatoren der Vergangenheit.

Siehe auch:


Kamil Majchrzak: Was ist so schlimm daran? Freitag # 17 vom 27.04.2007

Michal Stachura | 20.06.07 11:44 | Permalink