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Im Tal der grauen Wölfe

«Kurtlar vadisi Irak»
von Andreas Fanizadeh

Ein türkischer Blockbuster sorgt jetzt auch in Westeuropa für Furore. Türkische Agenten machen mit Krummdolchen Jagd auf ungläubige US-Soldaten in Kurdistan.

Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen hat sich noch nicht gelegt, da steht bereits neues Ungemach ins Haus. Der Film «Tal der Wölfe» (im Original «Kurtlar vadisi Irak») hat in der Türkei mehrere Millionen ZuschauerInnen ins Kino gelockt. In- und ausländische KritikerInnen werfen der mit zehn Millionen Euro angeblich «teuersten türkischen Kinoproduktion aller Zeiten» einen aggressiv antiamerikanischen und antisemitischen Hintergrund vor. Nun ist der Streifen des Regisseurs Serdar Akar auch in Westeuropa zu sehen, zumindest überall dort, wo es eine nennenswerte türkische Community gibt. Und auch hier strömen die Massen. Konservative Feuilletons befürchten schon eine Fortsetzung des «Kampfs der Kulturen» in ihren westeuropäischen Vorstädten.
(erschienen in der WOZ vom 23.02.2006)

Montagabend im Berliner Stadtteil Neukölln. Nach Schweizer Massstäben ist dies ein heruntergekommener proletarischer Stadtteil und auch nach deutschen einer mit sehr hohem MigrantInnenanteil. In einem Einkaufscenter zeigt das Multiplexkino Karli «Tal der Wölfe», in türkischer Originalversion mit deutschen Untertiteln. Für mancheN FilmkritikerIn mag schon der Ausflug hierher Ängste wecken. In den Parallelgesellschaften des deutsch-deutschen Mittelstands sieht es jedenfalls deutlich anders aus. «Tal der Wölfe» ist auch heute Abend gut besucht, überwiegend von einem Publikum mit Migrationshintergrund. Vor mir sitzen Frauen mit Kopftüchern, links und rechts nehmen Pärchen Platz, rote Plastiktabletts mit Popcorn und einlitergrossen Coca-Cola-Bechern in den Händen. Im Werbevorspann turnen die üblichen Halbnackten über die Leinwand. Das wars dann aber schon mit den bekannten Sehgewohnheiten. Was folgt, kann man getrost als eine auf niedrigstem Niveau betriebene cineastische Bankrotterklärung der türkischen Mehrheitsgesellschaft bezeichnen.

«Tal der Wölfe» nimmt als filmischen Ausgangspunkt eine Begebenheit vom 4. Juli 2003 aus dem Nordirak. Damals waren elf türkische Soldaten von einem Kommando der US-Armee festgesetzt worden. Der politische Kontext der Aktion: Die türkische und die US-amerikanische Regierung konnten sich nicht auf eine Nachkriegsordnung für den Irak einigen, weswegen die Türkei beim zweiten Waffengang gegen Saddam nicht mitmachte. Das türkische Militär agierte dennoch weiterhin eigenmächtig und als Counterguerilla gegen kurdische Separatisten auf irakischem Gebiet. Und schielte dabei wohl auch auf die Ölfelder im kurdischen Nordirak.

Der Regisseur erwähnt solch politische Erklärungen mit keinem Wort. Im Mittelpunkt steht hingegen die symbolische Erniedrigung der türkischen Soldaten durch das US-Militärkommando. Sie stülpten den festgesetzten Soldaten Säcke über die Köpfe. Daraufhin ziehen drei Agenten, Serienstars des türkischen Fernsehens, los, um die grundlos beleidigten und verratenen Soldaten der Grosstürkei zu rächen. Ihr Feind: der fiese CIA-«Sam» und seine Bande aufgepumpter Rambos.

Auffällig ist, wie tatsächlich begangene Menschenrechtsverbrechen der US-Truppen im Irak der Regie Akars zur Bildproduktion von Antiamerikanismus und zur Propagierung grosstürkischer Fantasien dienen. Im Film lässt der Regisseur eine jüdisch-angloamerikanische Weltverschwörung aus dem Gefängnis von Abu Ghraib einen florierenden Handel mit Organen von Gefangenen betreiben. Aus einer solchen Perspektive muss der verrückte CIA-«Sam» ausdauernd vor dem Jesuskreuz knien, dazwischen killt er mit Vorliebe arabische Frauen und kleine Kinder. Selbstverständlich, dass «Sam» in der gerechten Welt des Archaikers Akar rituell mit dem Krummdolch gerichtet wird. Als Splatter wäre die Story allenfalls geeignet, als ethnizistisch-folkloristischer Kriegerfilm spottet sie jeglichen Vergleichs.

