« ALLE GEGEN ALLE | Hauptseite | Der zivilgesellschaftliche Arm des Bundesfamilienministeriums oder Verfassungsschutz light »

Spitzelstudien

CDU1953.jpg
Bild Wikipedia, CDU-Wahlkampf 1953

Vor einiger Zeit stellten Experten des Deutschen Jugendinstitutes (DJI) in einem 100-Seiten-Bericht dem Bundesprogramm "Initiative Demokratie stärken – gegen Linksextremismus und islamischen Extremismus"  ein verheerendes Zeugnis aus. Sie bemängelten am Projekt von Familienministerin Schröder, es gebe darin ein „Defizit an verlässlichen Informationen zum Thema „Linksextremismus““.

Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte kritisierte: Inhaltlich folge die Bundesregierung dem "Erkenntnisstand des Verfassungsschutzes" und wohin das führe, sehe man bei den Ermittlungen gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (DIE ZEIT).

Angesichts der sich mehrenden kritischen Stimmen wurde klar: Die kruden Dossiers der Dienste allein reichen heute nicht aus zur Legitimation des Kampfs gegen Links. „Wissenschaftliche“ Expertisen müssen her. Entschuldigend sprach man im Schröder-Ministerium 2012 von einem "lernenden Programm". Das klang schon vor einem Jahr wie eine Drohung, heute wissen wir, es war eine.

Die ambitionierte Familienministerin Kristina Schröder ist offensichtlich massiv bestrebt, den (Aus-) Forschungsstand im Bereich der Linken zu verbessern. Aus verschiedenen Ecken der Republik wird von Befragungsversuchen berichtet. Dort macht der Verfassungsschutz keine „Anquatschversuche“, sondern es werden mittels einer Menge Geld „zivilgesellschaftliche Instanzen“ als Sonde zwischengeschaltet, um die Erfolgsaussichten bei der Informationsausbeute zu erhöhen. Von den Ergebnissen des finanziellen Aufwands profitieren, werden wohl anschließend sowohl die ambitionierte Ministerin, als auch die Staatssicherheit. Böswilligerweise könnten man daher die dafür aufgewandten Mittel auch für einen, im Bundeshaushalt versteckten, Posten des Geheimdienstetats halten.

In Leipzig wird im Rahmen der „Extremismusbekämpfung“ gerade versucht, Subkulturen und ihrer Haltung zur gentrification auszuforschen. Darüber berichten wir gleich in einer exklusiven Vorveröffenlichung aus dem Ende April erscheinenden telegraph #127.

Janosch Trierweiler schrieb vor kurzem in der Tageszeitung junge Welt über ein weiteres, vom Familienministerium gefördertes Forschungsprojekt, welches Biographien kritischer Jugendlicher erfassen soll.

Unter dem Titel »Zwischen Gesellschaftskritik und Militanz: Politisches Engagement, biographische Verläufe und Handlungsorientierungen von Jugendlichen in Protestbewegungen und linksaffinen Szenen« soll die Studie unter den jugendlichen Forschungsobjekten anhand biographischer Merkmale Risikogruppen identifizieren und dem Staat und seinen zuständigen Diensten so Informationen zu deren »Behandlung« liefern.

Das Projekt sei ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Luxemburg und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Angesiedelt wäre es dort im Fachbereich »Polizei und Sicherheitsmanagement«.

Einer der wissenschaftlichen Ideengeber sei der Politologe und Ex-Verfassungsschutzmitarbeiter Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, mit seiner »Expertise« zum »Linksextremismus« in Deutschland.

Dort rege er u.a. folgendes an: „»Erstens bedarf es der Erstellung von Studien über linksextremistisch motivierte Gewalttaten. Hierbei ginge es nicht nur um die Auswertung einschlägiger Akten von Straftätern, sondern auch um darüber hinausgehende qualitative Studien im Sinne eines multimethodischen Vorgehens. Als Vorbild dafür könnten die Forschungen zu rechtsextremistisch motivierten Gewalttätern dienen.“

Pfahl-Traughbers Expertise steht auf der Internetseite von Familienministerin Kristina Schröders Projekt »Initiative Demokratie stärken« zum Download bereit.

