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Erster Prozeß gegen Folterchef der brasilianischen Militärdiktatur

"Brasilien bei Vergangenheitsbewältigung am weitesten zurück"
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
In Chile und Argentinien, Uruguay und Peru wurden Folterer der Diktaturzeit verurteilt und sind in Haft, macht die Vergangenheitsbewältigung große Fortschritte, wurden Amnestiegesetze aufgehoben oder zugunsten der Regimeopfer neu interpretiert. Brasilien, die größte bürgerliche Demokratie Lateinamerikas, ist indessen mit der Aufarbeitung der Diktaturverbrechen am meisten im Rückstand, wie die dortigen Menschenrechtsorganisationen kritisieren.

Erst jetzt wird zum erstenmal ein berüchtigter Folteroffizier, Brilhante Ustra, vor Gericht gestellt - muß jedoch keine Gefängnisstrafe befürchten. Ehemalige politische Häftlinge werfen Staatschef Lula vor, im Namen einer Pseudo-Regierungsfähigkeit hochbelastete einstige Diktaturaktivisten zu schonen, die heute wichtige Politiker sind, zum Regierungslager gehören. Geheimarchive des Militärregimes würden daher nicht geöffnet.
Die brasilianische Schauspielerin Bete Mendes steht in Montevideo auf einem Empfang in der Botschaft Brasiliens mit dem Champagnerglas in der Hand, als sich ihr der Militärattachee vorstellt. Bete Mendes erschrickt, denn es ist Oberstleutnant Brilhante Ustra, der sie zur Diktaturzeit in einem Keller der Geheimpolizei in Sao Paulo sadistisch gefoltert hatte. Ustra leitete damals das größte Repressionszentrum des Militärregimes, das DOI-CODI – nach Angaben der katholischen Kirche wurden dort mindestens vierzig Oppositionelle ermordet, nachweislich mindestens fünfhundert Regimegegner grauenhaft gefoltert. Über Offizier Ustras Untaten wurde bisher zwar ausführlich in den Medien berichtet, doch ein noch von der Diktatur formuliertes Amnestiegesetz schien ihn für immer vor Strafe zu bewahren. Jetzt strengten vier ehemalige politische Gefangene mit Hilfe der Menschenrechtsorganisation „Tortura nunca mais“, nie mehr Folter, erfolgreich einen Prozeß gegen ihn an.
“Für uns ist dieser Prozeß enorm wichtig“, sagt Cecilia Coimbra, Gründerin von Tortura nunca mais, ebenfalls eine der damals Gefolterten. „In Lateinamerika ist Brasilien bei der Vergangenheitsbewältigung, der Bestrafung von Folterern am weitesten zurück. Dabei war es immerhin jenes Land, das Folter-Know-How, Folterhandbücher und Folterer selbst in die anderen lateinamerikanischen Diktaturen exportierte. Im Falle von Ustra geht es jetzt weder um Gefängnis noch um Entschädigungen – wir wollen, daß der Staat öffentlich erklärt, daß Ustra ein Folterer war. Wie die Justiz dann möglicherweise weiter verfährt, wäre ein zweiter Schritt. Die brasilianische Regierung muß öffentlich deklarieren, daß Hunderte von Diktaturaktivisten damals Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen, jedoch nie vor Gericht gestellt wurden. Wir wollen eine Neuinterpretation des Amnestiegesetzes. Zwei große renommierte Juristen unterstützen uns – der katholische Menschenrechtsaktivist Helio Bicudo und der Rechtsexperte Fabio Konder Comparato.“
Cecilia Coimbra erhofft sich von diesem und weiteren Prozessen dieser Art, daß viele bislang verheimlichte Diktaturverbrechen aufgeklärt werden.
“Wir wollen, daß Leute wie Ustra öffentlich ihre Taten gestehen. Es gibt schließlich Hunderte von verschwundenen politischen Gefangenen. Wie wurden sie ermordet, wo hat man sie verscharrt?“
--Folter und Karneval—
Nach Ustra, sagt sie, sollte auch der berüchtigte Capitao Guimaraes angeklagt werden. In Rio de Janeiro gab er Folter-Lehrvorführungen für jeweils über einhundert Offiziere, demonstrierte laut Zeugenaussagen an politischen Gefangenen die sadistischsten Techniken. Seit dem Diktaturende mischt der Ex-Folterer im brasilianischen Kulturbetrieb mit, organisiert die weltberühmte Karnevalsparade der besten Sambaschulen Rios, ist Chef ihrer Liga. Für Angehörige der Diktaturopfer, für Gefolterte von damals ist besonders absurd, daß die zuständigen Autoritäten, welche genauestens von dessen Taten wissen, ihm diesen Posten nicht entziehen.
