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Polen: Kampfbegriffe und Worthülsen

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Der Tempel - Lebenswerk des neuen polnischen Zaren Lech Kaczyński

Vergangenen Mittwoch feierte die neue polnische Regierung ihre ersten 100 Tage. Die national-religiöse Gleichschaltung von Politik, Wirtschaft und Kultur zieht nun auch privilegierte liberale Schichten an, die eine neue Anhängerschaft der Nationalen bilden

„Die Demokratie ist in Polen nicht gefährdet. Dagegen ist das bisherige Lager (układ) in Gefahr und mit diesem Lager werden wir kämpfen. Wir werden es moralisch vernichten. Das ist unsere Mission” beschwor vergangene Woche Jarosław Kaczyński, der Parteivorsitzende der rechts-konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Abgeordneten während der Debatte zu den ersten 100 Regierungstagen im polnischen Parlament. Die Gleichschaltungspolitik der Kaczyński-Zwillinge Jarosław und Lech integriert zunehmend neue politische Gruppen. In einer Umfrage des renommierten Meinungsforschungs- Institutes CBOS sprachen im Januar 70% der Befragten ihre Unterstützung für Premier Marcinkiewicz aus. Der politische Gegner –„Das Lager“ wird absichtlich vage gehalten um beliebige Feindbilder zu bedienen und so eine breite Anhängerschaft zu sichern.

Die Menschen können endlich stolz sein auf ein außenpolitisch mutiges Polen das sich vom Cliché des Bittstellers befreit hat und sich von eigenen politischen Interessen leiten lässt. Die Bauindustrie freut sich über riesige Vorzeigeobjekte wie der „Tempel des Göttlichen Schicksals“ in Warschau den die Regierung gleich mit 5 Mio. Euro dotiert oder die Ankündigung des Baus eines „Stadions der Nation“. Auf der anderen Seite werden „unpolnische“ KritikerInnen vom Markt verdrängt: aus der staatlichen Fluggesellschaft LOT wurden linke Zeitungen wie die „Trybuna“ entfernt und mit der rechtsextremistischen Tageszeitung „Nasz Dziennik“ [Unsere Tageszeitung] - dem Zentralorgan von Radio Maryja ersetzt.

Die angebliche moralische Erneuerung und Transformation Polens in eine vierte Republik verbindet eine sozialreformatorische Phraseologie mit der Begeisterung für nationale Tugenden und religiöser Werte. Die verbale Bekämpfung der Korruption scheint vor allem Enttäuschte WählerInnen anzuziehen. Um diesen Schein zu wahren trennte sich die Regierung - nach dem bekannt werden zweifelhafter Börsenspekulationen – vom Schatzministers Andrzej Mikosz. Die Erneuerung auf der Ebene des Sozialen wird dafür mit einer unternehmerfreundlichen Ökonomin durchgesetzt. Die neue Finanzministerin Zyta Gilowska hatte noch bis vor kurzem der neoliberalen „Bürgerplattform“ (PO) angehört, und auch deren Wirtschaftprogramm geschrieben. Vor dem Hintergrund einer monatelangen Auseinandersetzung für eine Stimmenmehrheit zur Verabschiedung des Haushaltes sah sich die PiS genötigt der oppositionellen PO die TheoretikerInnen wegzukaufen.

Auf der anderen Seite schloss sie mit der rechtsextremistischen Bauernpartei Samoobrona und der Liga der Polnischen Familien (LPR) einen Stabilitäts-Vertrag, der in Zukunft die Abstimmungsmehrheit – zunächst für ein Jahr – sicherstellen soll. Zu einer diesbezüglichen Pressekonferenz wurden ausschließlich ReporterInnen von Radio Maryja und der Telewizja Trwam zugelassen. Mit Besuchen des Premiers in Altersheimen und einer bis dahin unbekannten medialen Selbstdarstellung vertrauen paradoxerweise gerade ausgegrenzte Gruppen, die nie in den Genuss medialer Aufmerksamkeit gekommen sind – dem neoliberalen Programm.
Es ist jedoch ein großes Missverständnis die konservative Revolution in Polen allein an der nationalistischen PiS festmachen zu wollen.

