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Verfolgte Unschuld

Über den Sarrazin-Rock der Südtiroler Band „Frei.wild“
Von C. Schulze, Mitarbeiter Apabiz Berlin

Von Kiel bis Konstanz singen sie’s im Chor: „Unser Heimatland das ist so wunderschön, das kann man auch an unsern Bergen seh’n“. Quer durch Deutschland tingelt die Band Frei.wild, von der diese Zeilen stammen. Eine weiter wachsende Schar von Fans strömt zu den Konzerten. Vor ein paar Jahren gelang dem Quartett der Durchbruch und seitdem spielen sie in den ganz großen Hallen. Beim Public Viewing zur Fußball-WM 2010 in Berlin beschallten Frei.wild gleich mehrere hunderttausend Menschen. Die letzten Alben kamen auf Anhieb bis ganz oben in die deutschen Charts.

Frei.wild selbst nennen ihr Genre „Deutschrock“ – sie spielen einfache Gitarrenmusik mit eingängigen Texten. Allein das polarisiert. Die Musik von Frei.wild ist die Sorte Sound, zu dem hochnäsigen Leuten an den Gymnasien und in den Universitätsauditorien Wörter einfallen wie „primitiv“, „stumpf“ und „prolo“. Im Milieu der Realschulen, auf den Baustellen, an den Supermarktkassen dieser Republik hingegen hat die Band ihre Fanbasis. Sie gibt jenem Teil des deutschen Proletariats eine musikalische Stimme, das sich von denen da oben geknechtet fühlt.

Frei.wild kommen aus Italien, die Bandmitglieder gehören der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung im Südtiroler Norden des Landes an. Die Berge, die sie im eingangs zitierten Text des Songs „Südtirol“ besingen, sind die norditalienischen Alpen. Bergweltromantik und erklärte Spießigkeit werden von Frei.wild versöhnt mit den rebellischen Gesten des Rock. Mit den Kastelruther Spatzen spielt die Band genauso zusammen wie mit den Thrash-Metal-Ikonen Sodom.

Frei.wild ist eine der politischsten Bands, die es in den vergangenen Jahrzehnten an die Chartspitze in Deutschland geschafft haben. Sie sind stramm nationalistisch. Ihr Heimatland ist ihnen so „heilig“, dass sie „keine Kritik“ daran dulden. So heißt es weiter im Song Südtirol: „Südtirol, du bist noch nicht verlor‘n, in der Hölle sollen deine Feinde schmor'n. Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das uns‘re Heimat ist.“

Die Band distanziert sich gleichzeitig in schöner Regelmäßigkeit von jedem politischen „Extremismus“. Sie sei unpolitisch, mache schließlich nur Musik, sei von der Haltung her höchstens ein wenig konservativ. Bei Konzerten wird das Publikum zu „Nazis raus“-Rufen animiert – damit keine Fragen offen bleiben. Gegen Faschismus sei man sowieso, denn unter Mussolini seien die Deutschen in Südtirol unterdrückt worden. Als deutscher Frei.wild-Fan darf man sich als Teil einer unterdrückten ethnischen Minderheit und obendrein als Antifaschist fühlen. Und im nächsten Song folgt dann wieder eisenharte Blut-und-Boden-Rhetorik. Im Lied „Wahre Werte“ beispielsweise wird nichts ausgelassen, was völkischen Nationalismus ausmacht. Kostprobe: „Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache, für uns Minderheiten eine Herzenssache. Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen; selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen. Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat. Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk.“ Im Video zum Song wird in affirmativer Absicht ein Gedenkstein für Sepp Kerschbaumer eingeblendet: Er war ein Anführer des rechtsterroristischen „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), welcher ab den 1950er Jahren etliche, teils tödliche Bombenanschläge ausübte.

