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Pogrom als Kunst

“Wir sind jung. Wir sind stark.” (Regie: Burhan Qurbani)

Von Angelika Nguyen

Es gibt in Deutschland ein paar Symbolorte für Ausländerhass und Rassismus, einer davon ist Rostock-Lichtenhagen. Dieser Film mit dem langen Titel listet, so tut er jedenfalls, die Chronik eines einzigen Tages auf: des 24.August 1992, an dem die massenhaften Ressentiments von Bewohnern gegen die Zuwanderer im Kiez - Sinti, Roma, Vietnamesen - gefüttert vom Frust der eigenen Lage, sich in einem von der Politik ermöglichten Pogrom entladen.

Die Handlung setzt ein, da Familien der Sinti und Roma aus der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge (ZASt) bereits evakuiert werden, als Zugeständnis an die immer lauter gewordene Fremdenfeindlichkeit der Anwohner und letztlich Ermutigung zum Angriff auf die Vietnamesen .

Auf Schwarzbild erscheint im Laufe des Films fortlaufend die Uhrzeit. Die Chronik ist jedoch nur vorgetäuscht, hier läuft keine Action-Doku. Der Terror des Pogroms ist eher Nebensache, vielmehr lotet der Film eine gewisse Stimmung aus, auf beiden Seiten: einer Clique gewaltbereiter Jugendlichen – Stefan und Robbi zum Beispiel - und einer Gruppe bedrohter Vietnamesen im Wohnhaus Sonnenblumenhaus – zum Beispiel Lien und ihr Bruder.

Auf den Straßen kreiert der Film Endzeitatmosphäre wie in einem surrealen Zombiedrama a là Danny Boyle. Verwüstete Platten-Landschaft in Schwarz -Weiß, Kinder sammeln mit einem Einkaufswagen das Leergut vom Remmi-Demmi der vergangenen Tage ein, Flaschenklappern, leere Einkaufstüten im Wind, umgekippte Müllcontainer. Die Zombies Stefan und Robbie und ein paar Mädchen sind unterwegs, ihre Sprache ist verroht, sie selbst ohne Interesse an irgendetwas, eine erschreckende Leere. Sie werden mit aktiver Kamera sehr nah beobachtet, ihre Flirts und Gespräche sind karg und geprägt von ständiger Aggressivität gegen Ausländer, Eltern, Polizei, auch gegeneinander. Dann öffnet der Film eine weitere Perspektive –Lokalpolitiker diskutieren, was zu tun ist – der Einzige, der die Rassisten auf der Straße Rassisten nennt und von der Polizei räumen lassen will, wird ausgebremst und geht in Wochenend-Urlaub, ein Anderer, der Zauderer in der Runde, Stefans Vater, wird sich bald mit Kopfhörern und klassischer Musik zurückziehen, um dann doch noch loszurennen, als alles schon brennt. Die dritte Perspektive ist die der Vietnamesen selber, die fast nur Vietnamesisch reden, mit Untertiteln. Ihre Gespräche wiederum drehen sich um Bleiben-oder-Gehen, um Angst, um ihren eigenen Rassismus gegen die noch schwächeren Asylbewerber von nebenan und unterschiedliche Meinungen über Deutschland. Diese vietnamesischen O-Töne schaffen eine Differenzierung und Individualisierung der Protagonisten, die es im deutschen Kino so noch nicht gab.
Bis dahin berechtigt der Film zu den schönsten Hoffnungen.

Dann wird er immer zäher. Der Ausflug der Jugendlichen zur Ostsee, der ideologische Nazi Sandro und Kumpel Goldhahn, die Konkurrenz zwischen Stefan und Robbi um Jenni, die kleinen Gewalttaten untereinander, alles unterfüttert von ganz selbstverständlichem Rassismus und Einverständnis mit dem Mob vor der ZASt. Der Film schafft es nicht, diesen Figuren näher zu kommen, im Gegenteil, die langen Nahaufnahmen des offenbar als Hauptfigur gedachten Stefan entziffern nicht die Unbeweglichkeit in dessen Gesicht. Was Stefan, der den ersten Brandsatz ins Sonnenblumenhaus werfen wird, so bewegt, ist durch die Darstellung von Jonas Nay nicht in Erfahrung zu bringen. Dagegen liefert Joel Basman (der drogensüchtige Mike aus dem letzten “Borowski-Tatort”) eine vitale Studie seines Robbi, aggressiv, rassistisch, drahtig, ein schwer gestörter Pausenclown.

