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Jambo Hakuna Matata

“Paradies: Liebe”, ein Film von Ulrich Seidl

Von Angelika Nguyen

In den ersten Einstellungen sehen wir eine Gruppe geistig behinderter Menschen beim Autoscooting. Abenteuer steht in ihren Gesichtern, Freude, Spannung, Triumph. Das zeigt der Film minutenlang, nur diese Gesichter, in denen unvergleichlich direkt Gefühle zum Ausdruck kommen. Noch steht Hauptfigur Teresa, die Betreuerin der Gruppe, am Rande des Geschehens und spielt ihre Ermahnungstexte herunter wie Musik. Es ist ihr letzter Arbeitstag vor dem Urlaub.

Mit den Reisevorbereitungen nimmt sich der Film Zeit, es ist ihm wichtig, zu zeigen, von wo Teresa aufbricht ins fremde Afrika.

Teresas flieht vor der Einsamkeit, den ewigen Ermahnungen an die halbwüchsige träge Tochter, der Sprachlosigkeit mit der Schwester, dem immer gleichen Job. Teresa ist übergewichtig, jenseits der 50 und allein. Nicht mehr wahrgenommen von den Männern hier in Österreich. So leistet sie sich einen Urlaub in Kenia, wo es nicht nur Traumstrände, sondern auch junge schwarze arme Männer gibt, die ihr Geld mit Sexdiensten bei älteren weißen Frauen verdienen.

Männer, die als Sextouristen nach Asien reisen, heißen Sextouristen. Frauen, die als Sextouristinnen nach Afrika reisen, heißen “Sugarmamas”. Das ist authentisch. Diese Authentizität ist für Ulrich Seidls Film Programm.

Schon die begriffliche Verniedlichung zeigt das Dilemma. Diese Frauen wollen nicht nur Sex, sondern Zuwendung, Begleitung, die Illusion einer Partnerschaft. Eine von ihnen, die lustige Inge, feiert die geschäftliche Abmachung gar als Emanzipation. “Ich muss mich nicht mehr verbiegen”, sagt sie, “Hier nehmen sie mich wie ich bin.”

Aber für Teresa läuft das nicht so glatt. Gäbe Teresa sich mit dem klaren Geschäft - Sex gegen Geld - zufrieden, gäbe es nicht die Täuschung und nicht die Ent-Täuschung. “Schau in meine Augen” will Teresa die Beachboys unterrichten, “dann schaust du auch in mein Herz.” Zu verkaufen haben die jungen Schwarzen viel, Ketten, Armbänder, eine Taxirunde, Sex, bloß ins Herz will ihr keiner gucken.

Sehen für Teresa anfangs alle gleich aus, hat sie im Laufe des Films ganz unterschiedliche Erlebnisse. Da ist der Erste, Gabriel, dessen falsche Überschwänglichkeit sie sehr bald abwehrt. Dann kommt Munga daher, in den sie sich fatalerweise verliebt. Zunächst scheint das zu funktionieren. Munga fordert seinen Lohn dann indirekt, indem er Teresa zu seinen Verwandten führt, die alle von Krankheit und Unfällen getroffen sind und akut Geld brauchen, nicht mal so sehr eine Lüge, sondern üblicher Code in Kenia. Eher widerwillig zahlt Teresa, sie hat das Arrangement nicht begriffen. Ihr Geld ist Munga zu wenig. So verweigert er bald den Sex und verschwindet ganz, und Teresa sucht ihn wie ein verlorenes Haustier. Mit dem nächsten, Salama, klappt es zunächst ganz gut, nur das mit der Bezahlung an die Familie raubt ihr wieder die Illusion.
Teresa merkt, dass die Texte dieser Männer immer dieselben sind. Wie sollten sie nicht? Aber auch ihre Texte sind immer gleich und genauso unecht. “Bin ich die erste weiße Frau in deinem Bett?” fragt sie. “Yes.” “Bin ich die erste weiße Frau, mit der du Sex hast?” “Yes.” “Sag mir die Wahrheit!” fordert sie sogar. Aber die verträgt sie dann gar nicht gut.