Weiterhin wird in dieser Tageszeitung von einem etwas weiter zurückliegenden Fall der Ausforschung in Hamburg berichtete. Die dortige evangelische Hochschule »Das Rauhe Haus«, an der Sozialpädagogen ausgebildet werden, „betrieb eine mit 43400 Euro dotierte Untersuchung, die herausfinden sollte, »inwieweit linksextremistische Jugendliche und solche, die gefährdet sind, von den Angeboten der offenen Jugendarbeit in den Stadtteilen Hamburgs oder von Streetworker/innen in ihren Szenen erreicht werden können«. Ziel sei es zudem, »die Einschätzungen der Polizei, des Verfassungsschutzes und der Justiz um spezifische (sozial)pädagogische und sozialräumliche Perspektiven sowie die Perspektiven der Zielgruppe selbst und deren Umfeld zu ergänzen«.“
Den Kontakt zu Projekten und Jugendlichen hätte man über Adress- und Telefonlisten des Polizeilichen Staatsschutzes anzubahnen versucht. Diese Studie war ebenfalls ein Auftrag des Bundesfamilienministeriums.
Um die Studie über linke Jugendliche zu verhindern, besetzen Studenten 2011 das dem „Rauhen Haus“ angegliederte Forschungsinstitut. Die taz schrieb damals: „Für die Studierenden, die an der Besetzung teilnehmen, ist die "Extremismusstudie völlig inakzeptabel." Schon der Studienansatz setze "faschistische Ideologien mit linken Idealen gleich", degradiere Jugendliche mit radikal linken Utopien zu Objekten von pädagogischen Maßnahmen von Streetworkern und Sozialarbeitern. "Gelder, die früher für die Arbeit mit rechtsradikalen Jugendlichen ausgegeben wurden, widmet das Bundes-Ministerium jetzt für die Arbeit gegen Linksextremisten um", beklagt Asta-Referent Alexej Steinberg die neue Schwerpunktsetzung von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Autonome Jugendliche seien aber "keine Problemfälle, sondern fortschrittliche Kräfte"“

Vor einem Jahr berichtete Frank Brunner in einem kritischen Artikel in DIE ZEIT noch von der unbeantworteten Anfrage, was sich hinter der von der Bundesregierung mit 247.000 Euro geförderten "Rahmenkonzeption zur Auseinandersetzung mit antidemokratischen, gewaltbereiten, linksextremistischen Ideologien und Strömungen" verberge. Er erwähnte in seinem Artikel auch die Stiftung der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Diese habe für das Projekt "Alles Geschichte? Linksextremismus in Deutschland heute" noch in der "Testphase" 2011, bereits knapp 115.000 Euro an Fördermitteln abrufen können. In dem vom Schröder-Ministerium finanzierten Projekt werden auf dem Gelände der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit offensichtlich überwiegend Schüler mit so „existenziellen“ Themen wie „„Fight capitalism“ – Leben ohne Marktwirtschaft?“, „„Revolutionäre Gewalt “ – ein Weg zu einer besseren Gesellschaft?“ oder „„Antifa heißt Angriff “ – Mit Gewalt gegen Rechtsextremismus?“ traktiert. In der DDR hieß so etwas Staatsbürgerkundeunterricht.

Quellen:

DIE ZEIT: Schwierig, den Linksextremismus zu bekämpfen
junge Welt: Abweichendes Verhalten »Devianz« in »linksaffinen Szenen«: Vom Familienministerium gefördertes Forschungsprojekt soll Biographien kritischer Jugendlicher erfassen
junge Welt: »Verfassungsschutz an Schulen und Unis«
junge Welt: "Hintergrund: Spitzelstudie
junge Welt: Angst vor Umerziehung
Alles Geschichte? Linksextremismus in Deutschland heute

A.S.H. | 05.04.13 18:52 | Permalink