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Der zivilgesellschaftliche Arm des Bundesfamilienministeriums oder Verfassungsschutz light

Vielerorts‭ ‬werden Mietproteste noch ausschließlich vom Staatsschutz betreut,‭ ‬in Leipzig versucht man's eleganter.‭ ‬Dort ist‭ „‬Kampf gegen Linksextremismus‭" ‬offensichtlich‭ ‬eine arbeitsteilige Mischung aus Kriminalprävention und Ausforschung von Subkulturen durch das Familienministerium.‭ ‬Während heute viele erfolgreiche Projekte gegen‭ „‬Rechtsextremismus‭" ‬wegen Fördermittelkürzungen vor dem Aus stehen,‭ ‬scheint für die Bekämpfung linker Strukturen das Geld reichlich zu fließen.

Von Jenz Steiner vorab aus telegraph #127

In Zeiten des sozialen Klimawandels lässt sich der Bund den Kampf gegen Links richtig was kosten,‭ ‬allen voran das Bundesfamilienministerium mit der‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“‬.‭ ‬Obwohl sich die Gefahr,‭ ‬die von der radikalen Linken ausgeht,‭ ‬eher auf dem Niveau von Farbbeutelwürfen bewegt,‭ ‬will man dennoch vorbeugen und ihr rechtzeitig den Wind aus den Segeln nehmen.‭ ‬In Städten wie Leipzig steigen die Wohnungsmietpreise bis‭ ‬2015‭ ‬um‭ ‬7,1‭ ‬bis‭ ‬7,5‭ ‬Prozent.‭ ‬Das ist für alle spürbar.‭ ‬Dennoch gelten Verdrängung und Gentrifizierung als vornehmlich von Linken besetzte Themen.‭ ‬Wer sich vor der eigenen Haustür dagegen einsetzt oder in linken Gruppen engagiert,‭ ‬zieht inzwischen nicht nur die Aufmerksamkeit des Staatsschutzes oder Verfassungsschutzes auf sich,‭ ‬sondern wird mit seiner Expertise und seinem Einblick in die eigene Szene auch interessant für Studien verschiedener Institutionen.‭ ‬Nicht immer dienen diese Studien der Wissenschaft.‭ ‬Mit Fördergeldern des Bundes und dem Detailwissen der Szene-Insider will der Verein‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie‭“ ‬nun eine Website zum Thema‭ „‬Linksextremismus‭“ ‬aufbauen.‭ ‬Auf dem Portal soll man sich über linksradikale Positionen informieren und langfristig in geschlossenen,‭ ‬moderierten Chats darüber diskutieren können.‭ ‬Ein aktuelles Fallbeispiel aus Leipzig:
Eine kryptisch formulierte e-Mail erreichte Anfang des Jahres den Leipziger Stefan Lehmann,‭ ‬der seinen richtigen Namen nicht publik machen will.‭ ‬Lehmann engagiert sich im Conne Island,‭ ‬einem‭ ‬22‭ ‬Jahre alten und überregional bekannten Jugendkulturzentrum in Leipzig Connewitz.

Die Absenderin der Mail stellte sich als Mitarbeiterin des Vereins‭ „‬Gegen Vergessen‭ ‬– Für Demokratie‭“ ‬vor,‭ ‬einem‭ ‬1993‭ ‬gegründeten Verein,‭ ‬der hauptsächlich Bildungs-‭ ‬und Beratungsarbeit zu Nationalsozialismus,‭ ‬DDR-Geschichte und Rechtsradikalismus betreibt.‭ ‬In der Nachricht bat sie Lehmann um die Teilnahme an einem‭ ‬so genannten Leitfadeninterview zur Entwicklung systemisch-lösungsorientierter und online-basierter Ansätze in den Themenfeldern Linksextremismus und Gentrifizierung.


