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Zensurversuch im irischen Städtchen Athlone

Von Jürgen Schneider

Die Monumentalarbeit »Fragmens sur les Institutions Républicaines IV« des irischen Künstlers Shane Cullen war erstmals 1996 in der Dubliner Douglas Hyde Gallery zu sehen. In quasi unmittelbarer Nachbarschaft zum »Book of Kells«, der weltberühmten grandios illuminierten Evangelien-Handschrift aus dem 9. Jahrhundert, präsentierte Cullen seine in dreijähriger mönchischer Arbeit gemalten 64 Tafeln, auf die er die Kommunikation mit der Außenwelt der Gefangenen aus der Irisch-Republikanischen Armee und der Irish National Liberation Army, die 1981 in Long Kesh in den Hungerstreik traten, um ihre Anerkennung als politische Gefangene durchzusetzen, in Bodoni-Schrift übertragen hat.

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Shane Cullen vor einem Teil seiner Arbeit »Fragments sur les Institutions Républicaines IV«; Quelle: Bobby Sands Trust

Zu seiner Ausstellung hatte Cullen damals erklärt: »Ich sehe meine Arbeit in der Tradition eines Historikers. Ich vermeide es, neues Material zu schaffen. Ich bin der Auffassung, dass Originalität ein Konzept ist, das dem 19.Jahrhundert angehört. Dieses Material ist wichtig für die Öffentlichkeit. Ich habe nichts daran verändert, sondern ihm lediglich eine neue Form gegeben.« Fünfzehn Jahre nach dem Tod von zehn Hungerstreikenden hatte Cullen in beispielloser Weise in die Diskussion um den Opfergang dieser Gefangenen eingegriffen. Der Vorschlag, die Cullen’sche Monumentalarbeit während der Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunkt Irland zu zeigen, wurde von den irischen Verantwortlichen damals allerdings abgelehnt.

Seit November 2012 ist diese Arbeit, die seit 2000 Eigentum des irischen Staates ist und zur Sammlung des Irish Museum of Modern Art gehört, nun in der neu eröffneten Luan Gallery im Midlands-Städtchen Athlone im Rahmen der Ausstellung »Borrowed Memories« zu sehen. Bereits zur Eröffnung der Galerie hatte der einstige Justizminister Paddy Cooney von der Partei Fine Gael (FG) geäußert, er halte Cullens Arbeit, die er mit einer Krücke attackierte, nicht für Kunst und würde keine Träne weinen, wenn sie aus der Ausstellung entfernt würde. Er wollte sich umgehend an den Manager der Galerie wenden und die Entfernung der Arbeit verlangen. Patrick Cooney war von 1973 bis 1977 Justizminister. Während seiner Amtszeit wurde Sektion 31 des Broadcasting Act wirksam, wonach gewählte Repräsentanten der irisch-republikanischen Partei Sinn Fein nicht im Radio zu hören und nicht im Fernsehen zu sehen sein durften. In Cooneys Zeit als Justizminister wirkte auch die sog. »Heavy Gang«, eine Gruppe von Brutalos der Garda Síochána (Irlands Polizei), die Verdächtige einschüchterte und folterte.

Am 7. Januar 2012 wurde nun im Stadtrat von Athlone über den Antrag von Cooneys Sohn Mark (seines Zeichens FG-Stadtrat) beraten, das Werk von Cullen schleunigst aus der Ausstellung zu entfernen. Mark Cooney verglich das Werk mit einer Arbeit, die Hitlers Verdienste um die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung glorifiziere. Zensur sei manchmal notwendig, um Kinder zu schützen. Cooneys Parteikollegin Gabrielle McFadden stand ihm zur Seite und sprach, Kunst mit politischem Inhalt habe in öffentlichen Galerien nichts zu suchen.

Über den Cooney-Antrag stimmte Stadtrat jedoch nicht ab. Statt dessen wurde die Angelegenheit an den Ausschuss für Kunst und Erbe der Stadt Athlone verwiesen, dem offiziellen Träger der Luan Gallery. Dessen nächste Sitzung findet am 15. Januar 2012 statt. Für den Fall, dass der Ausschuss die Entfernung von »Fragments sur les Institutions Républicaines IV« beschließt, haben irische Künstler bereits zu einem Boykott der Luan Gallery aufgerufen.

A.S.H. | 10.01.13 16:58 | Permalink