Die extreme Rechte bejubelt den Erfolg von Frei.wild genau wegen solcher Positionierungen. Von „Der Tiroler“ über die „Zuerst!“, von „Sezession“ bis zum NPD-Blatt „Deutsche Stimme“ wird der Gruppe zu ihrer Gradlinigkeit gratuliert. Über die antiextremistischen Distanzierungen wird gern hinweggesehen. Wichtiger sei, dass die Musik eine „heimattreue“ Haltung weit effektiver verbreitet, als es dem eigenen Spektrum derzeit auf politischem Weg gelingt. Ein NPDler in einem Nazi-Internet-TV-Sender: „Das ist nicht hundert Prozent nationaler Widerstand. Aber das ist absolut patriotisch. Wir haben aus dieser Band die Möglichkeit, in noch extremerem Maße zu profitieren, als durch die Böhsen Onkelz. Die Band sei „politisch vielleicht nicht 100 Prozent bei uns auf Linie, aber immerhin 80 Prozent.“

Zwischen den Böhsen Onkelz und Frei.wild gibt es viele Parallelen. Der Erfolg der Letzteren kam ins Rollen, nachdem sich die Ersteren 2005 aufgelöst hatten. Die Attitüde ist ähnlich, ebenso das Publikum. Die Prollrockband Böhse Onkelz aus Frankfurt am Main startete 1980, wurde eine Kultband der Naziskinszene, ließen ab 1986 die Haare wachsen und avancierten dann zu einer der größten deutschen Rockbands. Nie hatten sie in den späteren Jahren solche explizit politischen Texte wie heute Frei.wild, allerdings kam die von ihnen verkörperte Ästhetik – trotz zahlreicher Distanzierungen von der eigenen Vergangenheit – dem extrem rechten Lebensgefühl weiterhin nahe. Die Einstiegsbiografie vieler Neonazis weist eine jugendliche Phase aus, in der sie sich als „Onkelz-Fans“ identifizierten.

Genauso war es zum Beispiel bei Philipp Burger, dem heutigen Sänger von Frei.wild. Als Onkelz-Fan, als ein rebellischer Jugendlicher mit Ressentiments gegen „die Italiener“ wurde er zum Naziskinhead und gründete die Band „Kaiserjäger“. Die Gruppe hatte nur regionale Bedeutung. Ein Album mit Keltenkreuz auf dem Cover und Titeln wie „Meine Heimat heißt Tirol“ ist überliefert. 2001 lösten sich Kaiserjäger nach einer Schlägerei bei einem Konzert auf. Bereits ein paar Monate später wurde Frei.wild gegründet. Auf Punkt und Komma mit genau dem gleichen südtirolisch-patriotischen Inhalt, immer noch Rock, , nur eben ohne den Skinheadgestus. Lieber engagierte sich Philipp Burger zeitweilig bei der Rechtsaußenpartei „Die Freiheitlichen“, die in Südtirol mit Wahlergebnissen um die 15 Prozent die zweitstärkste politische Kraft ist. 2008 sollten „Frei.Wild“ bei einem Konzert der dazu gehörigen Jugendorganisation auftreten. Eine Kostprobe aus dem Forderungskatalog der „Freiheitlichen Jugend“: „Südtirol zuerst! Einwanderung stoppen! Heimat schützen! Sofortige Ausweisung von ausländischen Straftätern!“ Nach einiger Kritik – schließlich betonte die Band damals schon ihren „unpolitischen Charakter“ – wurde das Konzert abgesagt und Burger zog sich aus der Partei zurück. Er erklärte, er habe sich bei den Freiheitlichen engagiert, weil es „nicht sein kann, dass fast jedes Wochenende gewalttätige Übergriffe ausländischer Gangs auf einheimische Jugendliche begangen werden“. Trotzdem höre er auf : „Ich bin aus der Partei wieder ausgetreten und habe auch das Amt niedergelegt, aber nicht etwa deswegen, weil ich Schuldgefühle habe oder mit dem Parteiprogramm nicht einverstanden wäre, sondern weil ich eingesehen habe, dass es etwas zwiespältig ist, Parteimitglied zu sein und gleichzeitig Distanz vor der gesamten Politik zu nehmen.“

