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Schwarzer Tag für Vermieterhaie

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Foto: Laurent Hazgui

von Emmanuelle Piriot (Text) und Laurent Hazgui (Fotos)

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag in Paris. Abseits betriebsamer Einkaufsstrassen schleichen drei junge Männer durch den V. Bezirk. Vor einem ansehnlichen Gebäude machen sie halt und schauen sich um. Es kommt keiner. Blitzartig laufen sie die Strasse wieder zurück. Ihr Verhalten hat etwas krimihaftes. Eine Strasse weiter empfängt sie eine andere Gruppe mit den Worten: „der Weg ist frei, los“. Mit fieberhaften Armbewegungen zeigen sie in eine Richtung. Passanten wissen nicht, ob sie um Hilfe schreien oder lachen sollten. Die AktivistInnen von „Jeudis noirs du logement“, der Bewegung Schwarzer Mietdonnerstag, versuchen schwarze Luftballons, Sektflaschen und Papp-Schilder zu verstecken. Dann verschwinden sie hinter einem grossen Einfahrtstor. Vor dem Eingang stellen sie eine Tafel auf: „Tagesmenü: 10m² für 500,- Euro“.

In der fünften Etage wird gerade eine sehr kleine, dafür aber sehr teure Wohnung angeboten. Gleichwohl haben sich mehr als zwanzig Personen für die vom Vermieter organisierte Besichtigung zusammengefunden. Dieser hatte mit disziplinierten Anwärtern gerechnet. Als die AktivistInnen von Jeudi Noir, des "Schwarzen Donnerstags" mit viel Konfetti und Gebrüll die Wohnung stürmen bleibt der Vermieter sprachlos. Sektkorken knallen. Jemand spielt Musik. Eine fröhliche Menge tanzt.

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"Bei der Aktion geht es darum, in einer Wohnung zu feiern, die sich keiner von uns leisten kann", erklärt Julien, einer der Initiatoren von „Jeudi noirs“. „Damit wollen wir auf die Missstände auf dem Pariser Wohnungsmarkt hinweisen. Es ist ungeheuer schwer eine anständige Wohnung zu bekommen. Dies trifft insbesondere die Jugend. Als Student oder junger Arbeiter mit Mindestlohn, kann man den Vermietern kaum den erforderlichen Einkommensnachweis vorlegen. Dieses Problem, betrifft mehrere Tausend Menschen in dieser Stadt und wird dennoch von der Politik ignoriert.“ Seit Ende Oktober versucht die Initiative auf diese Art während Wohnungsbesichtigungen zu protestieren.

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Offensichtlich wucherische Inserate in der donnerstags erscheinenden Anzeigezeitung „De particulier à particulier“ waren der Auslöser der Aktion. Der Name verweist auch auf den Börsencrash von 1929, den schwarzen Donnerstag. Mit Luftballons und Sekt wollen sie die französische Wohnspekulationsblase zum Platzen bringen. „Jeudi-Noir“ ist eine Fortsetzung der Aktionen von „Generation precaire“, die bereits vor einem Jahr auf die prekäre Situation junger ArbeitnehmnerInnen und PraktikantInnen aufmerksam gemacht hat.

Dass die Mieten in Paris sehr hoch sind ist nichts Neues. Seit Ende der 90er Jahre haben sie aber regelmäßig zugenommen. Nach Angaben des Wohnagenturenverbandes sind die Mieten in der Hauptstadt seit 2000 jährlich um 5,8% gestiegen. Im Juni dieses Jahres musste man durchschnittlich 21,60,- Euro pro Quadratmeter bezahlen. Bei den Studios, den Einraumwohnungen, einer beliebten Wohnungskategorie liegt der Preis noch höher. Je nach Bezirk zwischen 23,- und 28,- Euro/m². Mindestens 700,- Euro beträgt so eine Kaltmiete in einer 30m² Wohnung. In Frankreich wird dennoch nicht von einer „Immobilien-Spekulationsblase“ gesprochen.

In den letzten Jahren haben sich auch die Mietbedingungen verschlechtert. Die Vermieter verlangen bei Vertragsschluss Bescheinigungen über eine Festanstellung mit einem Einkommen in Höhe von drei Monatsmieten, sowie zwei Personen als Bürgen für die Miete. Damit werden automatisch viele Personen ausgeschlossen. Eine Sozialwohnung bekommt man dabei erst nach zwei Jahren Wartezeit. Familien und Personen mit niedrigen Einkommen haben Priorität. So werden aber Jugendliche aus der Mittelschicht von beidem ausgeschlossen. Die Lage der Studentenwohnheime sieht noch schlimmer aus. In ganz Paris gibt es insgesamt nicht einmal 3000 Zimmer, obwohl jedes Jahr mehr als 15000 Studenten sich für diese bewerben. Berufsanfänger, Prekarisierte, Einzelfamilien und Studenten haben keine Perspektive auf ein eigenes Zuhause. Viele sind gezwungen bei Eltern zu bleiben, bei Freunden zu schlafen, oder in die Banlieues abzuwandern, wo die Mieten nur unerheblich niedriger sind, dafür aber die Verkehrskosten und –Reisezeiten dazu kommen.