Ein durch die Schule des türkischen Grossnationalismus gegangenes Publikum scheint dies allerdings anders zu sehen. Am Ende der Vorstellung in Berlin-Neukölln gibt es verhaltenen Applaus. Die befragten BesucherInnen zeigen sich mit dem gerade erlebten Kinospass zufrieden: «Hundert Prozent echt.» «Vielleicht etwas übertrieben, aber wahr.» «Sehr spannend, gut gemacht.» «Das müssen die Amis aushalten.» Der Propagandastreifen gilt hier tatsächlich als «sehr ausgewogen». Das liegt, neben der nationalistischen Engstirnigkeit des Milieus - wer geht schon in schlechte Kriegsfilme -, sicherlich auch an den ideologischen Angeboten, die der Film dem «anständigen Türken» macht: Er positioniert ihn in der viel gerühmten «Mitte», zwischen ungläubigen Ami-Juden und wahnsinnigen Sprengstoffgürtel-Arabern. Der Film stellt auch bekannte Szenen aus irakischen Entführungsvideos nach. Der (turkmenische) Obermufti nimmt in einer solchen dem jungen Dschihaddi das Schwert aus der Hand. Der gerechte Krieg soll den dafür zuständigen Männern vom staatlichen Sicherheitsdienst (der Türkei), die Predigt der überlieferten religiösen Hierarchie vorbehalten bleiben.

Wofür ein solches, auf politischer Ebene gerade real regierendes Bündnis mit Ministerpräsident Erdogan an der Spitze steht, verdiente sicherlich wieder genauere Betrachtung. «Welch ein schöner Tag», wird die aus der Premiere von «Tal der Wölfe» kommende Frau des türkischen Ministerpräsidenten in der Presse zitiert. Die durchschnittlichen türkischen MigrantInnen im europäischen Ausland sind von all dem jedoch weit entfernt, um nicht zu sagen abgeschnitten. Das ist kaum zu übersehen. Die marginalisierte Minderheit und ihr Nationalismus mögen oftmals eine Mischung aus Pathos und Kitsch darstellen, auswärts entfaltet er jedoch eine andere Wirklichkeitsmacht als die Rambo-Counterguerilla des türkischen Staats in den kurdischen Gebieten.

Einige, wie der deutsch-türkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu, haben «Tal der Wölfe» mit einem schlechten US-Actionfilm verglichen und wollten so die Debatte entdramatisieren. Doch der Vergleich hinkt. In den USA wurden neben vielen miserablen eben auch viele gute Actionfilme produziert. Und vor allem jede Menge aus der Perspektive nationaler Minderheiten, die sich gegen die eigene Obrigkeit richten. Etwas, was in der Türkei nach wie vor nur schwer möglich ist, da Kritik schnell als Hoch- und Landesverrat gilt. «Tal der Wölfe» scheint so auch viel stärker allgemeiner Ausdruck einer offiziellen und repressiven Staatskultur zu sein als irgendein vergleichbarer Film mit Sylvester Stallone.

«Tal der Wölfe». Türkei 2006. Regie: Serdar Akar. In ausgewählten Schweizer Kinos.

natter | 23.02.06 19:26 | Permalink

Kommentare

Ich frage mich, was zu diesem Zeitpunkt ein solcher Artikel auf diesem Blog zu bedeuten hat.

Ich habe den oben genannten Film nicht gesehen, will mich deswegen dazu auch nicht äussern. Äussern will ich mich aber zur Art und Weise, wie dieser Film hier vorgestellt wird. Meines Erachtens geschieht dies auf eine arrogante Art und Weise. Wenn Neukölln als (nach Schweizer Massstäben) "ein heruntergekommener proletarischer Stadtteil" beschrieben wird, zeigt dies die verachtende Einstellung des Autors gegenüber MigrantInnen und ihrem Lebensraum.
Der Autor macht es sich sehr leicht, wenn er sich über die Reaktion der KinozuschauerInnen lustig macht, sich aber kein einziges Mal fragt, wie es zu solchen Reaktionen kommen kann.