Die nationalistische Sprache versucht den Sozialismus vom Sozialismus zu säubern und in Gestalt eines Korporationismus - hierzulande auch als „Deutschland AG“ bekannt - eine Vermählung von Ausbeutern und Ausgebeuteten in einer „solidarischen Gesellschaft“ voranzubringen. Dies ist die Grundlage für die zunehmende Akzeptanz der Nationalkonservativen nicht nur unter Neoliberalen sondern auch Linksliberalen.
Ein Polen das der EU auch mal Nein sagen kann und außenpolitisch Erfolge wie im Irakkrieg, der Ukraine und bald wohl in Weißrussland einfährt, spricht auch sog. Intellektuelle an. Die Verherrlichung der rechts-konservativen Hegemonie bringt so seltsame Früchte, wie das überdimensionale Bild „Abendmahl“ von Maciej Świeszewski das kurz nach dem Wahlsieg der PiS bei einem Intellektuellen-Kongress vorgestellt wurde. Auf dem Bild wurden statt der 12 Apostel, 12 zeitgenössische Personen verewigt wären die zum elitären Establishment der Stadt Gdansk (Danzig) gehören. Erstaunlich ist dabei nur, dass die meisten Jünger die mit Jesus am Tisch sitzen eher der neoliberalen Platforma Obywatelska (PO) nahe stehen und nicht der PiS mit welcher die erhoffte Regierungskoalition letztendlich scheiterte.

Die neoliberale PO hat es geschafft sich sowohl im Westen als auch für die sog. Intellektuellen in Polen als neutrales, „apolitisches“ (sprich objektives) Zentrum zu profilieren das den primitiven Radau-Antisemitismus verurteilt.

Der linke polnische Philosoph Piotr Szumlewicz hat die Strategie der Entpolitisierung der wichtigsten Lebensbereiche der polnischen Gesellschaft untersucht. Dabei arbeitete er heraus dass der mediale Kreuzzug der neoliberalen PO gegen das „Politische” lediglich der Legitimierung des freien Marktes und der „Desertierung des Staates von seinen sozialen Verpflichtungen“ darstellt und sich dabei mit der PiS deckt. Aus dieser Perspektive ist der Protest der Bergarbeiter und Krankenschwestern gegen Entlassungen oder die Einforderung nicht ausgezahlten Lohns eine unzulässige „populistische Politisierung“: „In den meisten Fragen ist die Haltung der PO identisch wie der rechtsextremen LPR und der PiS. Donald Tusk und Jan Maria Rokita von der PO schaffen es jedoch bislang ihre aufgeklärte Pose als Kompromiss darzustellen. Zugleich werden andere rechte Parteien die für dieselben Inhalte eintreten als Extremisten, Antisemiten und Rechte dargestellt.“

Dabei spielt die größte polnische Tageszeitung, die neoliberale Gazeta Wyborcza eine besondere Rolle. Unbestreitbar herrscht in Polen eine religiös gefütterte latente Judenfeindlichkeit, die verbunden ist mit einem traditionellen Antikommunismus. Die Gazeta hat die Standards gesetzt um GlobalisierungsgegnerInnen, Arbeitslose und Protestierende als primitiv bzw. antisemitisch zu stigmatisieren. Fraglich ist dann warum sie Rechtsextremisten und Neofaschisten wie Marcin Libicki (Ex „Prawica Narodowa“) oder Stefan Niesiołowski permanent ein Forum bietet. Ersterer forderte in der Gazeta den Abriss einer Synagoge in Poznań und letzterer bezeichnet die durch Polen ermordeten Juden in Jedwabne als Volksdeutsche, um so den Mord zu relativieren und zu rechtfertigen. Der Antisemitismus unter den Liberalen gilt hier als opportunistische Charakterlosigkeit. Unterdessen wirkt dieser disqualifizierend bei streikenden ArbeiterInnen die keine linke Sprache kennen und Spielball der Entpolitisierung wurden. Die gebildeten Schichten äußern ihren Ekel vor dem Antisemitismus und bleiben weiter Elegant und Europäisch. Dieses Vakum füllt ein national-klerikaler Diskurs und die ungespielte Anteilnahme von Radio Maryja für die „Armut der Polen“. Die Urheberschaft der sozialen Missstände wird vernebelt und mit „bewährten“ antisemitischen und schwulen = europafeindlichen Erklärungsmustern gedeutet.

