« Umweltfeindliche Palmölnutzung:"Rettet den Regenwald e.V." contra Bündnis 90/Die Grünen | Hauptseite | Eine Welt als Lehrstück »

Brasilien baut ab Juli Atomkraftwerk bei Rio fertig

Atom-und Windkraftkonzerne Deutschlands und Frankreichs beteiligt

von Klaus Hart, Sao Paulo

Die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hat mehrfach betont, daß Atomenergie sauber und sicher sei, erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarenergie zur Ersetzung fossiler Brennstoffe nicht taugten, das nationale Atomprogramm daher alle staatliche Unterstützung erhalte. Jetzt hat die Regierung in einem offiziellen Dokument erstmals angekündigt, daß vom kommenden Juli an das vom deutschen Atom-und Windkraftkonzern Siemens begonnene Atomkraftwerk "Angra 3" bei Rio de Janeiro fertiggebaut werden soll. Als Betriebsbeginn wird das Jahr 2012 angegeben. Die Tageszeitung "Folha de Sao Paulo" veröffentlichte das interne Dokument Ende Januar, das nur kurze Zeit auf einer Regierungs- Website gestanden hatte. Zuvor hatte das staatliche Planungsunternehmen EPE den Bau von weiteren vier Atommeilern vorgeschlagen.

Um die künftige Atomkooperation mit Brasilien nicht zu erschweren, hatte die rot-grüne Bundesregierung im November 2005 das umstrittene deutsch-brasilianische Nuklearabkommen aus der Diktaturzeit nicht gekündigt, sondern offiziell und automatisch verlängert. 18 Umwelt-und Entwicklungsorganisationen hatten 2005 die rot-grüne Regierung aufgefordert, mit der Atomkooperation Schluß zu machen. "Das ist die Chance, ein Signal zu setzen, daß es der Bundesregierung mit ihrem Atomausstieg ernst ist, auch international", betonte Sergio Dialetachi von Greenpeace Brasilien. Grüne wie Joseph Fischer und Jürgen Trittin, dachten indessen gar nicht daran, schließlich hätte man den Atomvertrag gemäß den fünfjährigen Kündigungsfristen bereits 1999 aufheben können. Eine Kündigung hätte auch das Ende von Hermesbürgschaften für Nuklearexporte nach Brasilien bedeutet.
Angra 3 wird vom Atom-und Windkraftkonzern Framatome fertiggebaut, an dem Siemens und die staatliche französische Areva beteiligt sind. Areva hält bereits Anteile am deutschen Windkraftunternehmen Repower und will diese Firma ganz übernehmen.
Der Ex-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch, hat seit Ende 2005 einen Beiratsposten im baden-württembergischen Energiekonzern EnBW, der die Atomkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim betreibt. Im Beirat sitzen bereits Klaus Kinkel, Theo Waigel und Matthias Wissmann.

Etwas Hintergrund zur Erinnerung:

Brasilien
Atomeinstieg mit voller Kraft – und Siemens-KWU
Bei Rio wird das teuerste AKW der Welt fertig
zweites gleich daneben geplant
Schweigen Umweltminister Trittins
Die Inselwelt von Angra dos Reis südlich Rio de Janeiro ist ein Tropenparadies – die Schicksten und Reichsten der achtgrößten Wirtschaftsnation haben dort ihre Traumvillen und ausgedehnten Privatstrände. Nur die Bucht von Itaorna stört die Idylle – doch machen derzeit Siemens-KWU-Projektleiter Druck, damit über fünftausend teils in Deutschland geschulte Techniker und Ingenieure den Atommeiler „Angra II“ des Biblis-Typs rasch fertigbauen. Im Juli soll er ans Netz – Brasiliens Mitte-Rechts-Regierung unter FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso will den Atomeinstieg mit voller Kraft und natürlich deutscher Hilfe.

