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Die polnische Unschuld ist unantastbar!

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Foto © AP Kontroltower des Flughafens Szymany, wo seit 2003 die Boeing 737 des CIA mit vermeintlichen Terroristen aus Afghanistan landeten

CIA-Geheimgefängnisse und die konservativen Revolution in Polen
von Kamil Majchrzak (erweiterte Fassung eines Artikels aus Analyse und Kritik # 502 vom 20.1.2006)

Anfang November berichtete die Washington Post über ein geheimes Gefängnissystem des CIA, das nach dem 11. September 2001 errichtet wurde. Daran sollen außer Thailand und Afghanistan auch zwei "osteuropäische Demokratien" beteiligt sein. Die Zeitung vermied es - auf Bitten hoher US-Beamter - die Namen der beiden Staaten zu nennen, um nicht den Kampf gegen den Terror zu gefährden. Flugaufzeichnungen bestätigen, dass eine Boeing 737 mit der Registriernummer N313P zwei Direktflüge von Afghanistan nach Polen und Rumänien durchführte. Darüber berichtete auch der US-amerikanische Nachrichtensender ABC News, was zu einer heftigen Debatte in Polen führte.

Anlieger der Ortschaft Szymany bestätigten, dass Flugzeuge des Typs Gulfstream - die von der CIA und dem FBI benutzt werden - seit 2003 dort mehrmals gelandet sind. Im September 2005 landete auch eine Boeing 737. Mitarbeiter des Flughafens erzählten Gazeta Wyborcza, das diese Maschinen nie aufgetankt und auch nicht durch den Zoll abgefertigt wurden. Stattdessen wurden die Passagiere durch Offiziere aus Ketrzyn mit Bussen aus Kiejkuty abgeholt. Für die Landung bezahlte man sofort in bar.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sich die Geheimknäste auf dem Flughafen in Szymany selbst befunden haben. Dieser zivile Flughafen gehört der Gemeinde. Der ehemalige Leiter des Nachrichtendienstes Agencja Wywiadu, Zbigniew Siemiatkowski, bestätigte jedoch, dass sich auf dem Gelände einer Geheimdienstschule - 20 km von dem Flughafen entfernt - in der Nähe von Stare Kiejkuty zwei "interne Zonen" befinden, zu denen u.a. der CIA Zugang hat. Offiziell ist dies die "Militärkaserne 2669". Auf einer Fläche von vier bis fünf Hektar (davon zwei Hektar Wald) befinden sich mehrere Anlagen, die bereits während des Zweiten Weltkrieges durch den SD und die deutsche Abwehr genutzt wurden.

Im Herbst 1971 wurde aus der Kaserne die einzige Ausbildungsstätte für Geheimdienste des Ostblocks außerhalb der Sowjetunion. Die so genannte Strefa B ist ein besonders abgeschirmter Bereich aus "Ostzeiten", die sich auf der anderen Seite des Sees neben einem Sendemast befindet. Offiziellen Erklärungen zufolge soll es in dieser Zone aber natürlich kein CIA-Gefängnis gegeben haben. Nur so viel wird bekannt gegeben: "Das in Kiejkuty eine Geheimdienstschule ist, weiß die Öffentlichkeit seit mehreren Jahren. Es ist auch kein Geheimnis, dass Polen sehr eng mit der CIA zusammenarbeitet." Nach einer Tagung des parlamentarischen Ausschusses für Geheimdienste kurz vor Weihnachten erklärte der rechtsextreme Roman Giertych (Liga der Polnischen Familien), Vorsitzender des Ausschusses, dann auch: "Das Thema ist abgeschlossen".