Die Depolitisierung ist in Polen gerade deshalb so gefährlich weil mit dem Model eines apolitischen Staates ohnehin desillusionierte breite Teile der Gesellschaft nicht daran Denken ihre Rechte einzufordern. Die Übernahme dieses Diskurses durch linksliberale Warschauer Intellektuellen-Salons lähmt seit Jahren die ganze linke Szene.
Eine Zivilgesellschaft selbst nach bürgerlicher Leseart existiert in Polen nicht. Die Finanzunterstützung der EU und westlicher NGOs verstärkte nur eine Entwicklung bei der nicht die Gesellschaft aufgeklärt wurde sondern einige wenige NGOs zu Unternehmen mutierten, die an einer Konkurrenz nicht interessiert sind So entstand das Phänomen der „Grant-ciarze“ (aus dem Englischen Zuwendung) – BerufsaktivistInnen die angeblich für Demokratie und gegen Antisemitismus kämpfen. Eine Veränderung liegt jedoch nicht in ihrem Interesse. Sie fliegen Business Class durch die Weltgeschichte und erzählen in Vorträgen wie schlimm die konservative PiS ist und wie schwer es EuropäerInnen in Polen haben.

Dabei macht man zuweilen bemerkenswerte Erfahrungen. Bei einer Veranstaltung der polnischen Grünen lernte die französische Journalistin Emmanuelle Piriot eine Gruppe von StudentInnen der Politikwissenschaften kennen: „Denken Sie nicht wir setzten uns ein für solche … Leute.“ Das Wort „Schwule“ kam dem Studenten nicht über die Lippen. Die Studierenden bekamen die Aufgabe an Veranstaltungen der größten Parteien teilzunehmen um deren Positionen dann als Spiel im Seminar an der Universität zu vertreten. „Wenn sie uns fragen, würden wir selbstverständlich die PO wählen. Das ist heute die einzige moderne europäische Partei“ sagt der junge Student. Auch eine Mitarbeiterin der Frauenorganisation La Strada sieht in dem Wahlerfolg von PiS keinen Weltuntergang. La Strada setzt sich für die Bekämpfung des Menschenhandels ein und unterstützt Prostituierte. Zu der Antidiskriminierungs-Demo würde sie aber nicht gehen wollen: „Für uns hat sich mit Kaczyński nichts wesentliches verändert. PiS will gegen Korruption kämpfen und insoweit haben wir gemeinsame Interessen, da Frauenhandel und Korruption miteinander verbunden sind."

Einen Paradigmenwechsel könnte dabei die Aktivität der Gewerkschaft "Sierpień 80" spielen. In den vergangenen Tagen war "Sierpień`80"maßgeblich daran beteiligt in 20 Städten Polens zusammen mit Attac u. a. Demonstrationen gegen die Verletzung des Arbeitsrechts zu organisieren. Im Februar war sie Mitbegründerin des KPiORP (Komitee zur Unterstützung und Verteidigung Repressionierter Arbeiter). Hintergrund war die rechtswidrige Entlassung von drei Gewerkschaftsaktivisten: des Vorsitzenden der NSZZ "Solidarność" in der Posener Schokoladenfabrik Goplana Dariusz Skrzypczak, des Betriebsvorsitzenden der OZZ Inicjatywa Pracownicza der Textilfabrik Unionteks in Łódź Sławomir Kaczmarek sowie des Vorsitzenden des WZZ "Sierpień`80" im Bergwerk "Budryk" in Ornontowice (Schlesien) Krzysztof Łabądź.

Die Gewerkschaft "Sierpień`80" (eine Abspaltung der großen Solidarność) und die mit ihr verbundene Partei-Neugründung Polska Partia Pracy (PPP) hätten das Potential eine Wandel der polnischen Linken einzuleiten. Umso mehr als das die Partei für die polnische Parteienlandschaft bislang beispiellose Transformation von rechts nach links vollziehen könnte. Deren bisheriger Führer Daniel Podrzycki starb am 24. September 2005 einen Tag vor den Parlamentswahlen in einem Autounfall.

Bei den Wahlen 1997 arbeitete Podrzycki mit den Neofaschisten der NOP und dem Rechtsextremistischen General Tadeusz Wilecki sowie Andrzej Lepper (Chef der Samoobrona) zusammen und stellte mit ihnen eine gemeinsame Wahlliste auf. Seit Oktober 2005 ist Bogusław Ziętek neuer Leiter der PPP und zugleich Chef der Gewerkschaft "Sierpień`80". Bei den letzten Wahlen wurden bekannte Linke PolitikerInnen wie die Prof. Maria Szyszkowska aufgestellt. Die PPP hat bislang ihren Bruch mit der Vergangenheit jedoch nicht öffentlich vollzogen und stellt deshalb den Wandel ihrer Identität in Frage.

Michal Stachura | 23.02.06 18:19 | Permalink

Kommentare

Polen's Entwicklung ist eine offene Provokation gegen die Charta der Europäischen Grundrechten. Schon aus diesem Grund ist ihre fachistoide Regierung zu isolieren.

Verfasst von: vaterlandslose-gesellen | 14.05.06 08:21

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