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Duisburg: SPD-Oberbürgermeister Link verbietet »totlast«

von Jürgen Schneider

In Stommeln bei Köln steht eine Synagoge, die einst dem Zerstörungswillen der Nazis entzogen wurde, indem die jüdische Gemeinde, deren Mitglieder das Städtchen fast alle verlassen hatten, an einen Landwirt verkaufte. Dieser verbarg den Davidstern an der Fassade hinter Putz und erklärte den SA-Schergen, die das Gebäude 1938 anzünden wollten, es sei keine Synagoge mehr. Seit 1991 werden Künstler nach Stommel eingeladen, sich mit diesem einstigen Bethaus auseinanderzusetzen.

In diesem Jahr hat der Künstler Gregor Schneider die Synagoge zum Verschwinden gebracht, indem er die Fassade eines spießigen Einfamilienhauses samt Garagentor davor gestellt und hübsch gelb angemalt hat. Der Nazi-Nachfolgestaat hat seine Geschichte übertünscht und behauptet entschlossen die Normalität. An Judenverfolgung und –vernichtung möchte bitte nicht erinnert werden. Unsere Häuserfassaden sind schön bunt, dahinter aber verbirgt sich der Horror. Schneiders Ästhetik des Verschwindens zwingt quasi dazu, die »Normalität« vom historischen »Verhängnis« der Shoah her zu denken.

schneider_stommeln.jpgGregor Schneider, Hauptstraße 85a, Stommeln, Juli 2014 (Foto: Uta Baatz)

Nach Entwürfen von Schneider sollte im Rahmen der Ruhrtriennale im Duisburger Wilhelm Lehmbruck-Museum eine begehbare Röhreninstallation mit dem Titel »totlast« entstehen. Seit dem Herbst 2013 gab es eine enge Zusammenarbeit mit dem Bauordnungsamt und anderen städtischen Behörden, um zu gewährleisten, dass alle Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden. Doch jetzt sagte der Duisburger Oberbürgermeister, der Sozialdemokrat Sören Link, das Projekt ab – und zwar »unabhängig von der baurechtlichen Bewertung«, wie es in seiner Stellungnahme heißt. Bewogen zu dem Verbot der Installation habe ihn die Einschätzung, dass die Stadt nach dem Trauma der Loveparade »noch nicht reif« sei »für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind«. Aufgrund fehlgeleiteter Besucherströme war es im Juli 2010 bei der Loveparade am ehemaligen Duisburger Güterbahnhof zu einer Massenpanik gekommen. Im Gedränge fanden 21 junge Menschen den Tod, Hunderte wurden verletzt.

In einem Kommentar auf www.westen.de heißt es zu der Link’schen Zensurmaßnahme: »Schon die Diktion offenbart ein undemokratisches Denken, das so tut, als sei der Oberbürgermeister der Vater einer Stadt und die Bürger auf dem intellektuellen Horizont von Kindern, die zu ihrem eigenen Wohl bevormundet werden müssen. Dieser Zensur-Fall legt aber auch ein sozialdemokratisches Kunstverständnis bloß, das sich längst von der Vorstellung von ›Kunst für alle‹ gelöst hat: Kunst ist spätestens seit dem Kulturhauptstadt-Jahr 2010 der SPD nur noch dann genehm, wenn sie entweder dem Stadtmarketing und der touristischen Vermarktung dient (...) Dass Kunst ihren Sinn in sich hat und schon deshalb respektiert werden muss, dass sie eigentlich das letzte Reservat ist, in dem Menschen sinnlich-geistige Erfahrungen machen können, ohne dass sie einem vorher bestimmten Zweck folgen würden, ist ihnen zunehmend fremd.«

Das Verbot des Schneider-Projektes ist nicht die erste Zensurmaßnahme im Ruhrgebiet in diesem Jahr. Kaum war 2013 bekannt geworden, dass das Essener Museum Folkwang eine Ausstellung der Polaroid-Fotografien von einem Mädchen namens Anna Wahli plante, die der französische Künstler und glühende Katholik Balthus in seinen späten Lebensjahren gemacht hatte, haute in Hamburg ein »Zeit«-Kritiker in die Tasten. Schon sein erster Satz war suggestiv: »Anna Wahli war gerade mal acht, als es das erste Mal passierte.« In den Polaroids von Balthus, so geiferte er dann, »wird die Lüsternheit offenbar. Sie erscheinen als Dokumente einer pädophilen Gier. Und so fordern manche Kinderschützer, die Bilder wegzuschließen. Ihr Vorwurf: Fotos wie diese verwandelten Verbrechen in Verlockung. Sie gehörten ins Depot oder besser: gleich in den Orkus.« Tradition verpflichtet, warum also nicht gleich eine Republik-»Kunstkammer« fordern, die derartige »Verfallskunst« sicherstellt und ins Feuer wirft? Nein, so weit ging der Schreiber der sich »liberal« nennenden Wochenpostille in den seine eigenen Projektionen und Gelüste ausstellenden Zeilen nicht, sondern räumte zunächst ganz großzügig ein: »Man darf die Bilder zeigen.« Doch nur, um sich dann doch zur 1-Mann-Kunstkammer aufzuspielen und dem Museum zu unterstellen, es wolle vielleicht an dem von ihm behaupteten »allgemeinen Voyeurismus« verdienen. Balthus’ Polaroids, so die steile »Zeit«-These, seien schon deswegen keine Kunstwerke, weil sie nicht signiert seien.

Das Museum reagierte zwei Monate später und sagte die Ausstellung ab. Vorgespräche mit verschiedenen Instanzen, unter anderem dem Essener Jugendamt, hätten ergeben, dass die ab Anfang April 2014 geplante Schau »zu ungewollten juristischen Konsequenzen und einer Schließung der Ausstellung führen könnte«.

Im Steidl Verlag sind längst Balthus’ »Last Studies« in zwei großformatigen Bänden erschienen. Sind wir beim Durchblättern konfrontiert mit »Lüsternheit« oder »pädophiler Gier«, wie es in der »Zeit« hieß? Ach was, ordinär und vulgär war die Ejaculatio praecox des »Zeit«-Onkels. Der wusste: »Immer gab es Süßigkeiten«. Anna Wahli schreibt hingegen, nach den Fotosessions habe es »Tee« gegeben, oft im Beisein von Balthus’ japanischer Ehefrau Setsuko und Tochter Harumi sowie Gästen. Und das »Verbrechen«, das Balthus laut »Zeit« begangen haben soll, bestand wohl in dem »Undefinierbaren«, das laut Anna Wahli sie selbst und Balthus verband.

A.S.H. | 08.07.14 11:13 | Permalink