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Brasiliens Menschenrechtsreport 2006

Folter, Sklavenarbeit, Vertreibungen, brutales Agrobusiness
Grausames Sozialdumping in Importländern als normal akzeptiert
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Brasiliens Sozialbewegungen, von der Kirche bis hin zu den Landlosen und Umweltschützern, haben im Dezember in Sao Paulo ihren diesjährigen Menschenrechtsreport vorgestellt. Er betont einerseits Fortschritte, darunter soziale Verbesserungen für Verelendete sowie für Kleinbauernfamilien des Hinterlands und kritisiert andererseits alte Probleme, darunter Sklavenarbeit, Terror gegen Menschenrechtsaktivisten sowie Straflosigkeit für jene, die Massaker an Landlosen verübt oder befohlen haben. "Der Staat ist der große Menschenrechtsverletzer." Mehr Wirtschaftswachstum löse das Problem der Massenarbeitslosigkeit und der enormen Einkommensunterschiede nicht. Ein Problem wird immer dramatischer: Große, hochtechnisierte Agrarunternehmen, die vor allem Soja, Fleisch, Zucker und Biotreibstoff in Industrieländer wie Deutschland exportieren und dank Sozialdumping Spitzengewinne erzielen, vertreiben gewaltsam immer mehr Kleinbauern und Indianer, um die Anbauflächen ausweiten zu können.

„Ich prangere die Ermordung unserer Stammesführer durch Großgrundbesitzer und ihre Killermilizen an“, sagt der Kaiowa-Häuptling Amilton Lopes bei der Vorstellung des Menschenrechtsreports in Sao Paulo. Lopes, der den typischen Federschmuck seines Stammes trägt, reiste von der Grenze zu Paraguay bis in die Megametropole, um dort bei der Staatsanwaltschaft Klage einzureichen.
„Diese Morde nehmen zu – in ganz Brasilien werden die Indioführer bedroht. Man will uns immer mehr einschüchtern. Mit meinem Stamm lebte ich in einem Reservat, dessen Demarkationsurkunde der Staatspräsident persönlich unterzeichnet hatte. Doch letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, hat man uns von dort mit Gewalt vertrieben, wurde mein Vorgänger erschossen, mußten wir an der Straße kampieren. Ich bin einmal vierzig Tage durch Europa gereist, war auch in Deutschland, um die Politiker, die kritische Öffentlichkeit über die Lage der brasilianischen Indianer zu informieren.“
Was es gebracht hat, Politiker etablierter Parteien, sogenannte Umwelt-und Menschenrechtsorganisationen sowie die Medien zu informieren, hat sich die letzten Jahre deutlich gezeigt. Sozialdumping, einst sogar von den deutschen Gewerkschaften verurteilt, wird inzwischen neoliberal und zynisch als völlig normal akzeptiert.
Für mit grausamstem Sozialdumping produzierte Waren sind Deutschlands Grenzen immer weiter offen – selbst in der Drittweltszene gilt dies weithin als völlig normal, ist ein Zeichen rasch fortschreitenden Kultur-und Werteverlusts. Sklavenarbeit, sklavenähnliche Arbeitsbedingungen, massive Umweltzerstörung trotz des vielgelobten Pilotprojekts der G-8-Staaten zum Schutze der tropischen Regenwälder – na und?
Staatschef Lula hatte im Dezember die Indiostämme, aber auch den Umweltschutz als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung des Tropenlandes bezeichnet. Für die Verfasser des Menschenrechtsreports war das ein Alarmsignal, sie reagierten empört. Um die Wiederwahl von Staatschef Lula im letzten Oktober nicht zu gefährden, hatten die Sozialbewegungen 2006 immerhin weitgehend auf spektakuläre Protestaktionen, darunter die Besetzung brachliegender Ländereien oder staatlicher Einrichtungen verzichtet. Ebenso spektakuläre Repressionsmaßnahmen der Polizei waren deshalb größtenteils ausgeblieben, Gewaltexzesse etwas zurückgegangen. Die gutorganisierte Landlosenbewegung MST hatte das Motto ausgegeben: Mit Lula ist die Lage für uns schlecht, aber ohne ihn, unter einer Rechtsregierung, wäre sie weitaus schlechter. Staatliche Hilfen für arme Kleinbauern und Landarbeiter sowie ein strengeres Vorgehen gegen häusliche Gewalt, gegen brutale Machos, bewertet der neue Menschenrechtsreport positiv. Außerordentlich negativ sei die Förderung großer hochtechnisierter Agrarunternehmen durch Brasilia.
“Das Agrobusiness ist heute Motor der Menschenrechtsverletzungen in den Landregionen“, sagt Roberto Malvezzi, Umweltexperte der brasilianischen Bischofskonferenz. „Diese Agrarunternehmen exportieren Soja, Fleisch und Bioalkohol auch nach Europa und wollen ihre Anbauflächen ständig erweitern. Deshalb vertreiben sie Indiostämme und Kleinbauern von ihren angestammten Gebieten sogar durch Terror und Mord. Hinter scheinbar moderner Fassade verstecken diese Großfirmen nur zu oft Sklavenarbeit.“ Lula hatte versprochen, diese in seiner ersten Amtszeit abzuschaffen – doch in Lateinamerikas größter bürgerlicher Demokratie, der zehntgrößten Wirtschaftsnation, gibt es selbst laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation noch bis zu 40000 Sklavenarbeiter. Interessant und aufschlußreich, daß also bürgerliche Demokratie und Sklavenarbeit durchaus zusammenpassen, sich keineswegs ausschließen. Für Folter gilt das gleiche.
„Viele Indianerregionen“, so Malvezzi, „wurden noch nicht zu Reservaten erklärt, weil sich das Agrobusiness dort ausbreiten will. Indiolebensraum wird zum Streitobjekt.“ Den Verbrauchern in europäischen Staaten wie Deutschland sei all dies gewöhnlich überhaupt nicht bekannt, meint Malvezzi.
Auch deutsche Wirtschaftsmedien loben Biosprit über alle Maßen. Malvezzi hat Einwände: “Bioalkohol aus Brasilien wird stets als sauberer Kraftstoff bezeichnet. Wir sagen – aber nur, wenn man die enormen Umweltschäden und die Produktionsbedingungen, vor allem die grauenhafte Ausbeutung der Zuckerrohrarbeiter verschweigt. Bezieht man diese Faktoren mit ein, ist es kein sauberer Kraftstoff. Die entsprechende Propaganda Staatschef Lulas ist sehr fragwürdig. Immer mehr Regenwälder werden für noch mehr Zuckerrohrplantagen illegal abgeholzt. Den Beschäftigten verlangt man geradezu übermenschliche Leistungen ab, immer wieder sterben welche an Überanstrengung direkt am Arbeitsplatz.“