Kontakt von der Kommune

Die Kontaktadresse sei ihr‭ „‬von der Kommune empfohlen‭“‬,‭ ‬also von der Stadt Leipzig ausgehändigt worden.‭ ‬Zuerst hielt Lehmann die Nachricht für die Anfrage einer Studentin,‭ ‬doch die schwammige Ausdrucksweise machte ihn stutzig.‭ ‬Er vermutete,‭ ‬dass der Kriminalpräventive Rat‭ (‬KPR‭)‬ der Stadt Leipzig Daten von politisch aktiven Leipzigern sammeln und weiterleiten würde.‭ ‬Lehmann schaute sich auf der Vereinswebsite‭ „‬www.gegen-vergessen.de‭“ ‬um und sagte umgehend ab.


Gentrifizierung als Türöffner

Im Vorstand des Vereins sitzen keine politischen No Names.‭ ‬Der ehemalige Bundesverkehrsminister und Ex-Bürgermeister der Stadt Leipzig,‭ ‬Wolfgang Tiefensee löste im vergangenen Jahr den derzeitigen Bundespräsidenten Joachim Gauck als Vorstandsvorsitzenden ab.‭ ‬Tiefensees Stellvertreter ist nun Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen.‭ ‬Nach Ansicht des Angefragten Stefan Lehmann sei das Thema Gentrifizierung für den Verein‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie‭“ ‬im Rahmen der Befragung nur ein Türöffner,‭ ‬um mit Aktiven der linken Szene in Kontakt zu kommen.‭ ‬Seiner Meinung nach sei der Verein‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie‭“ ‬lediglich‭ „‬ein zivilgesellschaftlicher Arm des Bundesfamilienministeriums‭“‬.‭


Umstrittenes Förderprogramm gegen Links

Tatsächlich zieren auf der Vereinswebsite die Logos des Bundesministeriums für Familie,‭ ‬Senioren,‭ ‬Frauen und Jugend‭ (‬BMFSFJ‭) ‬und der‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬die Unterseite des‭ „‬Dialoge fördern‭“‬-Projekts.‭ ‬Unter dem Namen‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬unterstützt das Bundesfamilienministerium seit Juli‭ ‬2010‭ ‬mit‭ ‬4,7‭ ‬Millionen Euro bundesweit‭ ‬41‭ ‬Projekte zur vorbeugenden Bekämpfung von‭ „‬Linksextremismus und islamischem Extremismus‭“‬.‭ ‬Seit Juli‭ ‬2011‭ ‬steht der‭ „‬Gegen Vergessen‭ ‬– Für Demokratie e. V.‭“‬ auf der Förderliste.‭

Die‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬ist ein umstrittenes und viel diskutiertes Vorhaben der CDU-Familienministerin Kristina Schröder.‭ ‬Parteien,‭ ‬Gewerkschaften und Presse kritisierten sie für ihr Anknüpfen an die unwissenschaftliche‭ „‬Extremismustheorie‭“ ‬und das Gleichsetzen linker Positionen mit menschenverachtenden Ideologien und rechter Kriminalität und Gewalt.‭ ‬Ein Aufhänger für die Kritik war der erste Zwischenstandsbericht des‭ ‬„Deutschen Jugendinstituts‭ (‬DJI‭)‬“,‭ ‬das die‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬wissenschaftlich begleitet,‭ ‬beobachtet und auswertet.

