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Berlin auf der Suche nach dem verlorenen Osten?

Die polnischen Krankenschwestern, die wochenlang gegen soziale Missstände protestierten, erhielten unerwartet viel Zuspruch. Die Gewerkschaft Sierpien 80 war von Anfang an dabei, wird aber aus Deutschland kritisiert.

von Maike Pradera (Warschau)

»Das haben selbst größte Optimisten nicht für möglich gehalten«, sagt Dorota Szlufik, die Vorsitzende der Gewerkschaft der Krankenschwestern. Hunderte Krankenschwestern hatten sich wochenlang am Streik im »weißen Zeltlager« vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten in Warschau beteiligt. Massive soziale Probleme hatten sie auf die Straße getrieben. Vor zwei Wochen haben sie ihr Zeltlager abgebrochen, aber der Protest soll Ende August weitergehen.

Trotz des Hungerstreiks von drei Kolleginnen und einer enormen Unterstützung durch die Warschauer Bevölkerung konnten sie sich mit ihren Lohnforderungen bisher nur teilweise durchsetzen.

Dem Gerede der Regierung vom »solidarischen Polen« haben die Bürger ihre eigene Solidarität entgegengesetzt. Anwohner brachten den Frauen Getränke, erledigten Einkäufe, stellten ihre Bäder und Toiletten zur Verfügung. Einige Unterstützer eröffneten sogar eine »weiße Universität«. Dort sprachen u.a. der Historiker Karol Modzelewski, die Feministin Kazimiera Szczuka oder die Filmemacherin Agnieszka Holland.

Bei so viel Unterstützung aus der Bevölkerung war der Regierung jedes Mittel recht, um die Bewegung zu spalten. Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza veröffentlichte einen Einsatzbefehl, den die Antiterrorabteilung des Warschauer Polizeipräsidiums an alle regionalen Polizeistellen verschickt hatte und in dem sie die Mitarbeiter aufforderte, »Informationen über die Streikenden und sie unterstützende Personen zu sammeln«. Als der Skandal aufgedeckt wurde, erklärte Mariusz Sokolowski, Pressesprecher der Warschauer Polizei, lapidar, es habe sich dabei um einen Routinevorgang gehandelt. Man wolle die »Krankenschwestern vor der Infiltration durch Gewalttäter und Anarchisten schützen«.

Die Regierung versuchte zudem, den Protest auf allen Ebenen zu diffamieren. Den Krankenschwestern wurde nachgesagt, für die Staus und Verspätungen in der Stadt verantwortlich zu sein und ihre Patienten zu vernachlässigen. Dabei führten die Schwestern im Zeltlager sogar unentgeltliche Untersuchungen durch. Daher schlug die Stimmung, die zunächst gegen die Krankenschwestern vorherrschte, um.

In Wirklichkeit sei es darum gegangen, die Protestbewegung mit einer gezielten Provokation zu ersticken, erläutert Boguslaw Zietek, der Vorsitzende der Gewerkschaft Sierpien 80. Nach der Unterstützung durch zahlreiche Krankenhäuser und Ärzte, die ebenfalls in den Streik traten, hatte die Regierung Angst, die Lage nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Die Sierpien 80 unterstützte den Streik von Anfang an. Die Krankenschwestern baten die Bergleute, die aus Katowice angereist waren, um Schutz, nachdem Provokateure versucht hatten, die friedlichen Demons­tranten in eine Auseinandersetzung mit der Polizei zu verwickeln. »Wir haben auch Leute rausgeschmissen, die antisemitische Flugblätter verteilen wollten, um der antikapitalistischen Ausrichtung der Proteste einen anderen Charakter zu geben«, berichtet Zietek.

Die Gewerkschaft Sierpien 80 spaltete sich nach 1989 von der Gewerkschaft Solidarnosc ab. Vor einem Jahr war sie maßgeblich daran beteiligt, ein »Komitee zur Unterstützung und zum Schutz von Repression betroffener Arbeiter« zu gründen. Als einer der wenigen linken Organisationen gelang es dem Komitee, ein beachtliches Protestpotenzial hervorzubringen und die radikale Linke aus dem Schattendasein herauszuholen. Zahlreiche globalisierungskritische Organisationen sind dem Komitee beigetreten und sehen darin eine Möglichkeit zur Erneuerung der Linken.

Kritik an der Sierpien 80 kommt dagegen vom Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Deren Leiter Holger Politt hat in einem Artikel der PDS-Zeitschrift parlament von links klar gemacht, dass er lieber auf die alten postkommunistischen Kader der SLD, einer Nachfolgepartei der ehemaligen Einheitspartei, setzt. Politt wirft der Sierpien 80 vor, ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet zu haben.

Der Vorwurf ist nicht unbegründet. Hatte doch ein Teil der Gewerkschaftsfunktionäre von Sierpien 80 Ende der neunziger Jahre zeitweise die Wahlallianz Alternatywa Ruch Spo?eczny (Alternative Soziale Bewegung) unterstützt, ein Bündnis von 47 Gruppierungen mehrheitlich nationalistischer Provenienz. Dieses exotische Bündnis unterstützten damals allerdings auch die polnischen Grünen. »Das war ein Fehler, aus dem wir gelernt haben. Wir ließen uns von dem Charakter des damaligen Bündnisses täuschen«, gibt Zietek zu. »Angesichts einer starken Bauern­bewegung Ende der Neunziger, die mit direkten Aktionen und Straßenblockaden die Politik bestimmte, unterstützten wir die nationalistische Bauernpartei Samoobrona, doch nach ihrem Wahlsieg hat sie sich von ihren antikapitalistischen Wurzeln entfernt«, fügt Zietek hinzu. Die Samoobrona unterstützte damals allerdings auch den rechtsextremen General Tadeusz Wilecki als Präsidentschaftskandidaten.

Die Globalisierungskritikerin Marta* glaubt aber, dass die Kritik an der Vergangenheit der Sierpien 80 nur vorgeschoben ist. Das Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung verteile großzügig finanzielle Zuwendungen und übe so Druck auf die sozialen Bewegungen aus. Politt bevorzugt eine Allianz mit der SLD, Marta zufolge fördert er deshalb mit etwa 100 000 Euro jährlich die ZZG, eine andere Bergbau-Gewerkschaft. Die ZZG unterstützte 2005 neben Kandidaten der SLD auch den Samoobrona-Abgeordneten Raj­mund Moric. Nach Herrenmenschenmanier werde Globalisierungskritikern nahe gelegt, auf Distanz zum »Komitee zur Unterstützung und zum Schutz von Repression betroffener Arbeiter« zu gehen, wenn sie auf künftig Geld aus Berlin erhalten wollten, meint Marta. Würden sie dem Folge leisten, wäre dies ein erbärmliches Zeugnis für den Zustand der polnischen Linken, deren Aktivitäten dann mit Förderzusagen aus Berlin stehen oder fallen würden.


*Name von der Redaktion geändert

Gleichzeitig erschienen in Jungle World # 32 vom 09. August 2007

Siehe auch:

Schriftliche Anfrage der Europa-Parlament-Abgeordneten Eva-Britt Svensson (GUE/NGL) an den Rat 26. Juni 2007

Gespaltenes Land
Die neoliberale Regierung der Gebrüder Lech und Jaroslaw Kaczynski vernachlässigt Lohnentwicklung und Berufsausbildung. Eine schwache Gewerkschaftsbewegung und eine kaum entwickelte Linke können nichts dagegenhalten (Junge Welt vom 19.06.2007)

Michal Stachura | 09.08.07 10:24 | Permalink