Im übrigen kann hier nur betont werden, dass ein grosser Teil der amerikanischen oder westlicher Filme, die heute in „populären“ Kinos gezeigt werden sich einfachen Stereotypen und Feindbilder bedienen, um das Publikum auf eine unhinterfragte Weise zu unterhalten.

In einer Zeit, wo in Deutschland und anderswo die oeffentliche Diskussion stark islamophobisch gepraegt ist, sollten kritische Menschen alles versuchen, diesem Diskurs Gegensteuer zu geben und ihn nicht noch mit einem abschätzigen Beitrag über ein (negatives?) Produkt dieses Diskurses unterstützen.

Verfasst von: A. Schwarzenbach | 24.02.06 19:08

Eine alternative Deutung des Films ist im Artikel von
Jürgen Elsässer, in der "Junge Welt" vom 20.02.2006 zu lesen. Hier ein paar Ausschnitte davon:

Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/02-20/051.php

"...Alle diese Rahmenelemente der Handlung sind tatsächlich passiert und hundertprozentig verbürgt. Mehr noch: Die Realität, etwa die echten Fotos aus Abu Ghraib, sind schlimmer als die cineastische Reprise. Der Aufschrei, der Film sei hetzerisch, kommt zumeist von Leuten, deren Geschäft die Verharmlosung der irakischen Realität ist. Auch der Vorwurf des Antisemitismus ist unzutreffend: Es gibt im Film zwar einen jüdischen Arzt, der Gefangenen Organe entnimmt und weiterverkauft. Doch er versucht, die Killer an einigen Stellen zu bremsen. Im Vergleich zu ihnen ist er eine eher harmlose Figur – nicht, wie im Klischee, der Drahtzieher, sondern eher der kleine Profiteur der US-Aggression. Wer wollte bestreiten, daß das eine recht zutreffende Allegorie des Verhältnisses zwischen den Regierungen in Jerusalem und in Washington ist?

»Im Tal der Wölfe sind nur diejenigen Brüder und Schwestern, die sich zum ethnischen Türkentum bekennen«, behauptet die FAZ. Eine glatte Lüge: Unter den vier Helden der Story ist mindestens ein Kurde, und in einer der faszinierendsten Sequenzen feiern Turkmenen, Araber und Kurden gemeinsam eine orientalische Party. Auch von Fundamentalismus keine Spur: Der Scheich warnt die Witwe eines von den Yankees Ermordeten vor einem Racheanschlag, und den Entführern eines US-amerikanischen Journalisten hält er eine Standpauke: »Wer hat euch das gelehrt? Das steht nicht im Koran! Wollt ihr werden wie die Tyrannen und Unschuldige töten?« Die vier Protagonisten ihrerseits sind gar nicht religiös: Die glattrasierten Sunnyboys lehnen lässig an ihrem Benz, wenn der Muezzin zum Gebet ruft. Doch sie haben Verständnis für und Respekt vor dem Geistlichen, spüren seine innere Stärke, stehen ihm gegen den Terror bei. (...)
Die Menschen zwischen Istanbul und Diyarbakir wollen offensichtlich nicht weiter das Kanonenfutter der US-Armee sein. Ihre Verwandten in Deutschland, das zeigt der Erfolg des Blockbusters, sehen das genauso. Müßte die Friedensbewegung nicht endlich versuchen, mit ihnen in direkten Kontakt zu kommen? Der Film bietet die Möglichkeit dazu. Jeder Kriegsgegner sollte ihn sehen. Jede Initiative sollte Flugblätter vor den Kinos verteilen, möglichst zweisprachig, und zu Diskussionsveranstaltungen einladen. In kleineren Städten, wo »Tal der Wölfe« nicht gezeigt wird, könnte man eigene Vorführungen organisieren – Videokopien werden sich auftreiben lassen. Nicht immer über sie, sondern endlich mit den Moslems zu reden, sich kennenzulernen und sich durchaus auch die Meinung zu sagen – das ist das beste Mittel gegen den Kampf der Kulturen, den die Neoliberalen zur Vorbereitung des vierten Weltkriegs entfesselt haben..."