Offene Diskussionen in geschlossenen Chats

Das Programm‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬läuft vorerst bis zum Jahr‭ ‬2014.‭ ‬In diesem Rahmen entwickelt der in Berlin ansässige Verein nun eine Website.‭ „‬Dialoge fördern‭ ‬– Internetportal zur Auseinandersetzung mit linksradikalen Positionen heißt das Projekt‭“‬,‭ ‬sagte Dr.‭ ‬Michael Parak dem‭ ‬„telegraph‭“‬.‭ ‬Er ist seit Mai‭ ‬2009‭ ‬Geschäftsführer von‭ „‬Gegen Vergessen‭ ‬– Für Demokratie‭“‬.‭ ‬Ziel des Projekts sei es,‭ ‬Dialoge zwischen verschiedenen Bevölkerungskreisen zu fördern.‭ ‬Langfristig solle das über geschlossene und moderierte Chats geschehen,‭ ‬in denen sich eher Linke mit eher Konservativen austauschen können.‭ ‬Dies sei‭ ‬2013‭ ‬jedoch noch nicht umsetzbar.‭ „‬Mit geschlossenen Chats haben wir schon Erfahrung‭“‬,‭ ‬sagte Parak in Bezug auf das Webprojekt des Vereins‭ ‬Online-Beratung-gegen-Rechtsextremismus.de.‭


Anreize der Familienministerin:‭ ‬mehr Geld gegen Links als gegen Rechts

„Gegen Vergessen‏ ‎– Für Demokratie‏“ ‎erhielt‭ ‬2011‭ ‬für die Online Beratung als Form der qualifizierten Elternarbeit‭ ‬53.372,33‭ ‬Euro aus Bundesmitteln.‭ ‬Für die‭ „‬Entwicklung systemisch-lösungsorientierter und Online-basierter Ansätze im Themenfeld Linksextremismus‭“ ‬bekam der Verein sogar‭ ‬58.000‭ ‬Euro.‭ ‬Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE vom‭ ‬4.‭ ‬Juli‭ ‬2011‭ ‬hervor‭ (‬Drucksache‭ ‬17/6197‭)‬.‭ ‬Nach Recherchen der‭ ‬„Kontext:‭ ‬Wochenzeitung‭“‬ haben Projekte,‭ ‬die die Linke unter die Lupe nehmen,‭ ‬insgesamt bessere Aussichten auf Gelder aus dem Fördertopf‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬als vergleichbare Vorhaben gegen Rechts.‭ „‬Während Initiativen gegen Rechtsextremismus nur gefördert werden,‭ ‬wenn sie einen Eigenanteil von‭ ‬50‭ ‬Prozent aufbringen,‭ ‬müssen Organisationen,‭ ‬die Jugendliche davor bewahren möchten,‭ ‬in autonome,‭ ‬kommunistische oder salafistische Gruppen zu geraten,‭ ‬gerade mal zehn Prozent selbst finanzieren‭“‬,‭ ‬heißt es dort im Beitrag‭ „‬Extrem undurchsichtig‭“ ‬des Journalisten Frank Brunner.‭


Mythen,‭ ‬Symbole und Abschottung

In der Vorbereitungsphase des neuen Online-Projekts recherchierte der Verein‭ „‬Gegen Vergesen‭ – ‬Für Demokratie‭“ ‬zum Thema‭ „‬linksradikale und linksextremistische Entwicklungen‭“ ‬und erstellte dazu einen Essay.‭ ‬Im Jahresbericht‭ ‬2012‭ ‬des Vereins heißt es dazu:‭ „‬Typisch für extremistische Gruppierungen ist beispielsweise,‭ ‬dass sie in hohem Maße eine Mythenkultur und Symbolsprache entwickeln,‭ ‬die eigene Wirklichkeiten schafft.‭ ‬Im Prozess der Radikalisierung verlieren sich dann oft Bezüge zur Alltagswelt der‭ ‬‚Anderen‭’‬.‭“ ‬Das Thema Gewalt spiele keine vordergründige Rolle,‭ ‬betonte Parak.‭ „‬Wir wollen gucken,‭ ‬entstehen da irgendwann abgeschottete Lebenswelten,‭ ‬mit denen irgendwann kein Dialog mehr möglich ist‭“‬,‭ ‬sagte Parak im Gespräch mit dem‭ ‬„telegraph‭“‬.‭ ‬Die vorbereitende Phase war laut Jahresbericht‭ ‬2012‭ ‬abgeschlossen.


