« "Hau ab, Mann, mach Theater für deine Deutschen!" | Hauptseite | »Es betrifft Hunderttausende« »

Biomasse-Boom: Umweltschützer warnen vor Waldkahlschlag und Monokulturen bei Raps, Mais und Ölpalmen

"Wir brauchen dringend Anbaustandards, um zu verhindern, daß nach dem Soja-Boom nun auch noch die Palmöl-Plantagen den Regenwald in großem Umfang zerstören", mahnt auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel(SPD)...
Kommentar von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro:

Sigmar Gabriel ist falsch informiert. Der Soja-Boom ist nicht beendet. Er geht in Brasilien, und in Bolivien, jetzt gerade erst so richtig los. Außerdem wird in Brasilien auch für den Anbau von Sonnenblumen für Biodiesel geworben - was denselben landzerstörenden Effekt hat wie die Soja-Plantagen.

Außerdem geht es *nicht* um *Anbaustandards* von Palmöl- oder Soja-Plantagen. Egal wie toll diese Standards ausfallen mögen, sie zerstören in jedem Fall das vorhandene ökosoziale System und das führt zur Auslöschung von traditionellen Anbaukulturen bzw. Lebensweisen in Ländern wie Brasilien oder Indonesien (West-Papua), wo die Ökosysteme bereits *jetzt* durch den Biodiesel-Boom zerstört werden.

Deutschland hat an diesem Biodiesel-Boom dank seiner Techniker und seiner so genannten Entwicklungshilfe einen maßgeblichen Anteil: In Brasilien beispielsweise verweist die Regierung immer auf Deutschland, wenn es darum geht, den Biodiesel-Boom zu propagieren.

http://www.abendblatt.de/daten/2006/11/30/646248.html

Klimaschutz: Der Umstieg auf umweltfreundliche Brennstoffe kann mehr schaden als nützen, warnen Fachleute

Diesel sauber - Regenwald tot?

Ölpalmen verdrängen Tropenbäume, Raps-Anbau setzt Treibhausgase frei, und dank des Booms bei Brennholz droht deutschen Forsten Kahlschlag, fürchten Ökologen: "Wir tun des Guten zu viel."

Malaysia, unweit der Hauptstadt Kuala Lumpur: Ölpalmen so weit das Auge reicht, exakt in Reih und Glied gepflanzt. Das vielstimmige Konzert des Regenwaldes, der hier einst wucherte, ist verstummt. Aus dem Meer der Plantagenbäume dringt kein Laut. Dies ist kein Lebensraum mehr, es ist eine Ölquelle für Industrieländer, die womöglich bald auch deutsche Autos antreiben wird. Palmöl gehört zu den Bio-Treibstoffen, die derzeit als Zukunftsenergien gepriesen werden, weil sie das Klima schützen helfen. Aber zu welchem Preis? Ist der Mensch gerade dabei, mit der Lösung des einen Problems neue Probleme zu verursachen?

Das Zauberwort heißt Biomasse. Pflanzen fast jeder Art sollen nahezu klimaneutral Kraftstoff, Strom und Wärme liefern. Doch schon zeichnet sich beim - grundsätzlich begrüßenswerten - Gegensteuern in Sachen Luftverschmutzung ein Übersteuern ab.

Beispiel Holz. Jahrzehntelang wurden die deutschen Wälder kaum gepflegt, weil der Aufwand hoch und der Ertrag niedrig war. Doch plötzlich, seit der Biomasse-Boom ausgebrochen ist und immer mehr Verbraucher Alternativen zu teurem Öl und Gas suchen, kehrt sich alles ins Gegenteil: Sogenanntes Schwachholz wird am Markt ganz stark, macht als Hackschnitzel- und Pellet-Brennstoff eine steile Karriere.

In nur fünf Jahren hat sich der Verbrauch von Brennholz in Deutschland fast verdoppelt - auf 20,7 Millionen Kubikmeter. "Die Förster müssen sich dem wachsenden Holzhunger beugen. Die werden massiv unter Druck gesetzt, möglichst viel und schnell Holz zu beschaffen", klagt Ralf Straußberger, Waldreferent beim Umweltverband BUND. "Wir stellen einen Trend zum Kahlschlag fest." Noch gebe es in deutschen Forsten genug Reserven, kontern die Waldbesitzer, die Prinzipien der Nachhaltigkeit würden streng eingehalten. Das ist auch dringend nötig. Denn übernutzte Wälder sind ökologisch so wertlos wie ein totgepflegter Zierrasen, auf dem schon ein Regenwurm-Kothäuflein dumm auffällt.

Beispiel Bio-Kraftstoff. In asiatischen Tropenländern sind es Palmöl-Plantagen, in Deutschland Raps- und Maisäcker, die bereits ganze Landstriche beherrschen. Bei den Bio-Energien ist der Begriff "bio" nicht mit dem gleichnamigen Prädikat für den Öko-Landbau zu verwechseln, denn dieses gilt nur für den Anbau von Nahrungsmitteln. "Bio"-Treib- oder -Brennstoff hingegen wächst in intensiven Monokulturen, oft unter hohen Gaben von Pestiziden und Kunstdünger. Der massenhafte Anbau sei des Guten zu viel, warnen Ökologen.

Mittlerweile reifen in Deutschland auf fast 1,5 Millionen Hektar (13 Prozent der gesamten Ackerfläche) Energiepflanzen heran, auf gut zwei Drittel der Fläche allein Raps für Bio-Diesel. Das Umweltbundesamt rechnet überdies vor, dass das Rapsöl-Produkt keineswegs klimaneutral ist. Denn die Herstellung braucht fossile Energieträger, und beim Anbau werden Treibhausgase frei: Als Folge der Stickstoffdüngung entweicht Lachgas in die Atmosphäre - es ist ein 300-mal wirksameres Treibhausgas als das Kohlendioxid der fossilen Brennstoffe. Will man nur ein bis vier Prozent der Treibhausgas-Emissionen herkömmlicher Dieselfahrzeuge vermeiden, müsste auf der Hälfte der deutschen Ackerfläche in einer vierjährigen Fruchtfolge Raps wachsen.

