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Eine Welt als Lehrstück

“Babel” - Oscarfavorit mit einigen Mängeln

Für OST:BLOG von Angelika Nguyen

Mit nicht weniger als sieben Oscarnominierungen in solch wichtigen Kategorien wie Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch geht der gerühmte Film “Babel” ins Rennen.

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Was wird hier erzählt? Eine kleine, zwischen vier Ländern hin und her gehende Geschichte um ein verkauftes japanisches Gewehr, dessen Kugel eine US-Touristin in Marokko trifft, was sofort den uns gut bekannten Anti-Terror-Eifer eines Polizeiteams auslöst und außerdem bewirkt, dass das Kindermädchen der Familie die beiden Kinder des Paares illegal nach Mexiko zu einer Hochzeitsfeier mitnimmt und sich mit ihnen unter mörderischer Hitze im Grenzland verirrt. Vollkommen extra erzählt wird die Geschichte des taubstummen Mädchens Chieko. Dessen Verstörtheit sitzt tief, wird aber in der japanischen Episode länger beschrieben als nötig. Irgendwann in diesem grellen Tokioter Kunstlicht, durch das Chieko irrt, fragen wir uns, was zum Teufel das mit dem Rest zu tun hat.

Am Schluss werden wir betrogen - denn die Information, dass Chiekos Vater einst dem Marokkaner jenes schicksalhafte Gewehr verkaufte, geht über das bloß Anekdotische nicht hinaus. Man kann sich darüber wundern, was es alles so gibt, aber Chiekos Leben oder das ihres Vaters beeinflusst es in keinster Weise. Ihre Einsamkeit und die Versöhnung gäbe es auch ohne das verkaufte Gewehr. Während die ersten drei Geschichten dramatisch und unlösbar miteinander verknüpft sind, ist Chiekos Liebesbedürftigkeit einfach ein anderes Thema. Der Film spielt auf drei Kontinenten in vier Ländern. Zu den Landessprachen Englisch,Marokkanisch, Mexikanisch und Japanisch gesellt Regisseur Alejandro Gonzales Inarritu eine fünfte: die Gehörlosensprache. Babylonisches Sprachgewirr eben.

Der Film ist so erzählt, dass einer sterben muss - bloß wer? Der betrunkene Mexikaner, die blonden Kinder, das japanische Mädchen, die angeschossene weiße Frau?
Sterben tut nicht das Opfer die weiße reiche Frau, sondern der der Täter, ein marokkanisches Hirtenkind. Die marokkanische Familie gerät durch den Vorfall in die totale Katastrophe, mehr als alle anderen Betroffenen. Hier siegt das Schlichte über den Hollywoodstil der anderen Episoden: dieses Schicksal ist das bewegendste des Films. Die Darsteller, die Landschaft, die einfachen Dialoge, in Originalsprache, mit Untertiteln, wirken sehr authentisch.

Diese weltumspannende Geschichte ist eine schöne und in Zeiten des globalen Terrors sehr zeitgemäße Idee, der Entwurf ist großartig, vielleicht zu großartig.
Das Problem des Films ist nicht nur seine gewaltige Intention, sondern auch seine Umsetzung. Die Geschichten werden verschieden gewichtig erzählt. Die erzählerische Balance stürzt irgendwann ab. Dabei ist das zerstrittene amerikanische Ehepaar auf Touristenreise (Cate Blanchett und Brad Pitt) ein schöner Anfang. Als die Gewehrkugel sie trifft, sind alle weiteren Psychospiele und Streitereien, die westliche Paare so gut kennen, beendet. Fortan kämpft Pitt um Blanchetts Leben. Es zählen plötzlich nur noch die wesentlichen Dinge, die im Alltag verloren gingen. Dies ist ein alt bewährtes Rezept der Läuterung. Aber was zwischen den beiden läuft, kommt zu kurz. Während die übergewichtige japanische Geschichte mehrere Schlüsse hat, geht das Ende der Pitt/Blanchett-Geschichte in einer Fernsehnachricht in Tokio unter. Die mexikanische Episode wiederum vermittelt uns vor allem die unheilvollen Folgen illegaler Grenzübertritte, von Trunkenheit am Steuer und Schwarzarbeit.

Viele Menschen sind in ihrem täglichen geographisch beschränkten, aber medial überfütterten Leben vielleicht hungrig nach globaler Katharsis. Dieses Bedürfnis erfüllt ihnen offenbar dieser von der US-Kritik zunächst missachtete, dann vom Publikum adoptierte Film. Der Film ist ein Kassenerfolg, er trifft einen modernen Nerv. Die einfache erzählerische Verknüpfung von Dritter mit Erster Welt scheint dank des boomenden und mittlerweile geschwinden Tourismus plausibler denn je, durch vielfältige wirtschaftliche Ausbeutungsstrategien hinreichend grundiert.

Der Film hat auch versucht, mit großen Namen zu punkten wie Brad Pitt, Cate Blanchett, Gael Garcia Bernal. Aber ausgerechnet diese drei enttäuschen. Die Stars Pitt und Blanchett spielen das Existenzielle tapfer, haben aber zu wenig Raum, retten sich in Routine. Bernal wiederum, aufkommender glänzender Charakterschauspieler und Publikumsliebling, spielt den mexikanischen Neffen mit Schnurrbart und drei Sätzen Belanglosigkeit - eine Rolle, die weit unter seinem Können liegt. Hingegen erhielten zwei unbekannte Nebendarstellerinnen Oscarnominierungen: die Mexikanerin Adriana Barraza und die Japanerin Rinko Kikuchi.

“Babel” ist zu viel Lehrstück. Hier soll Moral vermittelt werden, wie in der Schule. Alles auf dieser Welt, so die Botschaft, hängt mit allem zusammen. Wir leben in Einer Welt. Globalisierung als Betroffenheitsdrama. Eine Frau wird schwer verletzt, ein Junge stirbt, eine Kinderfrau verliert Job und Aufenthalt. Der Zufall wird als schicksallenkendes Vehikel, möglicherweise als Beweis eines höheren Zusammenhangs bemüht. Das ist zu viel für einen Zufall. Das ist zu wenig, um künstlerisch meisterhaft zu sein.

Seine löbliche Absicht unterstützt der Film mit dem Titel-Bezug auf die biblische Geschichte des Turms zu Babel, dessen Erbauer Gott mit einer Vielzahl einander fremder Sprachen für ihren Größenwahn bestrafte. Und fortan verstanden die Menschen einander nicht mehr.

A.S.H. | 29.01.07 12:39 | Permalink