Mittlerweile streitet die Band die Mitgliedschaft ihres Sängers in der Partei ab. 2013 räumte Frei.wild auf einer eigens eingerichteten Internetseite, die der angeblichen medialen Verfolgung der Band Einhalt gebieten will, lediglich folgendes ein: „Bei den Freiheitlichen Südtirols hat Philipp an genau zwei Sitzungen des Brixner Bezirksausschusses teilgenommen, in denen es ausschließlich um Kommunalbelange und die Bildung einer Brixner Ortsgruppe ging.“ Man kann diese Faktenkneterei als PR-Strategie verstehen – oder als dreiste Lüge.

Genau wie es bei den Onkelz war, ist die Neonazivergangenheit im Selbstbild von Frei.wild dabei kein Grund für Scham. Sondern sie dient als Quelle von Stolz und Identität. Seht her: Wir sind nicht stromlinienförmig, wir haben Ecken und Kanten, wir sind authentisch, haben Fehler begangen. Seitenweise wird in einem offiziellen Frei.wild-Fanbuch über die Vergangenheit referiert: „Hausdurchsuchungen, Massenschlägereien und die Zeit mit Kaiserjäger haben ihre Spuren hinterlassen.“ Gruppen wie Böhse Onkelz und Frei.wild sind nicht trotz, sondern wegen ihrer Nazivergangenheit so erfolgreich. Der Geruch von Straße und Abenteuer kommt genau daher – die Bands sind „kontrovers“ und „umstritten“. Wenn die Bands kritisiert werden, rücken sie mit den Fans zusammen, gemeinsam steht man zusammen: Mann bei Mann, wir sind wir.

Der politische, nationalistische Gehalt der Frei.wild-Texte ruft zum Glück Kritik hervor. Im Pop- und Rockbereich haben sich Bands wie Jennifer Rostock, Jupiter Jones und Die Ärzte mit Statements oder rhetorischen Spitzen positioniert. Um die Ein- und mögliche Ausladung der Gruppe zu manchem Open Air gab und gibt es Streit. Ein Indizierungsantrag wegen eines gewalthaltigen Texts gegen ein frühes Album wurde plötzlich gestellt und wurde - zurecht übrigens – im Februar 2014 abgelehnt. Einen Höhepunkt erreichte die Debatte rund um den „Echo“-Musikpreis 2013. Die italienische Band war in der Kategorie „Rock/Alternativ national“ für einen Preis nominiert – wie übrigens schon zwei Jahre zuvor. Diesmal gab es Streit und Frei.wild wurde kurz vor der Preisverleihung ausgeladen. Eine Solidaritätskundgebung der NPD „für Meinungsfreiheit“ vor dem Berliner „Echo“-Veranstaltungsort wurde von Band und Fans mit einer eigenen Kundgebung gekontert. Erstaunlich wenig wurde während der Echo-Debatte über den Gehalt der Frei.wild-Texte gesprochen und stattdessen immer wieder gefragt, ob an den (nie gemachten) Vorwürfen, es handele sich um eine „Naziband“, etwas dran sei. Zum Echo 2014 wurde die Gruppe erneut nominiert, nachdem der „Echo-Ethikrat“ den Fall „geprüft“ hatte und dann doch alles nicht so problematisch fand. Frei.wild waren wegen der Ereignisse im Vorjahr immer noch beleidigt. Die selbst ernannten Medienopfer ließen ein umfangreiches Statement in der Bild-Zeitung verbreiten: Die Ausladung 2013 sei eine „bodenlose Sauerei“ gewesen, die zu Verletzungen auf der „seelischen Ebene“ geführt habe. Solange dieser Schaden nicht gut gemacht sei, würde man dem Echo fernbleiben.

