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Von Little John zu den Radiators of Space – Dublins andere Geschichte

von Jürgen Schneider

Nach dem Besuch der Frankfurter Buchmesse 2013 wird in meinem Regal mit den ohnehin schon recht zahlreichen Dublin-Büchern ein neues Werk mit dem Titel »Come Here To Me! Dublin’s Other History«, herausgegeben von dem Trio Donal Fallon, Sam McGrath und Ciarán Murray, Platz finden. Dieses mannigfaltige, formidable und sehr unterhaltsame Werk enthält 69 Texte über mehr oder weniger unbekannte Aspekte und bislang verborgen gebliebene Details der Dubliner Geschichte und ist eine überfällige Ergänzung zu all den Dublin-Reiseratgebern, in denen es stets nur um Guinness, gregorianische Haustüren und das »Book of Kells« geht. Die durch die Texte abgedeckte Zeitspanne reicht vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Das Buch kennt allerdings keine Chronologie der Ereignisse. Erzählt wird, was gerade wichtig erscheint.

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Im Jahre 1188 soll Little John in Dublin gewesen sein und von der heute noch existierenden »alten Brücke« (also dem nun nach dem Alkoholfeind Father Mathew benannten Bauwerk) einen Pfeil in Richtung Oxmanstown abgefeuert haben. Der Kumpan von Robin Hood sei dann allerdings wegen Raubes in Arbour Hill, Dublin, gehängt worden. Einer anderen Legende nach liegt Klein Hänschen allerdings in dem englischen Nest Hathersage, Derybshire, begraben. So weiß es jedenfalls ein dort aufgestellter Grabstein. Vonolel hingegen liegt beim Royal Hospital Kilmainham begraben, das heute das Irish Museum of Modern Art beherbergt. Vonolel war das Pferd des britischen Feldmarschalls Earl Roberts, hatte diesem bei dessen kriegerischen Unternehmungen in Afghanistan und Indien gedient und war mit mehreren Orden dekoriert worden. Das Britenross war also eine Art equestrischer Oberst Klein, dessen mörderisches Treiben ein Mann namens Lenin auf das Heftigste kritisiert hätte. Und hätte er dies in englischer Sprache getan, dann wäre ein »Rathmines-Akzent« zu vernehmen gewesen. Dies behauptete jedenfalls einst Roddy Connolly, der Sohn des nach dem irischen Osteraufstand von 1916 hingerichteten James Connolly. Den Kritikern an diesem Aufstand hatte Lenin einst erwidert: »Wer einen solchen Aufstand einen Putsch nennt, ist entweder der schlimmste Reaktionär oder ein hoffnungsloser Doktrinär, der unfähig ist, sich die soziale Revolution als eine lebendige Erscheinung vorzustellen.«

Roddy Connolly hatte Lenin Anfang der 1920er Jahre in Petrograd getroffen. Lenin, so Connolly, habe einst an der Themse in der »London Times« eine Anzeige aufgegeben, in der es hieß: »Helfen Sie mir, Englisch zu lernen, helfe ich Ihnen, Russisch zu lernen.« Lenins Frau Nadeschda Krupskaja schreibt in ihrer Lenin-Biografie von 1930, in London hätten sie und Wladimir vor allem einen Mann gemocht, der Englisch mit einem irischen Akzent gesprochen habe. Dieses sei besser zu verstehen gewesen, als etwa das am Hyde Park zu hörende Englisch. Der Rathmines-Akzent wird in den Dubliner Stadtteilen Rathmines und Rathgar gesprochen. Dort wird aus Pakistan »Pawkistan« und aus father »fawther«.

Während des Kalten Krieges wurde in der Sowjetunion eine Karte von Dublin erstellt, auf der strategisch wichtige Punkte markiert sind, die auch schon für die Rebellen von 1916 von Bedeutung waren (siehe: www.sovietmaps.com).