Für den angeklagten Ex-Folterer Ustra veranstalten Brasiliens Militärs derzeit serienweise Solidaritätskundgebungen, zeigen deutlich Flagge.
“Viele von denen“, so Cecilia Coimbra, „haben Sehnsucht nach der Diktatur, waren im Repressionsapparat, befürchten jetzt, daß es ihnen wie Ustra ergeht. Selbst in der sogenannten demokratischen Regierung von Fernando Henrique Cardoso oder Lula wurden die Geheimdienste von damals nicht eliminiert, existieren weiter, unterstützten FHC, unterstützen Lula heute. Dies mit Leuten, die direkt oder indirekt in die Diktaturrepression verwickelt waren. Die Geheimarchive des Militärregimes werden auch unter der Lula-Regierung nicht geöffnet, weil frühere Diktaturaktivisten heute wichtige Staatsposten bekleiden, wichtige Politiker, Parlamentarier sind, zum Regierungslager gehören. Dazu zählen u.a. Antonio Carlos Magalhaes oder Delfim Netto. Beklagenswert, wenn die Lula-Regierung nicht genug Courage besitzt, diesen Leuten entgegenzutreten. Im Interesse einer Pseudo-Regierungsfähigkeit soll deshalb die ganze Wahrheit über die Diktaturverbrechen nicht ans Tageslicht kommen. Dabei gibt es immerhin verschiedene Regierungsmitglieder wie die Chefin des Zivilkabinetts, Ministerin Dilma Rousseff, die während der Diktatur gefoltert wurde, Jahre eingesperrt war. Man ging politische Bündnisse mit Kräften ein, die die Militärdiktatur unterstützten. Alles unglaublich und besorgniserregend. Wichtig ist, dies im internationalen Kontext des Neoliberalismus zu analysieren. Wir sehen eine Parallele zwischen den Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur und heute.“
Laut Cecilia Coimbra ist im brasilianischen Polizeiapparat Folter weiterhin üblich.
--Washington wußte detailliert von Folter--
Aus US-Geheimdokumenten, die nach 32 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, geht klar hervor, daß Washington über Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur in Brasilien detailliert informiert war, regelmäßig entsprechende Botschafterberichte erhielt, die grauenhaften Fakten jedoch nicht publik machte. So hätten die USA, wie brasilianische Zeitungen berichten, gemäß nordamerikan ischen Gesetzen wegen der Menschenrechtslage u.a. Kredite für Brasilien sperren können. Indessen finanzierten die USA damals just über Kredite die militärische Zusammenarbeit mit Brasilien sowie die Drogenbekämpfung. Gemäß den Botschafterberichten exportierten die USA damals militärische Ausrüstungen in die Militärdiktatur. Washington hatte Informanten sogar direkt im Repressionsapparat, die perfideste Foltermethoden und auch die Ermordung von Diktaturgegnern beschrieben. So schilderte ein brasilianischer Militär aus einem Folterzentrum in Osasco bei Sao Paulo, daß ein der Subversion Verdächtigter "genäht" worden sei. Darunter verstand man, den Betreffenden mit einer systematisch abgefeuerten Mpi-Salve zu töten, die eine dichte Einschußspur von den Füßen bis zum Kopf hinterließ.
--Deutsche Geschichtsforschung und brasilianische Militärdiktatur--
Ein dankbares Thema für deutsche Geschichtsforscher, deutsche Geschichtsstudenten dürfte sein, unter diesem Gesichtspunkt die entsprechenden Dokumente der westdeutschen Diplomatie über Brasiliens Militärdiktatur aufzuarbeiten. Bonn hielt damals sehr enge wirtschaftlich-politische Beziehungen zu den Diktaturregierungen. Bei der Vorbereitung des von Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1975 unterzeichneten deutsch-brasilianischen Atomabkommens -- Bundeskanzler war damals Helmut Schmidt, der daher systemkonform im Februar 2007 die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg erhielt - dürfte mit Sicherheit die grauenhafte Menschenrechtslage von den beteiligten Bonner Gremien ausführlich analysiert worden sein. Der Forschungsbedarf in dieser Richtung ist enorm. Als das Atomabkommen unterschrieben wurde, war es üblich, unweit des Bauplatzes der von Siemens zu realisierenden Atomkraftwerke nahe der Gefängnisinsel Ilha Grande politische Häftlinge lebendig den Haien zum Fraß vorzuwerfen, wie Zeitzeugen berichteten.
http://www.ostblog.de/2007/01/brasilien_baut_ab_juli_atomkra.php

Klaus | 06.02.07 00:54 | Permalink