Geholzt wird von der Band gegen alle, die sie kritisieren. Denn wer Kritik übt, ist gegen Meinungsfreiheit und muss böse Absichten hegen. Der SPD-Schädelvermesser Thilo Sarrazin hat kürzlich ein Buch geschrieben, in dem er einen angeblichen „Tugendterror“ der political correctness in Deutschland beklagt. Und genau von diesem Thema singen auch Frei.wild das eine oder andere Liedchen. Über ihre Kritiker texten sie im Song „Gutmenschen und Moralapostel“: „Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen. Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen. Sind selber die größten Kokser, die zu Kinderstrichern gehen“. Und in „Wir reiten in den Untergang“ heißt es: „Keine Gnade und im Zweifel nichts für dich. Heut gibt's den Stempel, keinen Stern.“ Das ist antisemitisch grundierter Verfolgungswahn – die Plattenmillionäre klagen, dass ihnen der Mund verboten würde und parallelisieren die Kritik an ihrer Band mit der Judenverfolgung während der Nazizeit. Nur um sich dann hinterher wie die verfolgte Unschuld über „Mißverständnisse“ zu wundern, die dazu führen, dass manche Leute auch diese Lieder für fragwürdig halten. Sarrazin schreibt für ein abstiegsängstiges Bildungsbürgertum, Frei.wild vertonen den gleichen Inhalt in simplerer Form. Miteinander vereinbar ist das offenbar. Die „Angst des weißen Mannes“ (Profi-Angsthase Peter Scholl-Latour), eine von der bevormundenden „political correctness“ befeuerte Wut schafft sich immer größeren Raum in Deutschlands Meinungslandschaft und sie ist in Bürgertum und Proletariat gleichermaßen zu finden. Der Erfolg von Frei.wild ist nur ihr kultureller Ausdruck. In den Bestsellerlisten stehen Figuren wie Sarrazin und der Turbodeutsche Akif Pirinçci ganz weit oben. Im Internet pöbelt der Mob bei „Politically Incorrect“. Politisch steht die „Alternative für Deutschland“ vor dem Sprung ins Europaparlament. Auch die Professorenpartei bringt seltsame Allianzen zustande: Inhaltlich ist’s knallharter Klassenkampf von Oben doch die besten Wahlergebnisse bei der vergangenen Bundestagswahl holte die Partei im nach ihren Kriterien leistungsfaulen Ostdeutschland.Die Masche bei den Frei.wild-„Kontroversen“ ist im Popbereich bewährt: Poltern ohne Rücksicht auf Verluste, dann über Kritik und „Redeverbote“ den Kopf schütteln, dann darauf verweisen, dass man es nur gut meint mit der Welt. Sobald sich die Wellen glätten: Erneut poltern. So läuft’s bei Frei.wild, so lief es bei den Onkelz. Der Berliner Rapper Bushido, übrigens bekennender AfD-Wähler, versteht es übrigens auf gar nicht unähnliche Weise, sich ständig wechselnd als schwerkrimineller Gangster, verfolgt-missverstandene Kunstgestalt und Integrationsbotschafter zu präsentieren: Arabermafia, Gymnasium, Drogen, Integrationsbambi, homophobe Morddrohungen, Buchautor, CDU-Praktikant.

Das Spiel geht weiter. Das Sarrazin-Buch gegen den „Tugendterror“ hat eine Startauflage von 100.000 Exemplaren. Der „Deutschrock“-Markt boomt, Gitarrenmusik mit selbstgerechten Texten und nationalistischen Einsprengseln ist im Kommen. Im Juni spielen Frei.wild ein großes Open Air zusammen mit Schlageropa Heino. Am gleichen Wochenende steigen die Böhsen Onkelz aus der Versenkung: Auf dem Hockenheimring gibt die Band ein Comeback-Konzert unter dem Titel „Nichts ist für die Ewigkeit.“ In Nullkommanichts war die Show ausverkauft.

Bolk | 09.04.14 10:18 | Permalink