Kein Belastungsmaterial sammeln

Doch für ein klares Bild schien die bisherige Recherche des Vereins nicht auszureichen.‭ „‬Wir wollten von drei Leuten Einschätzungen kriegen,‭ ‬die wir aus unserem Berliner Büro nicht kriegen‭“‬,‭ ‬sagte Geschäftsführer Parak dazu.‭ ‬Eine externe freie Mitarbeiterin sei dafür über einen Werkvertrag angestellt und im Dezember‭ ‬2012‭ ‬mit der Interview-Akquise beauftragt worden.‭ „‬Wir haben jetzt auch gemerkt,‭ ‬so‭ ‬was darf man nicht mit einer freien Mitarbeiterin machen.‭ ‬Das macht keinen Sinn‭“‬,‭ ‬sagte Parak weiter.‭ ‬Wie die externe Interviewerin an die Daten der von ihr kontaktierten Personen gekommen sei,‭ ‬die sie angefragt hatte,‭ ‬sei ihm jedoch nicht bekannt.

Parak ist es wichtig,‭ ‬klarzustellen,‭ ‬dass der‭ „‬Gegen Vergessen‭ ‬– Für Demokratie e. V.‭“ ‬nicht als privater Ermittler für Ministerien oder Stadtverwaltungen agiere.

‏„‎Wir sind nicht vom Bundesfamilienministerium und nicht von der Stadt Leipzig beauftragt worden,‭ ‬Belastungsmaterial zu sammeln.‭ ‬Es geht uns nicht darum,‭ ‬Leipziger zu diskreditieren.‭“ ‬Parak selbst habe insgesamt sieben Jahre in Leipzig Connewitz gelebt und könne dort von einer eher positiven Entwicklung sprechen.


Doch lieber Gespräche statt Gefechte‭

Bereits während des Telefonats mit dem‭ ‬„telegraph‭“‬ kündigte er an,‭ ‬den Text aus dem Jahr‭ ‬2010,‭ ‬in dem auf‭ ‬gegen-vergessen.de das Linksextremismus-Projekt des Vereins beschrieben wird,‭ ‬in Kürze gegen eine bereits aktualisierte Projektbeschreibung auszutauschen.‭ ‬Dies geschah schon wenige Tage nach dem Telefonat mit dem‭ ‬„telegraph‭“‬.‭ ‬Der Duktus der neuen Version unterscheidet sich deutlich vom alten Text.‭ ‬Aus dem Projekttitel‭ „‬Entwicklung systemisch-lösungsorientierter und online-basierter Ansätze im Themenfeld Linksextremismus‭“ ‬wurde nun‭ „‬Dialoge fördern.‭ ‬Ein Internetportal zur Auseinandersetzung mit linksradikalen Positionen‭“‬.‭ ‬Das Kriegsvokabular ist verschwunden.‭ ‬Jetzt will man nicht mehr‭ „‬bekämpfen‭“‬,‭ ‬sondern miteinander ins Gespräch kommen.‭ ‬In Bezug auf die Erfahrungen des Vereins mit‭ „‬Rechtsextremismus‭“‬-Projekten hieß es in der alten Beschreibung:‭ „‬Die Erfahrungen der bisherigen Arbeit zeigen,‭ ‬dass es sinnvoll ist,‭ ‬jedes Phänomen individuell wahrzunehmen und mit einer zielgerichteten Strategie zu bekämpfen.‭“ ‬Laut der neuen Projektbeschreibung will man nun lieber Dialoge fördern‭ ‬– „zwischen Politik und Bevölkerung,‭ ‬aber auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen untereinander,‭ ‬die als sozialräumlich getrennte Milieus typischerweise kaum miteinander ins Gespräch kommen‭“‬.