Beispiel Biogas: "Ich war ein großer Verfechter von Biogas-Anlagen", sagt Eberhard Henne, Vorstand von Europarc Deutschland, dem Dachverband aller deutschen Schutzgebiete, "aber wenn ich jetzt die Mais-Monokulturen sehe . . .". Es lohnt sich längst, zur Biogas-Produktion neben Gülle und organischen Abfällen auch gehäckselte Pflanzen zu vergären, die extra dafür angebaut wurden - und das intensiv.

Es geht auch anders, betont Michael Succow, Professor für Ökologie an der Universität Greifswald. Er setzt sich vehement für die Wiederbelebung von Mooren ein, damit diese ihre Funktion als Klimaschützer ausüben und das Treibhausgas Kohlendioxid speichern können. In den Mooren könnten Erlen und Schilf wachsen, die dann zu Brennstoff verarbeitet werden, der in jeder Hinsicht "bio" ist. Aber damit lässt sich womöglich weniger Geld verdienen.

Der große Flächenbedarf der Energiequelle Acker legt nahe, dass ein dicht besiedeltes Land wie Deutschland einen Teil seiner Bio-Energie importieren wird. Hier kommt der Alleskönner Palmöl ins Spiel. Das Produkt aus den Tropen hat schon vor zwei Jahrzehnten, als die damaligen schwer abbaubaren Waschmittel den Flüssen zusetzten, als ökologische Patentlösung herhalten müssen und Karriere in den Industrieländern gemacht. Palmöl findet sich in Margarinen und Eiscremes, Kaffeeweißern, Frittierfetten, Waschmitteln, Kerzen, Lippenstiften - und ist nun auf dem Weg, zum Brenn- und Treibstoff zu werden.

Erste Kraftwerke und Raffinerien entstehen in Europa, um den tropischen Energieträger zu vermarkten. Dies bringt Regenwaldschützer auf die Palme. Schon heute müssen jährlich etwa eine halbe Million Hektar Regenwald für die Anpflanzung der Öl-Plantagen weichen. Damit werden nicht nur wertvolle Lebensräume zerstört, sondern wird auch das Klima geschädigt - das es doch gerade zu beschützen gilt. Ökologe Succow rechnet vor: "Jede Tonne Palmöl vermeidet den Ausstoß von drei Tonnen Kohlendioxid (CO2) aus Mineralöl. Aber sie setzt gleichzeitig sieben bis elf Tonnen CO2 frei." Denn: Der Kohlenstoff war zuvor klimasicher im Regenwaldboden gespeichert. Doch die Anlage der Plantagen setzt Prozesse im Boden in Gang, bei denen CO2 entsteht und in die Atmosphäre aufsteigt.

"Wir brauchen dringend Anbaustandards, um zu verhindern, dass nach dem Soja-Boom nun auch noch die Palmöl-Plantagen den Regenwald in großem Umfang zerstören", mahnt auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), betont aber, dass diese Standards weltweit gültig sein müssen und deshalb Sache der Welthandelsorganisation WTO seien. Bislang ist die WTO nicht gerade dafür bekannt, strenge Umweltstandards auf dem Weltmarkt zu setzen, dient sie doch vornehmlich dem Freihandel. Bei der Biomasse-Euphorie könnte deshalb früher oder später gelten: Das Gegenteil von "gut" ist "gut gemeint".

Dabei ist es wenig tröstlich, dass dies nicht nur den Energiebereich betrifft. So wurde im Zug der Rinderwahn-Vorsorge die Verfütterung von Tiermehl komplett verboten, auch an Schweine und Hühner, die gar nicht an BSE erkranken. Der entstandene Eiweiß-Engpass wird vor allem durch erhöhte Soja-Importe ausgeglichen. Folge: In Lateinamerika verdrängen die Bohnen immer mehr Regenwald sowie Ureinwohner und Kleinbauern, die in und von diesen Wäldern leben. "Im Jahr 2000 kauften die ersten Großfarmer aus dem Süden etwas Land auf. Dann kamen immer mehr und verwandelten unsere Region nach und nach in eine Soja-Wüste", sagt der Kleinbauer Silvino Pimentel Vieira aus dem nordbrasilianischen Bundesstaat Pará. Trotz Gegenwehr verlor er seine 25 Hektar Land und damit die Lebensgrundlage.

Ob Nahrungsmittel oder Energiebedarf, Mobilität oder Mobiliar - ein hoher Lebensstandard in Industrienationen wie Deutschland hinterlässt besonders große "ökologische Fußabdrücke" auf dem Planeten. Mit etwas gutem Willen ließen sich aber zumindest die übergroßen Stiefel gegen leichteres, passendes Schuhwerk austauschen, um die Trittspur zu verkleinern. Das funktioniert aber nur, wenn ökologischen Lösungen nicht überstrapaziert werden, um die neu entstandenen Märkte maximal auszubeuten. Denn das verheizt die Erde - mit oder ohne Holz.


Klaus | 11.01.07 21:25 | Permalink

Kommentare

schoen geschrieben!

Verfasst von: Schmuddelblogs | 26.09.07 20:05

Kommentar schreiben

-->

(Wenn Du auf dieser Site noch nie kommentiert hast, wird Dein Kommentar eventuell erst zeitverzögert freigeschaltet werden. Danke für Deine Geduld.)



Please enter the security code you see here