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»Mein bestes Argument ist das fertige Gebäude.«

Peter Zumthor: Bauten und Projekte
von Jürgen Schneider

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Topographie des Terrors, Internationales Ausstellungs- und Dokumentationszentrum, Berlin, Deutschland, 1993–2004, Bild: Copyright Verlag Scheidegger & Spiess AG

Die Ausschreibung im Jahr 1993 für das Internationale Ausstellungs- und Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin gewann der Schweizer Architekt Peter Zumthor. Mit seinem Entwurf versuchte er, das Gelände, auf dem sich einst das Gestapo-Hauptquartier, das Geheime Staatspolizeiamt, SS-Führung, Sicherheitsdienst der SS und des Reichssicherheitshauptamtes befanden, sprechen zu lassen und die wenigen Überreste der von den Nazis benutzten Bauten und Anlagen zu erhalten und zu zeigen. Für den Ort, an dem Verbrechen an der Menschheit geplant wurden, so das anfängliche Gefühl des Architekten, kann es im Grunde keine Form geben.

Mit seinen Mitarbeitern erfand Zumthor das Stabwerk, das reine Konstruktion sein wollte und darin an kein anderes Gebäude erinnern sollte: »Alles ist Statik, Konstruktion, Struktur. Die Zwischenräume zwischen den Stäben sind verglast. Das Gebäude steht leicht und durchlässig auf dem Gelände. Alles ist transparent.«

Wie wir wissen, gelangte der Zumthor-Entwurf nicht zur Ausführung. Zu Baubeginn wurden die beiden Trümmerhügel, die mit dem langgestreckten Baukörper des Entwurfes die zentrale Grundfigur bildeten, abgetragen, ohne dass der Architekt informiert wurde. Dann stellte sich heraus, dass die Berliner Bauverwaltung das Budget für einen Bau dieser Größenordnung zu gering angesetzt hatte. Dann konnten wegen Kassensperre vorübergehend die Planer nicht mehr bezahlt werden. Die Berliner Baufirma, an die der Auftrag vergeben wurde, war nicht in der Lage, die Arbeit auszuführen und ging pleite. Ihre Kalkulation, die ihr den Auftrag sicherte, war für die qualitativen Ansprüche zu niedrig ausgefallen. Im Jahre 2004 wurde das Bauprojekt aufgegeben, und die Verantwortlichen in den Ministerien und Senatsstuben ließen in jenen Medien, die bei solchen Anlässen stets willfährig Gewehr bei Fuß stehen, die Schuld für das Scheitern des Bauvorhabens dem Architekten zuschieben. Vergessen wurde dabei, dass der Historiker Reinhard Rürup, Wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, aus Protest zurücktrat, weil »die vom Bund vor einigen Jahren bewilligten Mittel für die Vorbereitung der Ersteinrichtung des Neubaus nicht mehr ausgezahlt werden.« Der Beschluss, das Dokumentationszentrum nicht fertig zu bauen, erfolgte auf politischer Ebene auf Betreiben des Bundes. In einem »Spiegel«-Interview erklärte Zumthor später: »Das wurde offenbar von ganz oben entschieden, von Kanzler Schröder abwärts.« Die drei bereits für 13,8 Millionen Euro errichteten Treppentürme des Museumsbaus auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände wurden im Winter 2004 abgerissen.

In dem jüngst erschienenen 5-bändigen Werk »Peter Zumthor: Bauten und Projekte« finden sich die folgenden abschließenden Bemerkungen des Schweizers zu dieser Berliner Farce: »Mit der Idee, ein Gebäude aus immer gleichen Stäben zu errichten, es nach dem Prinzip von Stab-Lücke-Stab zusammenzusetzen, es nicht von unten nach oben, sondern linear wie einen Tunnel zu bauen, gingen wir an die Grenzen der Konventionen des Konstruierens und Bauens – und an die Grenzen des damals in Berlin Machbaren.«

Die umfassende Werkübersicht in fünf Bänden präsentiert rund 40 Bauten und Projekte von Peter Zumthor, der 2009 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde. Die sachlich, also ohne überflüssigen Designerfirlefanz gestalteten und dezent in dunkelgraues Leinen gebundenen Bände bieten eine Dokumentation seiner weltbekannten Gebäude und zahlreicher noch nie vorgestellter Projekte auf rund 800 Seiten mit über 600 Fotografien, Plänen, Handskizzen, Zeichnungen, Aquarellen und eigens für diese Monografie verfassten Texten von Peter Zumthor.

Zumthor geht es stets um die sorgfältige Abstimmung seiner Gebäude auf ihren Ort, Form und Atmosphäre sollen perfekt zu ihrer Nutzung passen. Präzision ist ihm ebenso wichtig wie die Wahl der Materialien. Die Event-Baukultur ist ihm ein Gräuel. Es ist Zumthors Wunsch und Glaube, dass der Zweck eines Hauses und der Ort an dem das Haus entstehen soll, die architektonische Form fast wie von selbst hervorbringen, wenn er diese beiden Aspekte der Bauaufgabe nur sorgfältig genug studiere und in Beziehung zueinander setze. Die Konzepte für seine Bauten, wie etwa das Thermalsbad in Vals, das Kunsthaus Bregenz, die Feldkapelle Bruder Klaus bei Wachendorf in der Eifel oder das Erzbischöfliche Diözesanmuseum in Köln, mögen verschieden sein, doch jeder Bau ist ein in sich stimmiges, untrennbar mit seinem Ort verbundenes Gesamtkunstwerk.


Peter Zumthor – Bauten und Projekte, hrsg. v. Thomas Durisch, 5 Bände im Schuber, Texte, Skizzen und Zeichnungen von Peter Zumthor, mit Fotografien von Hélène Binet, Hans Danuser, Ralph Feiner, Thomas Flechtner, Walter Mair, Joël Tettamanti u. a., 800 Seiten, 278 farb., 142 s/w Abb., 341 farb. u. s/w Skizzen, Leinen 24 x 30 cm. – Zürich: Scheidegger & Spiess, 2014, 220 EUR

A.S.H. | 21.04.14 12:39 | Permalink