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On - und Off-Beziehung

„Her“ Regie: Spike Jonze

Von Angelika Nguyen

Der Abstand zwischen der Handlungszeit dieses Science-Fiction-Films (2025) und unserer Gegenwart beträgt gerade mal elf Jahre. Was er zeigt, ist in technischer Hinsicht denn auch gar nicht so weit entfernt. Wir merken nur an kleinen Dingen den Unterschied: an den merkwürdigen Hosen etwa, die alle Männer tragen, eine Art Tweed bis weit über der Taille geschnitten und daran, dass Theodore die Befehle an seinen Arbeitscomputer ausschließlich per Stimme ausgibt und daran, dass er abends in seinem interaktiven Computer-Spiel quasi dreidimensional selber herumlaufen kann.

Regisseur Spike Jonze musste die Gegenwart nur ein bisschen weiter treiben. Menschen, die stundenlang und überall und überhaupt nur noch mit ihrem Computer sind, gibt es schon. Freundschaften und Liebesbeziehungen, die nur online existieren, ebenfalls.

Da liegt eine Idee, wie der Film sie hat, nahe: Theodore verliebt sich in das Betriebssystem seines Computers.

Das Jahr 2015 erscheint als eine Zeit der Hyperurbanität, der bequemen, geräumigen Interieurs, es gibt Dachterrassen à la „Blade Runner“, die Aussicht von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer und die Allgegenwart der Computer. Im Gegensatz dazu inszeniert Jonze die Landschaft der menschlichen Mimik in nahen Aufnahmen. Minutenlang sehen wir zu Beginn nur das Gesicht von Joaquin Phoenix (als Theodore) in Nahaufnahme. Phoenix trägt einen Schnauzbart. Melancholisch wirkt Theodore dadurch schon von Anfang an. Beruflich jedoch ist er Meister der Manipulation. Er denkt sich herzzerreißende Briefe an Leute aus, die von deren Angehörigen oder Geliebten in Auftrag gegeben werden. Der Computer überträgt diese Diktate in eine hübsche persönliche Handschrift, und ab geht die Post.

Später zeigt die Kamera Theodores Briefe als Detail der Fließbandarbeit vieler Angestellter einer Firma. Gefühle auf Bestellung. Man muss sich vorstellen, dass die Empfänger solcher Post ja um die Existenz solcher Firmen wissen. So herrscht in der Zukunftsgesellschaft, die Spike Jonze uns da vorstellt, generell eine Verunsicherung, was Gefühle betrifft. Was ist echt, was nicht? Was geht von falschen Voraussetzungen aus, was nicht? Gibt es das überhaupt: falsche Voraussetzungen? Oder ist nicht vielmehr, dass wir überhaupt fühlen können, von Belang?
Theodore ist einsam, aber erst seit kurzem. Dier Trennung von seiner großen Jugendliebe Catherine ist frisch und schmerzhaft. Da kommt ihm die Nachricht über ein neuartiges Betriebssystem gerade recht. Er kauft es und wünscht sich, vor die Wahl gestellt, eine weibliche Stimme dazu. Mit turbulenten Folgen für sein Liebesleben. Denn das Betriebssystem ist künstlich intelligent und vermag sich ständig weiter zu entwickeln. Aufgrund von Theodores Interesse an dieser Stimme wird das Betriebssystem bald zu einer umworbenen und werbenden Frau. Und dann ist es auch noch die Stimme von Scarlett Johansson. Deren markante Rauheit und Klangfarbe sind wie geschaffen für eine akustische Liaison. Was aber zunächst wie ein Geniestreich der Besetzung aussieht, erweist sich als Hindernis für die Geschichte. Einerseits ist es nämlich eine schöne Idee, dass das Betriebssystem – mit Namen „Samantha“ – sich verzweifelt einen Körper für die Liebe wünscht. Ein bisschen wie die kleine Meerjungfrau, die Beine braucht, um zu ihrem Prinzen zu kommen. Andererseits haben wir Johansson schon zu oft sehr körperlich gesehen, als dass wir ihr das abkaufen. Vielleicht sind diese gemischten Gefühle ja auch gewollt von Jonze, der gern reale Prominente (John Malkovich in „Being John Malkovich“, Charly Kaufman in „Adaptation“) in erfundene Geschichten stellt.

Eine Weile fühlt es sich an wie Glück. Sie wachen zusammen auf, gehen zusammen spazieren (Theodore trägt dann das Gerät in seiner Hemdtasche, so dass die Kamera – Samanthas „Auge“- mit gucken kann), haben sogar Sex (ja!), sie streiten sich (dann geht Samantha offline), sie vertragen sich wieder online.

Die Krise ist da, als Theodore eines Tages mitten auf der Straße entdeckt, dass er nicht der Einzige ist, der sein Betriebssystem liebt. Samantha gesteht noch 641 andere User. Alles bricht zusammen. Die Euphorie, die Wirrnisse und die wispernde Nähe, der süße Schmerz – alles nur die Anwendung eines Betriebssystems. Diese Erkenntnis ist Theodores Katharsis. Übrig bleibt ein einsamer Mann mit seinem Computer.

Und so geht es in „Her“ nicht so sehr um die Komplikationen einer futuristischen, letztlich unmöglichen Liebe, sondern um die Bedingungen von Menschsein in einer hochtechnisierten Welt.

Vielleicht fehlt Theodore ja einfach nur seine Catherine. Erinnerungen an sie geistern durch den ganzen Film und erweisen sich als der eigentliche Schmerz, den Theodore die ganze Zeit zu verdrängen sucht. Dann taucht Catherine, gespielt von Rooney Mara, immer traumhaft überstrahlt, auf: eine Frau mit einem richtigen Körper, einem richtigen Lächeln. Von allen Figuren des Films ist sie die natürlichste, auf einer Wiese, unter Bäumen, mit Wind im Haar.

Vielleicht trennen sie sich ja doch nicht. Vielleicht aber doch.

A.S.H. | 07.04.14 14:53 | Permalink