Atomvertrag mit Brasiliens Diktatoren

Angra II hat eine grandiose Geschichte und wird ein Supermeiler, der mit Abstand teuerste der Welt, mit der längsten Bauzeit: Vor sage und schreibe vierundzwanzig Jahren wird begonnen, alles soll 1,3 Milliarden Dollar kosten. Nun werden es laut brasilianischen Angaben über sechs Milliarden, mehr als das Vierfache. Gleich daneben soll Siemens-KWU den Meiler „Angra III“ setzen – allein die komplizierten Infrastrukturmaßnahmen in der engen Bucht verschlingen bislang anderthalb Milliarden Dollar. Mindestens noch einmal so teuer wird nach vorsichtigen Schätzungen der eigentliche Bau. Das hat vielerlei Gründe. Alles beginnt mit dem deutsch-brasilianischen Atomvertrag von 1975, den die Schmidt-Genscher-Regierung trotz des vehementen Widerstands aus Washington mit den Diktaturgenerälen des Tropenlands unterzeichnet – zu einer Zeit, da auf der Gefängnisinsel „Ilha Grande“ unweit des AKW-Bauplatzes ungezählte politische Gegner barbarisch gefoltert und danach vor der Traumküste lebendig den Haien zum Fraß vorgeworfen werden. (Systemkonform erhielt daher Helmut Schmidt im Februrar 2007 die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg)Die KWU steckt in wirtschaftlichen Nöten – der Verkauf von acht Kernkraftwerken und Anreicherungstechnologie an Brasilien bringt die Rettung, ist zugleich das größte deutsche Exportgeschäft aller Zeiten. Deutsche Banken geben die Kredite. Ausrüstungen für zunächst zwei Meiler werden von KWU sofort gefertigt – doch Brasiliens Foltergeneräle, die Pinochet tatkräftig beim Putsch gegen Allende helfen, haben es mit dem zivilen Atomprogramm auf einmal garnicht mehr eilig, geben dafür kaum noch Mittel frei. Genau das haben Jimmy Carter und andere Kritiker des Atomvertrags vorausgesagt. Nuklearexperten, in Deutschland geschult, wechseln zum geheimen Atomprogramm, das floriert - in Amazonien bauen die Generäle sogar ein Testgelände. Nach unterschriebenem Vertrag lädt Kanzler Schmidt den damaligen deutschstämmigen Diktator Ernesto Geisel 1978 nach Bonn ein – über dessen Wagenkolonne ergießt sich dort laut Zeitzeugen ein“Regen aus Scheißebeuteln“. Geisel reist im Land umher, wird vom Chef der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, ebenso freundlich empfangen wie von Kanzler Schmidt und den Herren Kohl, Strauß und Filbinger, hat eine blendende Presse. Proteste regnet es dagegen von Amnesty International, der Anti-AKW-Bewegung und den Jungsozialisten. Der Juso-Bundesvorstand erklärt:“Es ist geradezu eine abenteuerliche Politik, einer Diktatur, die zur Nutzung ihrer machtpolitischen Interessen noch nie Skrupel bei der Auslöschung von Menschenleben gezeigt hat, die radikalsten Vernichtungsmöglichkeiten in die Hand zu geben.Die Anwesenheit des Diktators Geisel in der BRD ist eine Provokation für alle Demokraten.“ Der damalige Juso-Vorsitzende heißt Gerhard Schröder. Bei Demos in Köln und Düsseldorf, gegen die Polizeieinheiten des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Kühn mit aller Härte vorgehen, werden Parolen wie“Völkermorde und KZ findet der Herr Geisel nett“ oder „Kein Atomgeschäft mit Folterern“ gerufen. Laut brasilianischen Qualitätszeitungen ist durch Dokumente nachgewiesen, wie Multis, darunter VW, Mercedes und Saab-Scania damals mit der politischen Polizei DOPS der Geisel-Ära kooperierten.So gaben, wie es heißt, diese Firmen Namen und andere Angaben über Gewerkschafter oder Streikende an DOPS weiter oder fragten nach, ob gegen bestimmte Mitarbeiter, die man einstellen wolle,“etwas vorliegt“. Ironie der Geschichte: Der aus einer Generalsfamilie stammende FU- Berlin-Ehrendoktor Cardoso, Mitgründer der stark rechtsdurchwirkten „Sozialdemokratischen Partei“/PSDB Brasiliens, hält freundschaftliche Beziehungen zu Geisel, würdigt ihn öffentlich, erklärt sogar eine einwöchige Staatstrauer, als dieser 1996 stirbt. Der seinerzeit gefürchtete Diktator , so Cardoso allen Ernstes, habe sich große Verdienste um die „Redemokratisierung“ erworben.