Verfasst von: Presseschau | 25.02.06 11:53

eine wirklich sehr wahre und wichtige beobachtung zum medienzirkus ueber diesen film, hab ich hier netdeckt: http://www.kulturkueche.de/inhalt/mixer/mixer100.htm

Verfasst von: stefan32 | 03.03.06 22:34

Guter Artikel zum Thema:


"Die zwei Rambos

ES wäre zum Lachen, würde es uns nicht die Ursachen einer alten Ungerechtigkeit vor Augen führen, die da heißt, "was ich darf, das darfst du noch lange nicht".
Man wird sich noch an die Aufregung in den achtziger Jahren erinnern, die von der Gestalt des Rambo ausging, der von Sylvester Stallone gespielt wurde. Ein Veteran des Vietnamkriegs kehrt Jahre nach der Niederlage nach Südostasien zurück, um bei der Rettung von ein paar vermeintlichen US-Kriegsgefangenen ganz allein seinen eigenen Krieg zu gewinnen.
Arrogant, rassistisch, ein "Supermann", so war jener Rambo - der Exponent einer imperialen Philosophie, die attraktiv in einem mit Lügen und Heldentaten gespickten Zelluloidstreifen verpackt war. Wenn sich auch überall Stimmen zur Verurteilung dieser Gestalt erhoben, über die Präsident Reagan sagte, "I love Rambo", lief dieser Film in den Kinos der Welt und brachte Millionenerträge (später kam noch einer , in dem Rambo in Afghanistan kämpft).
Jahre danach gab selbst Stallone zu - ohne viel Aufhebens davon zu machen und mit einem Betrag auf der Bank, mit dem er mehrere Koffer voll stopfen könnte - seine Rolle habe der Propaganda für das System gedient und sie hätte viele Seiten, mit denen er sich nicht mehr identifiziere.
Nach einem Vierteljahrhundert kommt das Thema Rache, das Rambo und dem Actionfilm so lieb und teuer ist, wieder auf, aber diesmal aus einem anderen Blickwinkel.
Dem türkischen Regisseur Serdar Akar fiel es ein, eine Gestalt auf die Leinwand zu bringen, die wegen ihres Verhaltens von westlichen Beobachtern dem Rambovon Stallone gleichgestellt wird. Nur daß Polat Alemdar, der Rächer aus Tal der Wölfe, nicht auf der US-Seite kämpft, sondern gegen die Invasoren und für eine fühlbarere Gerechtigkeit vor dem Hintergrund wahrer Begebenheiten aus der Gegenwart.
Wie die spanische Nachrichtenagentur EFE meldete, erreichte der türkische Film (mit großem Erfolg im eigenen Land) am Wochenende des 18719. Februar in der BRD einen Besucherrekord mit einem großen Anteil von Deutschtürken, die nicht unbedingt an Action-Filmen mit ideologischen Zügen a la Hollywood interessiert sind.
Im Film sieht man, wie US-Truppen in eine Hochzeitsfeier einfallen, zu der Türken, Kurden und Araber eingeladen waren, und sie blutig beenden (bekanntlich endeten im wahren Leben mehrere Hochzeiten auf diese Weise). Im Film gibt es Szenen, in denen US-Soldaten Menschen foltern, und andere, die sich auf die Schändung von Gefangenen im Gefängnis Abu Ghraib im Irak beziehen.
Gegen diese ganze Barbarei kämpft Polat Alemdar, der starke charismatische Sieger.
Aber Stop! "Dieser Film hetzt die Gemüter gegen die USA und die westliche Welt auf, und das ist unzulässig", schreien deutsche konservative Politiker. Darum: "Vom Spielplan streichen!"
Beim Schreiben dieser Zeilen nimmt ein Plan zum Boykott an Stärke zu, und niemand wird sich auf eine Wette einlassen wollen, daß der neue Rächer sich ins Meer stürzen und nach Nordamerika schwimmen könnte.
Vielleicht ein geeigneter Augenblick, den Rambo von Stallone auferstehen zu lassen, um daran zu erinnern, daß dieser ein wirklicher Barbar war, ein ganzer Mann, knallhart und mit viel Haaren auf der Brust, damit niemand wage, ihm die Türen der Kinos der zivilisierten Welt zu verschließen."

Verfasst von: Chr.Weiss | 06.04.06 02:07

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