Die Diskussion über die geheimen CIA-Knäste war für alle Verantwortlichen mehr oder weniger nur eine Hetzkampagne gegen die unbefleckte Ehre Polens. "Solche Informationen sind Attacken gegen die USA und Polen, daraus folgt auch das Interesse des deutschen Kapitals die schlimmsten Elemente dieser Geschichte aufzuzeigen. Das was am schwersten wiegt, ist die Irreführung der öffentlichen Meinung und Querulantentum", erklärte beispielsweise der ehemalige Innenminister und Leiter des Polnischen Nachrichtendienstes UOP, Konstanty Miodowicz, in einem Interview mit der rechtsextremen Zeitung Nasz Dziennik in Anspielung auf einen kritischen Bericht des Magazins Stern. "Organe links-liberaler Gruppierungen" (gemeint war die italienische Tageszeitung La Repubblica) versuchten mit solchen "verleumderischen Artikeln" durch eine "organisierte Unternehmung antipolnischer Hetze" aus Polen eine Bananenrepublik zu machen.

Bei den Diskussionen über die CIA-Knäste wurde kein Wort über die Missachtung des Völkerrechts und der Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verloren. Das Skandalöse waren nicht die Folterknäste sondern die Tatsache, dass JournalistInnen darüber berichtet haben. Polens Unschuld ist eben unantastbar. Dies zeigt der überparteiliche Konsens aller Beteiligten, seien es nun Sozialdemokraten, Rechtsextreme oder Antikommunisten wie Miodowicz von der neoliberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO), der zweitstärksten Kraft nach der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS). Nach den letzten Wahlen sprangen alle auf den Zug der durch den neu gewählten Präsident Lech Kaczynski (PiS) eingeleiteten konservativen Revolution.

Die Grundlagen für diese nationalistische Umgestaltung in eine - stolz verkündete - IV. Republik hat allerdings bereits sein sozialdemokratischer Vorgänger Aleksander Kwaśniewski gelegt. Der völker- und verfassungswidrige Überfall Polens auf den Irak und die aggressive Ostpolitik gegenüber der Ukraine und Weißrussland sind das polnische Pendant zu Joschka Fischers Kosovokrieg mit seiner angemaßten Begründung, damit die Lehre aus Auschwitz gezogen zu haben. An vorderster Front sind dabei "polnische Pazifisten" wie Miodowicz, einst Mitglied der oppositionellen Bewegung Wolnosc i Pokój (Freiheit und Frieden) oder der sozialdemokratische Terrorismusexperte Jerzy Dziewulski, der überzeugt ist, dass jetzt "die Zeit für eine Veränderung der Taktik gekommen ist. Für einen präemtiven Kampf, für einen kompromisslosen Kampf ums ÜBERLEBEN [sic!]"

Beides sind typische Vertreter der polnischen Lügenfabrik. Sie entsprechen dem Typus des postkommunistischen Intellektuellen, die nie die nötige Distanz zum Staat aufgebaut haben und die sich nie von dem gott-vaterländischen Polen emanzipieren wollten. In einem konservativen Polen werden sie zu unangefochtenen elitären Trägern von dessen Werten und dessen Verständnis polnischer Kultur. Es ist kein Zufall, dass mehrere Mitglieder von Wolnosc i Pokój heute Führungspositionen im Sicherheitsapparat innehaben. Damit sitzen sie an einer wichtigen Schaltstelle für die Begriffsbestimmung und Deutung der Geschichte und Gegenwart. Inzwischen sehen sie in präemtiven Kriegen einen gelungenen Paradigmenwechsel in der Menschenrechtspolitik. In Polen spielt die Vergangenheit eine unvergleichbar wichtige Rolle. Wer wann wo mit wem sich getroffen hat, entscheidet über die Absetzung des Premierministers (sog. Olin-Skandal) oder ob jemand Präsident werden darf (Cimoszewicz und Orlen-Gate) oder ins Parlament gewählt wird. Bei all den Finanzskandalen und Korruptions-Affären waren es immer wieder ranghohe Offiziere des polnischen Geheimdienstes früher UOP und jetzt die ABW bzw. Mitarbeiter des IPN-Archiv die an die Öffentlichkeit traten und bestimmten wer Kommunist ist, Verräter, Sowjetischer Spion, Arbeiter-Mörder oder was sonst noch alles gut in den Patriotischen Diskurs passte und einen echten Polen ausmacht (siehe dazu Ostblog-Beitrag: Geheimagent "Joseph" oder die Stasi in Polen). Beispielhaft ist dafür der Skandal um die sog. "Lista Wildsteina".