Der direkte Vergleich von‭ „‬Links-‭ ‬und Rechtsextremismus‭“ ‬fällt im neuen Text ebenfalls weg.‭


Linke als sozialer Erdbebenmelder

Nun ist auf‭ ‬gegen-vergessen.de nicht mehr von‭ „‬adäquaten Reaktionen auf Linksextremismus‭“ ‬die Rede.‭ ‬Stattdessen heißt es in der neuen Selbstdarstellung:

‏„‎,Gegen Vergessen‏’‎ – Für Demokratie wählt mit diesem Angebot bewusst einen positiven und konstruktiven Ansatz,‏ ‎der die linksradikale Szene nicht von außen her und ausschließend hinsichtlich problematischer Aspekte beschreibt,‭ ‬sondern ebenso hinsichtlich ihres positiven Potenzials‭ – ‬als‭ ‬‚Seismograph gesellschaftlich relevanter Themen‭’‬ – anspricht und in einen‭ (‬fiktiven,‭ ‬gedachten‭) ‬Dialog mit anderen Personenkreisen bringt‭“‬.

In der ersten Version des Textes hieß es noch schroff:‭ „‬Niemand der zu Wort Kommenden kann mehr den Anspruch erheben eine absolute Wahrheit zu kennen,‭ ‬doch jeder Blickwinkel erhält zugleich als Standpunkt eine gewisse Geltung‭“‬.‭ ‬Die Formulierung im neuen Text trägt bereits eine andere Note:‭ „‬Jeder Blickwinkel werde nun ernst genommen und zugleich relativiert.‭“


Schröders neue Wachsamkeit

Die überarbeitete Version der Projektbeschreibung orientiert sich nicht an der Kampfrhetorik der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder,‭ ‬die‭ ‬2010‭ ‬mit dem Fördertopf‭ „‬Initiative Demokratie stärken‭“ ‬einen persönlichen Feldzug der symbolischen Politik gegen‭ ‬linke Positionen antrat.‭ „‬Aber wir müssen gegenüber sämtlichen extremistischen Tendenzen und Auffassungen wachsam sein und dagegen vorgehen,‭ ‬egal von welcher Seite sie kommen‭“‬,‭ ‬schrieb Schröder im September‭ ‬2011‭ ‬im Vorwort der Lehrerbroschüre‭ „‬Demokratie stärken,‭ ‬Linksextremismus verhindern‭“‬.‭ ‬Das Heft wurde in einer Auflage von‭ ‬25.000‭ ‬Exemplaren von der Münchener Zeitbild Stiftung herausgegeben und mit‭ ‬121.260‭ ‬Euro vom Bundesfamilienministerium finanziert.


Skepsis statt offener Arme

Es gibt gute Gründe für das Anschlagen eines sanfteren Tons.‭ ‬Will der Verein‭ „‬Gegen Vergessen‭ –‬ Für Demokratie‭“ ‬mit seinem Projekt wirklich mit Linken in den Dialog treten und deren Sichtweisen ergründen,‭ ‬stößt er in den Kreisen mit bürokratisch-verschlüsselter Wortwahl eher auf Skepsis als auf offene Arme.‭ ‬Der User und Autor‭ „‬sufe‭“ ‬hat sich in seinem Posting‭ „‬Ungute Dynamiken‭“ ‬auf dem Leipziger Weblog‭ ‬linksextremismus.wordpress.com am‭ ‬13.‭ ‬März‭ ‬2013‭ ‬ausführlich mit der alten Projektbeschreibung und der Leitfadenbefragung in Leipzig auseinandergesetzt.‭ „‬Im Fall von Linken haben die‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie‭“‬-Vereinsheinis offensichtlich eine vage Vorstellung,‭ ‬wie dieses Beschaffen sein könnte.‭ […] ‬Da wo Gentrifizierung zum Thema wird,‭ ‬da ist der Linksextremismus nicht weit.‭ ‬Zwar war es meist Granit,‭ ‬auf was die Berliner von‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie e. V.‭“ ‬in Leipzig bissen,‭ ‬denn irgendwie waren die angefragten Projekte,‭ ‬Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht so dolle gesprächig.‭ ‬Das wird die Demokratiekämpfer jedoch nicht davon abhalten,‭ ‬irgendwann Projektergebnisse zu präsentieren‭“‬,‭ ‬heißt es im Blogeintrag weiter.‭


Undichte Stelle unbekannt

Von welcher Stelle oder Person in der Leipziger Stadtverwaltung die vom‭ „‬Gegen Vergessen‭ ‬– Für Demokratie e. V.‭“‬ beauftragte Interviewerin nun Kontaktdaten für ihre Leitfadenbefragungen erhalten haben soll,‭ ‬bleibt unklar.