Malvezzi kritisiert auch den verhängnisvollen Sojaanbau - stimuliert durch die enorme Nachfrage aus Ländern wie Deutschland. Wegen des immer stärker geförderten Desinteresses an Umweltproblemen, auch dem Artenschutz, bleiben derartige Analysen, seit den neunziger Jahren angestellt, letztlich völlig wirkunglos.


Soja frisst den Regenwald

Vandana Shiva

Vor fünfzig Jahren hatte keine Kultur auf der Welt Soja auf dem Speiseplan. Dann begann man in den USA, sie in der industriellen Nahrungsmittelproduktion zu verwenden. Heute findet man sie in 60 Prozent aller verarbeiteten Nahrungsmittel. Die Förderung der Soja als Nahrungsmittel ist ein riesiges Experiment, das in den USA zwischen 1998 und 2004 mit 13 Milliarden US-Dollar vom Staat gefördert wurde. Dazu kommen 80 Millionen US-Dollar pro Jahr von der dort ansässigen Industrie. Das Ergebnis dieses Experiments ist die Untergrabung von Natur, Kultur und Gesundheit der Bevölkerung. Die Menschheit hat sich in ihrer Evolution von etwa 80.000 Nutzplanzen ernährt - von 3.000 in ständiger und systematischer Weise. Gegenwärtig liefern die Ernten von 8 Feldfrüchten die Basis für etwa 75 Prozent der Nahrungsmittel weltweit. 1998 ist das einheimische Speiseöl in Indien, das traditionell in handwerklichen Mühlen aus Senfkörnern, Kokosnuss, Sesam, Leinsamen und Erdnüsse kalt gepresst wurde, verboten worden - angeblich aus Gründen der "Ernährungssicherheit". Gleichzeitig wurden die Importbeschränkungen für Sojaöl aufgehoben. Diese Maßnahmen haben die Existenz von 10 Millionen Landwirten aufs Spiel gesetzt.

Millionen Tonnen von Ölen aus genetisch veränderter Soja - zu niedrig gehaltenen Preisen - werden weiterhin in den indischen Markt gepumpt. Dieselben Konzerne, die für solches Dumping verantwortlich sind, Cargill und ADM, zerstören gleichzeitig weite Flächen im Amazonas, um Sojapflanzungen anzulegen. Die Menschen in Brasilien und Indien werden durch die Förderung von Monokulturen, die nur den Interessen der internationalen Agroindustrie dienen, existentiell bedroht.

Aber auch die Menschen in Nordamerika und Europa sind davon indirekt betroffen. Fast 80 Prozent der Soja wird als billiges Futter für die Rinderzucht verwendet, ein Prozess der den Regenwald zerstört und beiläufig auch gesundheitliche Risiken mit sich bringt, da Soja hohe Konzentrationen an Isoflavone und Phyto-Oestrogene vorweist und hormonale Ungleichgewichte beim Menschen verursacht. Die Monokulturen führen zu Mangelernährung sowohl bei den Unternährten wie auch bei den Überernährten. Eine Milliarde Menschen leiden unter Nahrungsmangel, weil die Monokulturen ihnen die Existenzgrundlage in der Landwirtschaft geraubt haben. Gleichzeitig leiden 1,7 Milliarden Menschen an Fettsucht und Krankheiten durch Fehlernährung.