Der Film zeigt, wie Teresa immer härter wird. Wehrt sie anfangs noch mit weichem Lächeln aufdringliche Verkäufer ab oder unterbricht instinktiv lieblose Berührungen, liegt sie gegen Ende des Films als widerlicher Klotz im Hotelbett und befiehlt dem schüchternen Angestellten von der Strandbar, sich auszuziehen und sie intim zu berühren, als wäre er ihr Haussklave. Was er ihr verweigert. Woraufhin sie ihn erbost rausschmeißt und - endlich - ein bisschen weint.

Ulrich Seidl macht bemerkenswertes Kino. Er mischt Fiktion und rohe Authentizät zu einer spannenden Erzählweise. Hier wird keine Identifikationsfigur angeboten, alle sind gleich weit weg - und gleich nah.

Distanzierte Kameraabstände, wenig Schnitte, dynamische Kamera – ganz im Dokumentarfilmstil erzählt Seidl Geschichten, die der Wirklichkeit so nahe sind – und dennoch sehr kunstbewusst. Die Sensation des Films ist seine Körperlichkeit. Gesichter und Körper sind ohne Schminke, die Szenen ohne falsche Close Ups und Double. Übergewichte ohne Styling, Nacktheit ohne Decke. Das wirkt erstaunlich, manchmal entdeckt man im Hässlichen Schönes. Da liegt die dicke weiße Teresa im Wind des Ventilators, unterm Moskitonetz, schlafend, wie in einem Rubens- oder Rembrandt-Gemälde. Eine Mischung aus professionellen Schauspielerinnen (Margarethe Tiesel als Teresa auf einer Tour de Force) und Laien vor Ort, von denen einige die Prostitution bei weißen “Sugarmamas” aus eigener Erfahrung kennen, ist Seidls überzeugendes Ensemble.

Es gibt auch viel zu lachen. Seidl muss stilistisch nichts übertreiben, vielmehr belässt er überlieferte Vorgänge in ihrer Einfachheit. Wenn im Reisebus der einheimische Animateur den Neuankommenden drei kenianische Worte vorspricht: Jambo (= Hallo) und Habuna Matata (= Kein Problem), soll das dann im Chor nachgesprochen und sich als wichtige Wendungen gemerkt werden, wird aber das Land Kenia keinen Millimeter näher bringen. Auch das szenische Arrangement der im Liegestuhl da liegenden Frauen und der aufgebauten Jungmänner auf dem Weg zum Meer, als Angebot und Barriere zugleich, ist der kenianischen Reisewirklichkeit entnommen. In die idyllischen GEO-Bilder setzt Seidl rücksichtslos seine postkoloniale Story.

Enorm ist der Kontrast zwischen den Bussi-Anrufen Teresas auf dem AB der Tochter und der gefühllosen Sexparty mit den Freundinnen an Teresas Geburtstag, auf der sie einen gemieteten Schwarzen für Striptease und Sex geschenkt bekommt. Nicht nur die Vereinsamung der Frauen, sondern auch ihr Rassismus findet hier gesteigerten Ausdruck.

Trotz fehlendem Filmscript und viel Improvisation ist der erzählerische Kurs ohne Umwege: Verheißung, Aufbruch und Desillusionierung bis zum schönen klaren Schlussbild. Eher zum Lachen als zum Weinen, eher Empörung als Mitleid.

“Paradies: Liebe” ist der zweite Teil einer Trilogie, die der Wiener Regisseur nach dem Muster der christlichen Dreieinigkeit Glaube, Liebe, Hoffnung gedreht hat. Von Liebe ist im Film so gut wie nichts zu sehen, nur die furchtbare Sehnsucht danach.

A.S.H. | 10.01.13 16:43 | Permalink