Trang Le Hong, Darstellerin der Lien, spielt die Ängste und den Opportunismus ihrer Figur glaubhaft und widersprüchlich, immer in der Hoffnung, mit einem Lächeln den Alltagsrassismus aushebeln zu können. Die aggressive Sprache, die noch aus der tiefsten DDR stammt, ist gut recherchiert, und gut beobachtet, dass das bereits bei Kindern anfängt, was Lien sowohl auf der Arbeit in der Wäscherei als auch auf der Straße erfährt. Liens Differenzen mit ihrem Bruder, der mit seiner Familie im Gegensatz zu ihr lieber heute als morgen zurück nach Vietnam will, werden vor schon verdunkelten Fenstern des Sonnenblumenhauses ausgetragen, eine Freundin sagt: “Schlimmer als hier kann es dort auch nicht sein.”

Die Szenen sind gut eingefangen, aber ähnlich wie die der Jugendlichen auf der Straße führen sie nicht näher in die Geschichte hinein, es ist, als halte Burhan Qurbani einen Sicherheitsabstand zu den Figuren.

Dabei merkt man dem Film die solide Ausbildung des Regisseurs an einer Filmhochschule an. Die ambitionierte Kamera filmt nicht bloß ab, sondern entwickelt eine eigene suggestive Spache. Ehrgeizig auch die Konstruktion einer damaligen Physiognomie des Ostens.

Ins Melodram rutscht leider kurzfristig der Film, als die Einzige, die die Vietnamesen vor der Gewalt des Mobs rettend in ihre Wohnung lässt, ausgerechnet jene konturlose Nazibraut ist, die ihre Freundschaft mit Lien vor dem Freund verheimlichen muss. Der plötzliche Sinneswandel bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, warum Burhan Qurbani da nicht getreu der historischen Wirklichkeit eine ganz normale Familie die Tür hat öffnen lassen, als viele andere auf das Klingeln der Bedrohten nicht reagierten. Diese solidarische Coleur der sozialen DDR-Landschaft zu zeigen hätte dem sonst auf Perspektivausgleich bedachten Film gut gestanden. In dem britischen Film über das Rostock-Pogrom “Fire and Forget” kamen der Frau, die die Vietnamesen damals einließ, noch beim Interview die Tränen.
Die verbreitete Meinung, Nazis und deren Mitläufer würden mit Hakenkreuzen an der Zimmerwand, rassistischer Hetze und Brandsätzen in fremde Wohnzimmer ihrer Sehnsucht nach Sicherheit, Familie und Job Ausdruck verleihen, steckt leider auch in dieser Geschichte. “Orientierungslosigkeit” der Generation der damals 18jährigen wird gern als Erklärung genommen; eine Journalistin ist lange mit einem entsprechenden Buch erfolgreich herumgetingelt. So entstehen soziologische Legenden.

Die Schauspieler-Leistungen sind mit das Stärkste in diesem unentschiedenen Gemisch aus Elegie, Sozialdrama, verdrehtem Happening, Dokumentation und lyrischer Verdichtung. Einmal schafft der Film ein erschütterndes Bild: Lien kriecht übers Dach des Sonnenblumenhauses bis zum Rand und sieht sich still den Mob aus der Totalen an.

Auch der nächste Morgen bringt Lien keineswegs Ruhe. Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Einwanderer, inszenierte ein bedrohliches Schlussbild, das auf jene Zukunft verweist, die wir heute kennen.

A.S.H. | 30.01.15 21:23 | Permalink