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«Schwule zum Vergasen !» - Keine Gleichheit in Polen

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Poznań, ul. Półwiejska, 15.00 Uhr ... / Quelle: Radio Merkury
In Poznań (Posen) misshandelte am vergangenen Samstag die Polizei mehrere TeilnehmerInnen einer friedlichen Demonstration für Gleichberechtigung und Toleranz und belegte diese mit schweren juristischen und finanziellen Konsequenzen

von Emmanuelle Piriot (Poznań) und Kamil Majchrzak

Mindestens 68 Personen, die am vergangenen Samstag an einer Demonstration für Gleichheit und Toleranz gegen Rassismus und Homophobie in Poznań teilgenommen haben, müssen mit Geldstraffen von bis zu 1200 Euro und einer Freiheitsentziehung von bis zu einem Monat rechnen. Falls das gesammelte Videomaterial es hergibt werden sich die DemonstrantInnen auch wegen aktiven Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung verantworten müssen, kündigte Staatsanwalt Adamski an. Die von den polnischen Grünen (Zieloni), Feministinnen- und Schwulenorganisationen organisierte Manifestation anlässlich des internationalen UNESCO-Toleranztages wurde weder vom Posener Stadtpräsidenten Ryszard Grobelny noch vom Wojewoden der Region Andrzej Nowakowski genehmigt.

Bereits im Jahr zuvor hatten Rechtsextremisten der katholischen Liga der Polnischen Familien (LPR) und ihre Jugendorganisation die neofaschistische Allpolnische Jugend (Mlodzież Wszechpolska) die DemonstrantInnen - ähnlich wie im Sommer in Warschau - angegriffen. Die DemonstrantInnen wurden mit Eiern und Steinen beworfen und mit Stangen angegriffen. Dies verschaffte den Behörden in diesem Jahr einen willkomenen Anlass die Demonstration zu verbieten um eventuelle Ausschreitungen zu vermeiden. Damit sollten die DemonstrantInnen geschützt werden. Die Verantwortung für die Sicherstellung von Ordnung während des Demonstrationsumzuges wurde so auf die VeranstalterInnen abgewälzt. Der im Vorfeld durch Rechtsextremisten bereits angekündigte Angriff auf die Veranstaltung sollte dies bestätigen.

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OSTBLOG-Bericht + Fotos von der Gleichberechtigungsdemo in Warschau vom Juni 2005

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Die Ordnungskräfte haben den Umzug vom Anfang an dominiert und durch ihr martialisches Auftreten die GegendemonstrantInnen geradezu zur Gewalt animiert. Als gegen 15 Uhr die ersten DemonstrantInnen, nach einer Konferenz über Demokratie sich in der Innenstadt ängstlich sammelten, verteilten Mitglieder der Mlodziez Wszchpolska bereits Flugblätter und Anzeigen-Vordrucke, mit welchen sie die BürgerInnen aufforderten die nicht genehmigte Veranstaltung bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Es herrschte eine bedrückende Atmosphäre, aber Poznań ist nicht Minsk und Polen seit zwei Jahren ein Mitgliedstaat der EU. «Keiner weiß was jetzt geschehen wird», sagte ein Mann, der sowohl Angst vor der Polizei als auch die DemonstrationsgegnerInnen hatte. Zahlreiche Ordnungskräfte waren auf Pferden auf der Demoroute positioniert und bildeten zwei Sicherheits-Cordons, um die TeilnehmerInnen in eine große Geschäfts-Strasse abzudrängen. So zwang man sie, sich mit knapp hundert Meter Strasse zu begnügen, um dort ihr in der Verfassung gewährleistetes Recht der Versammlungsfreiheit zu manifestieren. Ihr Anliegen war es, sich am weltweiten Kampf gegen jegliche Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, einer Behinderung oder der sexuellen Orientierung zu beteiligen.

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Insgesamt 300 TeilnehmerInnen forderten dann doch «Mehr Toleranz!», und riefen «Nein zur Homophobie!»; «Keine Demokratie ohne Versammlungsrecht!». Es gab auch emotionsgeladene Momente, als jemand plötzlich eine europäische Fahne aus einem Fenster hielt und sich auf diese Weise solidarisierte. Diese aus hiesiger Sicht ungewöhnliche Assoziation von Freiheit wird einem umso deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt wie konservativ der gesellschaftliche Diskurs in Polen ist. Auf der anderen Seite des Polizei-Spaliers trieb die Leute eine andere Ideologie an:«Mit euch werden wir machen was Hitler mit den Juden gemacht hat», « Schwule zum Gas», «Polen ist katholisch» oder «alte Pädophile» schreiten insbesondere junge Menschen voller Wut. Die Polizei schritt dort nicht ein.

Die Ordnungskräfte entschieden sich sehr schnell, die Demo brutal aufzulösen. Erst fragten die Polizisten nach den Personalausweisen und zwangen dann mehrere Dutzend Menschen auf in die Polizeiwannen einzusteigen. Laut Andrzej Borowiak, dem Polizeichef von Poznań wurden auch ein paar DemonstrationgegnerInnen ausgewiesen. Im Gegensatz zu den DemonstrantInnen denen schwere Strafen drohen, wurden die Rechtsextremisten jedoch anschließend freigelassen. Die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist in Polen nach wie vor straffrei, da sie zur Privatsphäre gerechnet wird und so angeblich keine Konsequenzen für die öffentliche Ebene erzeugt.

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Die meisten Zeitschriften und Medienberichte reduzieren die Demonstration auf eine Schwulendemo. Der Internationale UNESCO-Toleranztag und sein globaler Anspruch gegen jegliche Formen der Diskriminierung vorzugehen spielte keine Rolle. Mit dem politischen Doppel-Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen der rechtskonservativen Prawo i Sprawiedliwość (PiS) unter Polens Präsident Lech Kaczynski ist die Verschmelzung von Politik und Religion vollzogen. Dies setzt kulturelle und moralische Maßstäbe nicht nur für den Diskurs, sondern die Wahrnehmung der politischen Freiheitsrechte. Die Schmierenkomödie über die bürgerliche Demokratie und ihre Bürgerrechte errichte inzwischen einen Höhepunkt. In der Hlg. Jan Kirche von Gdansk (Danzig) wurde eine achtmeterlange Darstellung des berühmten Gemäldes »Das Abendmahl» präsentiert. Das Bild zeigt Personen des kulturellen Establishments von Danzig, die als neue Zwölf Apostel um Christus sitzen.

Die Verherrlichung des rechts-konservativen Absolutismus der polnsichen Regierung die durch Rechtsextremisten gestellt wird ist nun soweit gediehen, das "Künstler" dazu übergegangen sind einen regelrechten Personenkult der neuen geistigen Führer zu etablieren. Erstaunlich ist dabei nur, dass die meisten Jünger die mit Jesus am Tisch sitzen eher der neoliberalen Platforma Obywatelska (PO) nahe stehen als der PiS mit welcher die erhofte Regierungskoalition zugunsten der Rechtsextremen LPR und Samoobrona scheiterte. Umso schwerwiegender fällt das Urteil, welches die auf dem Bild verewigten Intelektuellen über sich ausstellten, sich in Zeiten einer konservativen Revolution an einem solchen religiösen Spektakel zu beteiligen.
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All Photos taken by: Emmanuelle Piriot

Michal Stachura | 21.11.05 12:03 | Permalink