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Warten auf den BER

“Schönefeld Boulevard” Buch und Regie: Sylke Enders

Von Angelika Nguyen

Cindy, sagt sie gleich zu Beginn, heißt sie, wie alle 90iger Baujahre. Die Erzählstimme am Anfang des Films eröffnet die Ich-Perspektive eines Mädchens mit XXL-Größe, wohnhaft in Schönefeld gleich hinter Berlin. Das Schleppende in Cindys Stimme lässt einen gewissen resignierten Gleichmut ahnen. Cindy ist 17, und ihr Ausbildungsplatz ist mit dem Aufschub der BER-Eröffnung geplatzt. Dann ist da auch noch Dani, Cindys Freund aus Kindertagen. Ein seltsames Paar, verliebt sind sie nicht, aber irgendwie sehr verbunden. Die dicke, leise Cindy und der dünne, exaltierte Dani. Er redet zu viel über Sex, findet Cindy, sie selbst will damit allerdings auch “nicht die Letzte sein”. In ihrer Klasse haben die Mädchen angeblich alle schon. Allmählich ist in den groben, ewig gleichen Avancen von Dani (“Komm, blas mir einen.”) und in der ewig gleichen Abwehr von Cindy (“Du bist so blöd”) ein Ritual der beiden einsamen Teenager auszumachen, wenigstens eine Bewegung im Stillstand, eine Art vitales Gift gegen die Lethargie von Schönefeld.

Und dann geht Dani einfach als Soldat nach Afghanistan und übergibt Cindy aus Spaß sein Testament, lässt sie allein mit den Gemeinheiten ihrer Schulfreundinnen und den gefühllosen Kommentaren ihres Vaters (“Stewardess kannste nich werden, passt nicht durch die Gänge”).

Und Cindy? Sie geht ins nächstgelegene Hotel am Flughafen Schönefeld, klopft an die Tür eines finnischen Ingenieurs, stürzt in eine Romanze und ist plötzlich all den blöden Gänsen ihrer Klasse voraus. Hat bald den ersten Schmerz und trifft auf die Freundlichkeit eines anderen Ingenieurs, diesmal aus Korea - obwohl der Schauspieler Yung Ngo in Wirklichkeit vietnamesischer Abstammung ist. Sehen ja eh alle gleich aus, mögen sie beim Casting gedacht haben.

Cindys plötzlich ausbrechende Lebenslust bringt sogar Bewegung in die eingerostete Ehe der Eltern (“Guckt euch doch mal an!”). Auf einmal widerspricht die Mutter dem Vater, der ihre vielen Bewerbungsschreiben albern findet. “Ich lasse mich nicht unterkriegen, auch nicht von dir.” Verwundert dreht sich der Vater im Fernsehsessel. Und Dani, der inzwischen mit Windpocken und kleinen Hanftütchen aus dem Krieg wieder gekommen ist, verfolgt Cindy, will die alte Vertrautheit wieder haben. Sie weist ihn von sich, kann ihm nicht mehr helfen. Dani, nicht Cindy, ist die eigentlich bedrohte Figur des Films, und irgendwann öffnet Cindy dann doch Danis Testament…

Die besondere Erzählweise der Regisseurin Sylke Enders wurde berühmt mit ihrem Debütfilm “Kroko”, wo eine eisblonde Weddinger Cliquen-Queen, grandios gespielt von der Laienschauspielerin Franziska Jünger, in einer Behinderten-Einrichtung 60 Stunden Sozialarbeit leisten muss und eine Wandlung erfährt. Enders bringt immer wieder erfolgreich Laien (wozu in “Kroko” auch die Behinderten selbst zählten) und ausgebildete Schauspieler vor der Kamera zusammen. Das ergibt eine ganz eigene Dynamik: Authentisches trifft auf Professionelles, Frisches auf Virtuoses. So auch bei Julia Jendroßek (Cindy) und Daniel Sträßer (Dani). Die 21jährige Jendroßek, die zwar Theater-Erfahrung, jedoch keine Schauspiel-Ausbildung hat, spielt die Cindy verletzbar in ihrer tatsächlichen Körperfülle – im Interview erzählt sie von eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung - und wiederum naiv begeisterungsfähig, während der 5 Jahre ältere, gut ausgebildete Profi Sträßer (fest am Wiener Burgtheater) seine verrückte Figur elegant austanzt und Danis Selbsthass bis zur Schmerzgrenze treibt.

Im Gegensatz zu “Kroko” konzentriert sich der Film hier nicht auf ein Milieu, sondern macht viele - vielleicht zu viele - Handlungsstränge auf. Die Dramaturgie hat Schwächen. Da laufen einige Figuren mit nur sehr unscharfem Profil herum (die beiden ausländischen Ingenieure; Danis Eltern), versanden Episoden im Nichts (die finnische Romanze), kann man plötzliche Sinneswandlungen nicht nachvollziehen (Cindys Vater).

Die Filmstory, berichtet die Regisseurin, war ursprünglich eng mit der Eröffnung des Flughafens BER verknüpft. Doch dann wurde sie überrascht von den immer wieder neuen Aufschüben, schrieb schließlich die Geschichte um zur gegenwärtigen Warteschleife, in der der Ort Schönefeld den Atem anhält. Das meint Enders weniger sozialdokumentarisch, eher holt sie aus dem Stoff der Ereignislosigkeit tragikomische Poesie. Das Warten auf den BER wird zur Metapher für das Warten der Film-Figuren auf ihr Leben überhaupt.

Ken und Barbie fliegen inzwischen in gelangweilter Zeitlupe durch die Luft, Cindy schwebt im weißen Traumwald als Braut umher, und ein kleiner Fuchs grüßt manchmal durchs Bild.

Irgendwann zieht Cindy lächelnd los auf einer leeren Startbahn, wo dahinten wohl irgendwo die Zukunft leuchtet. Muss ja nicht der BER sein.

A.S.H. | 18.09.14 15:12 | Permalink