In den relevanten Arbeitsgruppen des Leipziger Kriminalpräventiven Rats konnte niemand bestätigen,‭ ‬dass dort Informationen über politisch aktive Leipziger gesammelt oder gar an Dritte,‭ ‬also an die freie Mitarbeiterin des Vereins weitergegeben wurden.


Keine Datenhändler-‭ ‬und Sammler

Der Kriminalpräventive Rat wurde‭ ‬1993‭ ‬als‭ „‬Brückenschlag zwischen Stadtverwaltung,‭ ‬Ordnungsamt und Polizei‭“ ‬ins Leben gerufen.‭ ‬Im Gegensatz zu regulären Ausschüssen sitzen in diesem Rat keine gewählten Volksvertreter.‭ ‬Dem KPR unterstehen verschiedene Arbeitsgruppen.‭ ‬Etwa die‭ ‬2011‭ ‬gegründete Arbeitsgruppe Stadtentwicklung,‭ ‬die mit dem Helmholtz-Zentrum und dem Leibniz-Institut kooperiert,‭ ‬oder die Arbeitsgruppe Extremismusprävention,‭ ‬die mit der Polizei,‭ ‬dem Ordnungsamt und dem Kulturamt zusammenarbeitet.

‏„‎In der AG Extremismusprävention im KPR Leipzig wurden und werden keine personenbezogenen Daten gesammelt und/oder an Dritte weiter gegeben‭“‬,‭ ‬erklärte Elke Laganowski vom Amt für Jugend und Bildung der Stadt Leipzig schriftlich gegenüber dem‭ ‬„telegraph‭“‬.‭ „‬Da es keine Problemlage linker Gewalt im Zusammenhang mit Stadtentwicklungsprozessen gibt,‭ ‬hat die Stadt Leipzig keine Konzepte oder Strategien diesbezüglich entwickelt.‭“ ‬Stattdessen bezog sich Laganowski auf die vom Leipziger Stadtrat am‭ ‬15.‭ ‬Dezember‭ ‬2010‭ ‬beschlossene kommunale Gesamtstrategie‭ „‬Leipzig.‭ ‬Ort der Vielfalt.‭ ‬In diesem Rahmen entwickle die Stadt Leipzig Konzepte zur Bekämpfung des Neonazismus.‭ ‬Nach Angaben der Stadt-Website‭ ‬Leipzig.de vom‭ ‬10.‭ ‬Mai‭ ‬2012‭ ‬fördert die Stadt mit diesem Aktionsplan‭ ‬15‭ ‬Projekte mit insgesamt‭ ‬85.000‭ ‬Euro und einen Aktionsfonds mit‭ ‬15.000‭ ‬Euro.


