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»Es betrifft Hunderttausende«

Die Pariser Gruppe »Jeudi-Noir« feiert Partys in leeren Wohnungen, um auf die Wohnungsnot hinzuweisen. Emmanuelle Piriot führte ein Gespräch mit Julien Bayou, einem Mitglied der Initiative

Was ist euer Ziel?

»Jeudi-Noir« ist aus Verärgerung entstanden. Es ist außerordentlich schwer, eine passende Wohnung in Paris zu bekommen, insbesondere für junge Leute. Darauf möchten wir auf eine ironische Art hinweisen. Das Problem ist aber sehr ernst. Es betrifft Hunderttausende. Der Staat wird seiner Rolle nicht gerecht. Wenn man bedenkt, dass eine Wohnung notwendig ist, um eine Arbeitsstelle zu finden und für das soziale Leben im Allgemeinen, muss der Staat unterstützend tätig werden.

Warum habt ihr euch zu dieser Aktionsform entschlossen?

Wir haben uns durch die Bewegung »Génération précaire« kennen gelernt, die darauf aufmerksam gemacht hat, welche Schwierigkeiten jüngere Leute haben, eine Arbeitsstelle zu finden, und welcher Missbrauch mit Praktika betrieben wird. Dabei haben wir viel gelernt. Wir haben uns gefragt, was wir zum Thema Wohnen, dem zweitgrößten Problem nach der Arbeitssuche, machen könnten. Ein Freund, der eine Wohnung suchte, erzählte uns, wie er eine sehr schöne und teure Wohnung besichtigt hatte. Dabei bemerkte er, wie andere sich diese Wohnung einfach aus Spaß anschauten. Sie waren verbittert darüber, dass ihre Bewerbungen von den Besitzern immer abgelehnt wurden. So kamen wir auf die Idee, in den Wohnungen, die wir uns nie werden leisten können, Partys zu feiern. Dadurch wollen wir zum Umdenken bewegen.

Was könnte der Staat machen?

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten. Anstatt auf eine Preisminderung hinzuwirken, trifft der Staat Maßnahmen, die die Preise steigen lassen. Dabei stehen in Paris 150 000 Wohnungen leer. Kürzlich hat die Regierung ein Gesetz verabschiedet, das durch Steuervergünstigungen zur Schaffung von Wohnraum anregen sollte. Doch die Steuervorteile wurden benutzt, um in anderen Regionen zu investieren, und nicht dazu, die Mieten zu senken.

Anfang Dezember hattet ihr ein Treffen mit dem Sozialminister Jean-Louis Borloo.

Wir sind mit vielen Vorschlägen hingegangen. Er meinte, wir sollten uns keine Gedanken machen. Er habe viel für den Wohnungsbau unternommen, so dass das Angebot in fünf Jahren die Nachfrage übertreffen werde. Dieses Treffen war vergeblich.

Befürchtet ihr, dass die Wohnungsprobleme als ein randständiges Phänomen wahrgenommen werden?

Nein, die Sozialnot bleibt die Priorität. Als »Les Enfants de Don Quichotte« mit ihren Zeltcamps in die Medien kamen, haben wir uns zurückgenommen. Wir unterstützen sie. Es wurde zunächst ein Notprogramm für Obdachlose erkämpft. Die Regierung ist nun dazu bereit, das Recht auf Wohnen anzuerkennen, das genauso wichtig ist wie das Recht auf Bildung oder Gesundheit.

Wie beurteilt ihr die Maßnahmen der Regierung?

Wenn das Recht auf Wohnen Wirklichkeit wird, können wir die Champagnerflaschen aufmachen. Aber es wird keine Wirkung haben, solange man die Preissteigerung nicht stoppt.

Seit zwei Wochen hält »Jeudi-Noir« zusammen mit anderen Initiativen ein leer stehendes ehemaliges Bankgebäude mitten in Paris besetzt. Was wollt ihr damit erreichen?

Dort wohnen mehrere Familien, Jugendliche und Künstler. Aber es geht nicht primär darum, Wohnraum für die vielen Obdachlosen zu finden, sondern zu zeigen, dass ein Bürogebäude innerhalb einer Woche zu einem Wohnhaus umgestaltet werden kann. Dieses Bankgebäude stand seit drei Jahren leer, der Strom war sogar angeschlossen. Dort haben wir eine tolle Silvesterparty organisiert, und wir wollen dort unseren Hauptsitz einrichten. Dies ist gerade vor der Präsidentenwahl wichtig. Die Wohnungsprobleme dürfen nicht weiter wie eine Bestimmung des Schicksals betrachtet werden.

Info:
Das Gespräch führte Emmanuelle Piriot vom JournalistInnen-Kollektiv "Krise und Kritik"

Gleichzeitig erschienen in Jungle World # 2 vom 10.01.2007

Michal Stachura | 15.01.07 13:21 | Permalink