So um die Zeit, als Roddy mit Lenin parlierte, dekorierten Arbeitslose in Dublin die Fenster der von ihnen besetzten Rotunda-Konzerthalle mit roten Fahnen, »um gegen die Apathie der Behörden« zu protestieren. Man schrieb das Jahr 1922. Der Sprecher des Rates der Arbeitslosen war Liam O’Flaherty, der später als Schriftsteller Weltruhm erlangen sollte. Sein erstes Werk war das von den Rotunda-Besetzern verbreitete Manifest.

Bereits 1912 war in der Dubliner Shelbourne Road die »Swastika Laundry« (Wäscherei Hakenkreuz) gegründet worden, die bis 1987 existierte. Mit den Nazis hatten die Wäschereibesitzer allerdings nie etwas am Hut. Im Hakenkreuz sahen sie »ein Symbol für Glück«. Ihre »ornamentale Katze« war die Inspiration für den Namen der Wäscherei, bot sich das Nackenfell des Tieres doch als Hakenkreuz dar. In seinem »Irischen Tagebuch« berichtet Heinrich Böll, dass ein Lieferwagen der »Swastika Laundry« ihn einmal beinahe über den Haufen gefahren und das Hakenkreuz auf dessen Karosserie ihm einen mächtigen Schrecken eingejagt habe.

Mit Hakenkreuzfahnen und allerlei Nazi-Brimborium wurde 1947 der einstige Nazi-Spion Hermann Goertz auf dem Deansgrange Cemetery in Dublin beerdigt. Vor allem irische Frauen nahmen Abschied von Goertz, der bis zu seinem Freitod bei Mary und Bridie Farrell in Glenageary, einem südlichen Vorort von Dublin, gewohnt hatte. Der Name ist eine Korrumpierung der irischen Ortsbezeichnung Gleann na gCaorac, was Glen des Schafes bedeutet. Die beiden Damen, so die Herausgeber, seien antibritisch und pro-irisch-republikanisch eingestellt gewesen. 1974 gruben Ex-Nazi-Offiziere im Schutz der Dunkelheit die sterblichen Überreste von Goertz aus und verbrachten sie auf den Deutschen Kriegsfriedhof in Glencree, Grafschaft Wicklow.

Höchst interessant ist der Text über die »klassenbewusste und mit sozialistischer Politik sympathisierende Band« The Blades, die aus dem Dubliner Hafenvorort Ringsend stammte, von 1977 bis 1982 existierte und es zu einiger Berühmtheit brachte. Der DJ Dave Fanning berichtet, dass The Blades im Baggot Inn einst vor U2 auftraten. Als Bono & Co. dann auf die Bühne gekommen seien, und Frontmann Bono die Zuschauer mit einem Bericht über seinen Traum der Nacht zuvor genervt habe, sei es recht leer geworden im Saal. Es war also keineswegs immer so, dass U2 in Irland bejubelt wurde.

Die Dubliner Mod-Szene der frühen 1980er Jahre wird ebenso beleuchtet wie die äußerst lebendige Punkszene. In einem Interview erzählt der Singer und Songwriter Philip Chevron von der Punkcombo The Radiators of Space davon, dass die Iren stets unfähig gewesen seien, über den Irischen Bürgerkrieg zu sprechen, mit der Folge, »dass wir nie wissen werden, ob 1916 (beim Osteraufstand) 25.000 Leute im Hauptpostamt von Dublin gewesen sind (von dessen Treppen die Aufständischen die Unabhängigkeit verkündeten)«. Chevron gibt sich zudem als Fan von James Joyce und dessen Opus »Ulysses« zu erkennen. Der Radiators-Song ›Kitty Ricketts‹ komme direkt aus dem »Ulysses«, aus jenem Buch der Weltliteratur also, mit dem Joyce seiner Heimatstadt Dublin ein bleibendes Denkmal gesetzt hat.

»Come Here To Me! Dublin’s Other History«, herausgegeben von Donal Fallon, Sam McGrath und Ciarán Murray. – Dublin: New Island, 2012, 304 S.

A.S.H. | 28.10.13 12:42 | Permalink