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»Joseph Beuys flies again«

von Jürgen Schneider

Joseph Beuys war im März 1944 mit einem JU 87-Sturzkampfflieger auf der Krim abgestürzt und will danach von Tartaren mit Filz und Fett gepflegt worden sein. Seine Schilderung, Ausgangspunkt allerlei Deutungen des Beuys’schen Œuvres, ist als »Tartarenlegende« in die Kunstgeschichtsschreibung eingegangen. Frank Gieseke und Albert Markert hatten in ihrem 1996 erschienenen Buch »Flieger, Filz und Vaterland« die Krim-Erlebnisse des Künstlers vom Niederrhein genauestens unter die Lupe genommen und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Geschichte von Beuys, wie sie kolportiert wird, sich so mit Sicherheit nicht zugetragen hat. Dies hielt freilich HP Riegel, Autor der Biografie »Beuys« (2013), nicht davon ab, die Krim-Geschichte noch einmal wiederzukäuen und sich als »Entlarver« Beuys’scher Fiktionen zu gebärden.

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Wenn Wild Billy Chyldish es mit seiner Band CTMF auf der soeben in Beuys-brauner Hülle veröffentlichten Single »Joseph Beuys flies again« scheppern lässt, dann ist wohl erneut die Stunde solcher »Entlarver« gekommen. Beuys fliegt wieder, kann das wirklich sein? Ist er etwa nicht tot?

Wenn Riegel »entlarvt«, dann mit sinnfreien Textriegeln wie diesem: »In Derry (Londonderry), der nördlichen Grenzstadt zwischen Nordirland und der Republik Irland, dem Zentrum des Nordirland-Konfliktes, unternahm Beuys den nächsten Versuch, seine ›Therapie‹ anzubieten. Hier hatten sich die so genannten »Troubles« ereignet. Der ›Bloody Sunday‹ unter anderem, an dem am 30. Januar 1972 im katholischen Viertel Bogside 13 unbewaffnete Demonstranten von Soldaten erschossen worden waren, die aus Sicht der katholischen Besatzungsarmee einer protestantischen englischen Regierung angehörten.« Die »Troubles« hatten sich anno 1974 bereits ereignet und dies ausschließlich in Derry? Und was, bitteschön, soll die »katholische Besatzungsarmee« gewesen sein? Der Sänger Morrissey von The Smiths seligen Angedenkens nennt inhaltliche Zumutungen wie diese »Pipsqueakery«.

In Derry hatte die grande dame der irischen Kunstkritik, Dorothy Walker, Ende der 90er Jahre die Ausstellung »Entfernter Schauplatz« von Volker Wilczek gesehen. Für die 50-teilige Fotoserie hatte Beuys nach seinem Rausschmiss aus der Düsseldorfer Kunstakademie seinem Schüler Wilczek nach dessen Vorgaben Modell gestanden – ein einmaliger Vorgang, weswegen die um ihre Pfründe bangenden Neider Wilczek und sein Werk bis heute totschweigen. Walker kritisierte, die Fotos zeigten nicht den Beuys, den sie bei den Diskussionen um eine Free University kennenlernte; dieser Beuys habe doch immer gelacht, auf diesen Fotos weine er aber. Was Walker nicht einsehen wollte: Es handelte sich um künstliche Tränen aus Bier. Vor kurzem erst wurde Beuys im Aufmacher eines deutschen Magazins für Kunst und Leben unter der Überschrift »Befreit Beuys!« als »zu ernst« bezeichnet und gefordert: »Holt sein Werk endlich aus der Mottenkiste!« Vom Werk im eigentlichen Sinne war in dem Artikel aber überhaupt nicht die Rede, sondern primär vom Geschehen auf dem Kunstmarkt und den sich dort tummelnden Gschaftlhubern. Ja, bitte, befreit Beuys von solchem geistfernen Schmonzes.

Der Song »Joseph Beuys flies again« von Wild Billy Chyldish & CTMF gilt explizit nicht dem Werk von Beuys, sondern ist als Warnung vor den neuen deutschen Sturzkampffliegern zu verstehen, während auf der B-Seite der Single CDUSPD eine Absage erteilt und vor einer »Nazi Party« gewarnt wird. Der Titel des Songs, der mit einem hübschen Drive vorgetragen wird, lautet »Oh mein Gott Baader Meinhoff«. Die beiden Lieder sind auch auf der double 10“ »Die Hinterstoißer Traverse« zu finden. Auf deren A-Seite ist mit »Thatcher’s Children« und »Joe Strummer’s Grave« eine glänzende musikalische Ehrerbietung an Joe Strummer und The Clash zu hören.

Wild Billy Childish & CTMF, Joseph Beuys flies again / Oh mein Gott Baader Meinhoff, 7’’ in verschieden gestalteten Hüllen und in verschiedenen Farben;
Die Hinterstoißer Traverse, double 10’’. www.squoodge.de

A.S.H. | 29.10.13 16:30 | Permalink