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Der neue President Kaczynski empfängt am 29.12.05 eine Delegation der Gewerkschaft "Solidarność". In der Hand hält er ihre sozialen Postulate für Reformen in der IV. Republik (eghmm vermute ich jedenfalls) Fot. Jerzy Gumowski / AG

Das einzige was die neue rechtskonservative Regierung mit überwältigender Mehrheit im Parlament bislang erreicht hat, sind drei Abstimmungen zur Ehrung der glorreichen Verteidigung von Jasna Góra in Częstochowa [Tschenstochau]; zur Ehrung der Opfer des sog. Danziger Dezembers 1970 und der Erinnerung an die Einführung des Kriegszustandes am 13.12.1981. Ob diese Mythologie den 59 % der polnischen Bevölkerung hilft, die nach Angeben des Amtes für Statistik (GUS) unter dem sog. Sozialminimum (in Polen sind das ca. 800 PLN = 200 EUR pro Kopf monatlich) und 12 % unter dem Existenzminimum (das sind 371 PLN = ca. 100 EUR) leben ist allerdings fraglich. Jedenfalls beruht die Verteidigung von Jasna Góra von 1655 auf einer literarischen Fiktion aus Henryk Sienkiewicz Roman „Potop“ von 1886 und nicht einer historischen Begebenheit. Tatsächlich hat der Klostervorsteher von Jasna Gora, der Pauliner Augustyn Kordecki - anders als in der Romanvorlage des Nobelpreisträgers Sienkiewicz - nicht nur das Kloster selbst, sondern ganz Polen in einem Brief an den schwedischen General Burchard Müller unter die Obhut des Königs von Schweden Karol Gustav X gestellt. Damit verhinderte er einen Angriff auf das Kloster ( OT: "Jako wierni poddani Jego Królewskiej Mości Króla Szwecji, a naszego Najmiłościwszego Pana, nie myślimy podnosić więcej oręża przeciwko wojsku Waszej Dostojności (Müllera). Zanosimy ustawicznie modły do Boga i Najświętszej Bogurodzicy, czczonej w tym miejscu, o zdrowie i pomyślność Najjaśniejszego Pana, Króla Szwecji, Pana i Protektora naszego królestwa"). Der Brief passt aber nicht so richtig zur unantastbaren Unschuld der unbefleckten Ehre Polens. Wer wird dann der glorreichen Verteidigung schon widersprechen wollen umso meher als in dem Kloster ein Bild der Schwarzen Madonna - bis heute - verehrt wird (siehe Foto oben)? Mit einer parlamentarischen Würdigung werden aber fiktive Ereignisse zu Tatsachen. So ähnlich versuchten es kürzlich französische ParlamentarierInnen die "positiven Seiten der Kolonialisierung" juristisch Stichfest zu machen. Die polnischen Intellektuellen denken aber in anderen Dimensionen, wie das monumentale Bild „Das Abendmahl“ in der Hlg. Jan Kirche in Gdańsk (Danzig) bewiest. Die pommersche Crème de la Crème-Inteligentzia hat sich - angesichts der Ausrufung der IV. Republik - auf diesem als die 12 Aposteln darstellen lassen (siehe dazu Ostblog-Beitrag: Religiöse Apoteose und konservative Revolution in Polen). Sie verstehen ihren aufklärerischen Sozial-Auftrag gänzlich anders.

Auf sie kommt allerdings noch einiges zu. Die polnische Unschuld ist nicht erst in einer Scheune in Jedwabne 1941 verbrannt worden. Sie werden sich mit ihrer Geschichte auseinadersetzen müssen, ob sie es wollen oder nicht.

Kamil Majchrzak

Quelle: ak - zeitung für linke debatte und praxis

Michal Stachura | 15.01.06 16:12 | Permalink