Die Macht der Farbkleckse

Polizeioberrat Frank Gurke von der Sächsischen Polizei,‭ ‬bis Dezember‭ ‬2012‭ ‬Leiter der AG Stadtentwicklung im Leipziger KPR,‭ ‬versicherte gegenüber dem‭ ‬„telegraph‭“‬:‭ „‬Der Verein sagt mir nichts.‭“ ‬In Bezug auf die Sammlung und Weitergabe von Daten politischer Aktivisten in Leipzig sagte er:‭ „‬Ich habe so etwas weder angeregt noch durchgeführt,‭ ‬noch habe ich Kenntnis davon.‭“‬ Die Arbeitsgruppe Stadtentwicklung sei im Dezember‭ ‬2011‭ ‬gegründet worden,‭ ‬da man in diesem Jahr eine Steigerung von Sachbeschädigungen festgestellt habe.‭ „‬Wir hatten im Jahr‭ ‬2011‭ ‬Sachschäden in Höhe von‭ ‬800.000‭ ‬Euro‭“‬,‭ ‬sagte Frank Gurke.‭ ‬Die Schäden hätten immer nur bestimmte Gebäude betroffen und wären in einem eng umrissenen Gebiet rund um das Connewitzer Kreuz aufgetreten,‭ ‬wie‭ ‬Gurke‭ ‬erklärte.‭ ‬Nach Berichten von Radio Blau,‭ ‬einem Freien Radio aus Leipzig,‭ ‬handelte es sich dabei um Farbbeutelwürfe auf Hausfassaden sanierter und neu gebauter Häuser.‭ ‬Um die Formen der Gewaltbereitschaft zu erforschen,‭ ‬habe,‭ ‬nach Angaben von Frank Gurke,‭ ‬die Arbeitsgruppe eine statistische Analyse des Stadtteils vorgenommen:‭ ‬Dazu hätte die AG Kriminalitätsbelastungszahlen,‭ ‬Mietpreisentwicklungen und Zahlen über Zuzug und Wegzug ausgewertet.‭ ‬Dafür hätte seine Arbeitsgruppe Zahlenmaterial des Sächsischen Landesamts für Statistik ausgewertet und mit Studierenden des Instituts für Geographie der Universität Leipzig und vom Leibniz-Institut für Länderkunde zusammengearbeitet,‭ ‬die ihre Abschlussarbeiten zu Themen wie Stadtentwicklung und Gentrifizierung verfasst hätten.‭ ‬Frank Gurke betonte,‭ ‬dass die Arbeitsgruppe keinen repressiven Ansatz verfolge und eher die Kommunikation zwischen den Seiten fördern wolle.


Leipzig-Connewitz:‭ ‬gefährdet oder gefährlich

Die Interessengemeinschaft Rotes Viertel Connewitz sprach auf ihrem Blog‭ ‬connewitz.noblogs.org am‭ ‬22.‭ ‬März‭ ‬2013‭ ‬hingegen von‭ „‬der permanenten Besetzung von Connewitz durch ganze Hundertschaften der Polizei,‭ ‬willkürlichen Kontrollen und stigmatisierender Überwachung des Connewitzer Kreuzes unter dem fragwürdigen Deckmantel der‭ ‬‚Gefahrenabwehr‭’“‬.‭ ‬Auf ihrer Seite veröffentlichte sie als pdf-Datei ein wahrscheinlich internes Papier der Polizeidirektion Leipzig vom‭ ‬21. Februar‭ ‬2013.‭ ‬In Form von Präsentationsfolien wird darin die Vorgehensweise der Arbeitsgruppe Stadtentwicklung von Frank Gurke stichpunktartig erläutert.‭ ‬Das Dokument liegt dem‭ ‬„telegraph‭“‬ in Kopie vor.

Als polizeiliche Lösungsansätze werden darin folgende Punkte erwähnt:

‏„‎Herausholen der Straftäter aus der Anonymität,‭ ‬Präsenz‭ (‬uniformiert und zivil‭)‬,‭ ‬gute Erfahrungen beim Einsatz von Videotechnik,‭ ‬berechenbare aber konsequente Vorgehensweise aller Behörden mit ornungspolizeilichem Auftrag.‭“ ‬Auf kommunaler Ebene wird der Auf-‭ ‬und Ausbau eines Quartiersmanagements und einer‭ „‬quartiersbezogenen Kommunikation‭“ ‬empfohlen.