Die kleinen und mittleren Landwirtschaften mit biologischer Vielfalt haben nachweislich eine höhere Produktivität und schaffen ein höheres Einkommen für die Bauern. Die Ernährungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger hängt aber von der Biovielfalt ab. Wir verlieren nicht nur den Regenwald des Amazonas, der bis 2080 völlig verschwunden sein wird, wenn das bisherige Tempo der Regenwaldrodungen beibehalten wird, sondern zerstören auch das Klima unseres Planeten. Der Amazonas ist die Lunge und das Herz der Erde. Hier wird nicht nur CO2 aus der Atmosphäre abgebaut und in Sauerstoff verwandelt, sondern auch Feuchtigkeit an die Passatwinde abgegeben. Im Ausmaß, in dem Wälder zerstört werden, verringert sich die Luftfeuchtigkeit und die Dürren nehmen zu.


Vandana Shiva, Schriftstellerin und Aktivistin für die Rechte der Frauen und den Umweltschutz. Sie erhielt 1993 den Right Livelihood Award - den alternativen Nobelpreis.

Berliner Zeitung, 06.01.2007

Deutschlands größter "Umweltschutzverband" NABU hat zum Biokraftstoffproblem eine der üblichen Alibi-Erklärungen veröffentlicht. Wie der offizielle NABU tatsächlich zu Natur und Umwelt steht, läßt sich u.a. an der konkreten Haltung zum Artenschutz sowie zur Errichtung von Windkraftwerken in zuvor von umweltvernichtender Industrie verschonten Regionen Deutschlands ablesen. Wie stets ist interessant, welche Argumente in solchen Alibi-Erklärungen fehlen.


NABU fordert Mindestkriterien zur Herstellung und Nutzung von
Biokraftstoffen

2007/01/20 07:01

Pressemeldung von: Naturschutzbund Deutschland (NABU)

Der NABU hat zum Start der Internationalen Grünen Woche in Berlin vor
überzogenen Erwartungen an der Nutzung von Biomasse als Kraftstoff gewarnt.
Angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels und der Abhängigkeit von
Erdölimporten, könnten und müssten Biokraftstoffe einen entscheidenden
Beitrag zur Kraftstoffbereitstellung leisten. *Sie sind aber kein
Allheilmittel zur Senkung der Klimabelastung im Automobilsektor, warnte Olaf
Tschimpke, Präsident des NABU.

Eine Strategie zur Senkung der Klimagasbelastung durch den Kfz-Verkehr
müsse den Gesamtverbrauch der Fahrzeuge berücksichtigen.
*Biokraftstoffe können nur in Kombination mit deutlich sparsameren
Fahrzeugen zu einer höheren Klimaverträglichkeit des Verkehrs beitragen,
so Tschimpke. Der NABU-Präsident forderte EU-Industriekommissar
Verheugen und Bundesumweltminister Gabriel auf, der Automobilindustrie weder
zum aktuellen noch zu zukünftigen CO2-Reduktionszielen die Verwendung von
Biokraftstoffen anteilig als Gutschriften anzurechnen. Der Klimagasausstoß
von Neufahrzeugen müsse in den nächsten fünf Jahren um mindestens 25 Prozent
reduziert werden. *Deutschland hat mit der EU-Präsidentschaft die Chance,
ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu bringen, das verbindliche
Reduktionsziele in der EU bereits ab 2009 vorschreibt, sagte Tschimpke.

Der kürzlich vorgestellte EU-Fortschrittsbericht zur Biokraftstoffrichtlinie
schlage zwar ein realistisches Ausbauziel von 10 Prozent Biokraftstoffen am
Gesamtkraftstoffmarkt bis zum Jahr 2020 vor. *Es wurden aber keine
ökologische Mindestkriterien zur Herstellung definiert, bemängelte der
NABU-Präsident. *Es ist zu befürchten, dass die Mineralölkonzerne auf
vergleichsweise günstiges Palmöl und Ethanol auf dem Weltmarkt zurückgreifen
und damit den Druck auf tropische Regenwälder dramatisch erhöhen, so
Tschimpke. Notwendig seien ein international wirksames Zertifizierungssystem
sowie eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitsverordnung zum
Biokraftstoffquotengesetz. *Wir machen uns etwas vor, wenn wir
Biokraftstoffe per se als *grüne Energie bezeichnen. Sie sind dies nur dann,
wenn sie eine positive Öko- und Energiebilanz aufweisen, sagte Tschimpke.

Für Rückfragen:
Dietmar Oeliger, NABU-Referent für Verkehrspolitik,
Telefon 030-284984-28 oder mobil 0172-9201823.
Im Internet zu finden unter www.NABU.de

Klaus | 26.12.06 20:10 | Permalink