Erdbebengefahr, Erdrutsche, Sicherheitsmängel

In der Itaorna-Bucht von Angra dos Reis kommen indessen die Bauarbeiten nur schleppend voran. Es ist die einzige erdbebengefährdete Gegend Brasiliens, Erschütterungen sind keineswegs selten. Erdrutsche von Sand –und Steinmassen auch nicht. Das wissen bereits die Indianer, nennen die AKW- Bucht Jahrhunderte zuvor schon Itaorna, Fauliger Stein. Der Kiesboden trägt nicht, für Angra II müssen erst über tausend Betonpfähle, jeder vierzig bis achtzig Meter lang, eingerammt werden. Das kostet und dauert. Der Bauplatz von Angra III wird von einem Erdrutsch betroffen – und dann sackt auch noch das Maschinenhaus des kleinen Pannenmeilers Angra I ab. Errichtet von Westinghouse mit zwölfjähriger Verspätung, ausgebessert von Siemens-KWU. Doch was wird all die Jahre mit den längst fertigen AKW-Teilen? Die lagern in eher provosorischen Hallen an der Bucht, sind in Plastik und Aluminium eingeschweißt, werden davon natürlich nicht besser. Auch im Hamburger Freihafen stehen Kisten für Itaorna herum. Kostenpunkt – alles in allem pro Jahr mehr als einhundert Millionen Dollar. Greenpeace-Aktivisten und brasilianische Atomkraftgegner sind öfters am Bauplatz, bekommen immer wieder Argumente frei Haus: Der Westinghouse-Reaktor ist gelegentlich undicht, Radioaktivität tritt aus, die Direktion versucht es zu vertuschen, ohne Erfolg. Mehrfach setzen Richter die Abschaltung durch, weil bei Atomunfällen zehntausende Bewohner umliegender Städte und Dörfer nicht rasch in Sicherheit gebracht werden könnten. Gerade jetzt, im Hochsommer, wird die enge Küstenstraße BR-101 wegen Unterspülungen, Erdrutschen, Schlammlawinen immer wieder gesperrt. Siemens-KWU und Brasilia halten dagegen, daß keine Sicherheitsprobleme bestehen. Außerdem – wohin mit dem Atommüll? Für den Physiker Anselmo Paschoa, Ex-Direktor der Nationalen Atomenergiekommission, aber auch andere Experten, ist es ein Unding, daß die hochradioaktiven Abfälle bisher provisorisch neben Angra I deponiert sind, über Lösungen für die beiden viel größeren Nachfolge-AKW bisher niemand nachdenkt. In Deutschland gehören die Grünen zur Regierung, verlieren bis jetzt eigenartigerweise kein Wort über Brasiliens Atomeinstieg mit deutscher Hilfe. Umweltminister Trittin sagt gegenüber „El Pais“, nur Diktatoren bauten noch Atommeiler und verfolgten damit andere Ziele als die Energiegewinnung. Sollte er etwa Präsident Cardoso gemeint haben, dessen Vize ein einflußreicher Diktaturaktivist ist? Ex-Stadtguerillheiro Fernando Gabeira, einst im Westberliner Exil, sitzt als einziger Grüner im brasilianischen Nationalkongreß, sucht mit wenig Erfolg die Öffentlichkeit für den erstaunlichen Fakt zu interessieren, daß doch weit auf der anderen Seite des Ozeans, im Land von Siemens-KWU, alles über den Ausstieg redet. Naturgas, von dem Brasilien sehr viel hat, wäre doch eigentlich gar keine schlechte Alternative, sagt Gabeira. Derzeit wird es noch hauptsächlich abgefackelt. Brasiliens, man siehts an den Amazonaswäldern, geht mit eigenen Ressourcen extrem verschwenderisch um. Fehlen noch die Argumente der nationalen Akademikerschaft: Bereits 1975, als Genscher den Atomvertrag unterschreibt, wendet diese ein, das von Massenelend gezeichnete Land brauche wegen der enormen Wasserkraftreserven die extrem teuren AKW garnicht. Jene Reserven, wurde betont, entsprechen der Leistung von 164 KWU-Reaktoren. Nach Darstellung des angesehenen jüdischen Umweltexperten Fabio Feldmann aus Sao Paulo enthält der Atomvertrag Geheimklauseln, die bis heute nicht veröffentlicht worden sind.


Klaus | 28.01.07 17:34 | Permalink