Gentrifizierungskritik als Sicherheitsproblem

Die Leipziger Stadträtin Juliane Nagel von der Partei DIE LINKE beschrieb die Aktivitäten der Arbeitsgruppe Stadtentwicklung auf ihrem Blog‭ ‬ jule.linxxnet.de am‭ ‬17.‭ ‬März‭ ‬2013‭ ‬folgendermaßen:‭ „‬Kritik an und Protest gegen Mieterhöhungen,‭ ‬Gentrification oder Zwangsräumungen werden zunehmend als Sicherheitsproblem wahrgenommen,‭ ‬das staatlicherseits beobachtet und behandelt wird.‭ ‬Auch in Leipzig.

Arbeitsauftrag der AG Stadtentwicklung ist es‭ „‬aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten‭“‬.‭ ‬Auslöser der Beauftragung durch den Kriminalpräventiven Rat am‭ ‬24.‭ ‬November‭ ‬2011‭ ‬sei‭ „‬gewalttätiger Protest gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse‭“‬.‭ ‬Die Arbeit der KPR-Arbeitsgruppe Stadtentwicklung sei bisher geheim gewesen,‭ ‬berichtete Juliane Nagel auf ihrer Seite.‭ ‬Daher habe ihre Partei nun eine Anfrage zu den Aktivitäten und Arbeitsergebnissen beim Oberbürgermeister der Stadt Leipzig eingereicht‭ (‬Anfrage Nr.‭ ‬V/F818/13‭)‬.‭ ‬Eine Antwort lag zu Redaktionsschluss jedoch noch nicht vor.


Quartiersmanagement aus Geldern für Projekte gegen Neonazis

Ein Kiezmanagement oder Quartiersmanagement könnte aus Mitteln des Landesprogramms‭ „‬Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz‭“ ‬finanziert werden,‭ ‬einem Förderprogramm,‭ ‬das eigentlich für Projekte gegen Neonazismus und Diskriminierung vorgesehen ist.‭ ‬Juliane Nagel befürchtet,‭ ‬dass dieser Fördertopf nun zum Anti-Extremismus-Programm nach Vorbild der‭ ‬„Initiative Demokratie stärken‭”‬ werden könne.‭


Fazit

Dass Leipzig durchaus von Stadtveränderungsprozessen betroffen ist,‭ ‬die das gesellschaftliche Klima der Stadt massiv verändern könnten,‭ ‬belegen die im Januar‭ ‬2013‭ ‬veröffentlichten Zahlen der in Bad Homburg ansässigen EU-Rating Agentur Feri Euro Rating Services.‭ ‬Sie prognostiziere für die Stadt Leipzig für den Zeitraum von‭ ‬2013‭ ‬bis‭ ‬2015‭ ‬eine Mietpreissteigerung von‭ ‬7,1‭ ‬bis‭ ‬7,5‭ ‬Prozent und eine Steigerung der Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen um‭ ‬9,6‭ ‬Prozent.‭ ‬Der Kurzbericht Monitoring der Stadt Leipzig für die Jahre‭ ‬2011/2012‭ ‬geht in Leipzigs Altbaugebieten ebenfalls von einer Steigerung der Mieten in den nächsten Jahren aus und bezieht sich dabei auf Einschätzungen der Maklerverbände.

Ebenso liegt auf der Hand,‭ ‬dass Stadtentwicklungsprozesse auch in Leipzig soziale Folgen haben und die Stadtverwaltung deren Auswirkungen analysiert und kommunale,‭ ‬wissenschaftliche und polizeiliche Lösungsansätze sucht.‭ ‬Die Anfragen der freien Mitarbeiterin des Berliner Vereins‭ „‬Gegen Vergessen‭ – ‬Für Demokratie‭“ ‬in Leipzig stehen jedoch in keinem direkten Zusammenhang mit den Aktivitäten der Arbeitsgruppen im Leipziger Kriminalpräventiven Rat.‭ ‬Unklar bleibt,‭ ‬wer in der Leipziger Stadtverwaltung oder in der Polizeidirektion Leipzig nun die Vereinsmitarbeiterin mit Kontaktdaten zu politisch aktiven Leipzigern versorgt hat.

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A.S.H. | 05.04.13 19:16 | Permalink