„Ich hätte nicht nach Paris kommen können, wenn ich nicht bei einer Freundin unentgeltlich untergekommen wäre. Vor einem Jahr habe ich mich in einem kleinen Raum, der eigentlich für eine Waschmaschine gedacht war eingenistet. Es sollte nur für kurze Zeit sein. Heute ist es immer noch mein Zimmer. Ich habe keine Hoffnung mehr auf eine eigene Wohnung“ erzählt Leila. Die meisten jungen Pariser kennen solche Geschichten aus eigener Erfahrung. Für die AktivistInnen von „Jeudi-noir“ bedeuten diese Erniedrigungen eine Art „Eintrittsinitiation“ ins Berufsleben. "Sich als Jugendlicher durchschlagen zu müssen, um einen Job zu bekommen oder um eine Wohnung kämpfen zu müssen, soll so zur gesellschaftlichen Norm erhoben werden", sagt Julien bitter.

Laut einer Studie des staatlichen Statistikinstituts INSEE sind 30% der Obdachlosen in Paris arbeitstätig. „Das ist das Phänomen der heutigen armen ArbeiterInnen, unter denen es sehr viele junge Menschen gibt. Die Verwaltungen machen ihre Hausaufgaben nicht. Statt die Preisexplosion der Mieten zu stoppen, destabilisieren sie mit ihren Maßnahmen einen Wohnungsmarkt, der längst aus dem Gleichgewicht geraten ist“ erzählt Julien.

Die Stadtverwaltungen sind verpflichtet einen Anteil von 20% an Sozialwohnungen zu haben. Dies wird jedoch selten verwirklicht. Die Vermieter berechnen bei den Preiserhöhungen sogar das Wohngeld, welches die Mieter angeblich bekommen werden. Gleichzeitig sind ca. 150000 Wohnungen in Paris leer. Gesetze die das Wohnungs-Angebot stärken sollten, haben ihr Ziel nicht erreicht. Die Steuervorteile wurden dazu missbraucht, um in anderen Regionen zu investieren und nicht die Mietpreise zu senken.

Nachdem die Blase der New Economy geplatzt ist, beschlossen viele Investoren in Immobilien zu investieren. Diese Tendenz wurde nach der 2003 von Premierminister Jean-Pierre Raffarin eingeführten Rentenreform verschärft. Angst vor der Alterssicherung führte viele dazu in Immobilien zu investieren. Auch die Banken spielen mit indem sie niedrig verzinste Kredite zum Wohnungserwerb anbieten. Die Käufer müssen diese innerhalb von 30 Jahren zurückzahlen. Kurzfristig hat dies den Anstieg der Wohnungs- und Mietpreise zur Folge.

„Die Wohnungsprobleme werden immer als soziale Ausnahmesituation dargestellt. Man spricht nie von Prekarität. Auch wenn man einen Job hat, ist man aber nicht in der Lage so hohe Mieten zu tragen“ erzählt Leila. Die Preisexplosion betrifft nicht nur Paris, sondern alle Städte Frankreichs. Vereine wie Emmaüs, die 1954 während der damaligen Wohnungskrise gegründet wurden, stoßen mit ihrer Kritik auf taube Ohren. Als im September das INSEE über eine angeblich steigende Kaufkraft der Bevölkerung berichtete, protestierte ein großer Verbraucherverein heftig. Die INSEE bestätigte Vorwürfe, nach denen die Erhebung die Mietpreise nicht mit umfasse, trotzdem soll auch der Lebensstandard der Ärmsten gestiegen sein. Die Statistik wurde von der Politik dazu benutzt die Realität zu verzerren.

Jeudi-noir gibt nicht auf. Die spektakulären Aktionen wurden nun von den Medien registriert. Bei einer der Aktionen zu der die Polizei gerufen wurde, stellte sich heraus, dass die Beamten nicht eingreifen wollten und sich stattdessen mit den Jugendlichen solidarisierten. Auch sie haben Wohnungsprobleme hieß es. Die AktivistInnen wollen nun vor den Präsidentschaftswahlen die Parteien zu öffentlichen Zugeständnissen zwingen.

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Info:
Die Autorin ist Mitarbeiterin des JournalistInnen-Kollektivs "Krise und Kritik".

COPYRIGHT 2006 : ALL PHOTOS TAKEN BY LAURENT HAZGUI

Mehr Fotos von Laurent Hazgui auf: Jeudi noir/Black thursday

Homepage von Jeudi-noir: http://www.jeudi-noir.org/

Michal Stachura | 25.12.06 11:52 | Permalink