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Die KvU steht vor dem Aus

Die Mietverträge der KvU liefen am 31.12.2012 aus. Der Eigentümer will sich nicht mit den Nutzern der KVU auseinandersetzen, daher gibt es keine Möglichkeiten zur Verlängerung der Verträge. Sich neue unkommerzielle Räumlichkeiten im Prenzlauer Berg zu schaffen ist fast unmöglich. Zur Zeit laufen weitere Gespräche, Demonstrationen und Aktionen zur Rettung der KvU.

Legende und Wahrheit über die KvU, einen Ort der Unangepassten und Aufmüpfigen, der nun im real existierenden Kapitalismus vor dem Aus steht.

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Aus telegraph 125/126:

WAHR IST WAS GEGLAUBT WIRD

Von Dirk Moldt

So oder ähnlich hat sich Paul Auster über den Wahrheitsgehalt seiner bizarren Weihnachtsgeschichte geäußert. Jede Story ist eine Konstruktion, und auch historische Geschichten – ob mit wissenschaftlichem Anspruch oder nicht – machen keine Ausnahme. Eine Voraussetzung ist jedoch, dass es Unwissende gibt, die glauben müssen, was ihnen vorgesetzt wird.

Als Hippie sozialisiert, traf ich Anfang der Achtziger auf ein paar Berliner Punks, die schneller, witziger, radikaler und entscheidungsfreudiger waren als die langhaarigen Blueser-Typen und die auch eine bessere Musik machten. Ich war ein Fall unter vielen. Obwohl ich mich nie dazu überwinden konnte, landläufig anerkannte Punk- Accessoires zu tragen, mich lange nicht von meinen langen Haaren trennte und bis heute auch Dinosaurierbands wie Cream oder Rolling Stones Klasse finde, erfuhr ich unlängst aus der Fachliteratur, dass ich durch meine Besuche des Profi-Kellers in der Erlösergemeinde Lichtenberg zu einem Alösa-Punk geadelt worden bin. Richtig begriff ich das aber erst, als ich von einem KvU-Punk gefragt worden bin: „Bist du etwa der aus den Buch?“ So schnell geht das manchmal.

Eine meiner Lieblingsthesen ist, dass wir, Hippies und Punks, in Berlin ab Mitte der Achtziger eine glückliche Zeit der Performance hatten. Aggressionskontrolle und schnelles, konsequentes Handeln, diese Mischung brachte eine in den letzten DDR-Jahren einmalige und hochwirksame Spaß- und Protestkultur zutage.

Die nächste Generation Jugendlicher, die ab 1987 zu uns nach Alösa und später auch in die Kirche von Unten (KvU) kam, trug bunte lange Haare mit kahl rasierten Stellen, Klamotten von Jackett über Army bis Leder und bewegte sich in fast allen Szenen Berlins. Und diese Kids waren im Sommer 1989 die ersten auf der Straße.

Zu unseren Konzerten kamen auch die eher harmlos aussehenden Freaks aus dem Weißenseer Stephanus-Stift in die KvU, von denen im Frühjahr 1989 die Kampagne ausging, bei der im Mai anstehenden Kommunalwahl berlinweit die Wählerstimmen auszuzählen. Damit ihre Gruppe bedeutend erschien, nannten sie sich „Mündige Bürger“. Wir lachten: „Na, ihr Bürger!“, machten aber mit. Bei uns in der KvU liefen die ausgezählten Stimmen zusammen, und danach gingen jedes Mal am Siebenten des Monats unsere KvU-Hippiepunks auf die Straße: „Wir pfeifen auf die Wahl!“

Der Begriff Bürger wurde nicht gut diskutiert. Bürger waren Feiglinge, die ihre Fressen hielten und alles mitmachten, was die Obrigkeit gebot. Mutig waren sie nur dann, wenn es nicht mehr gefährlich schien. „Euch hätte man früher vergast!“ Wer diesen Spruch einmal gehört hatte, machte sich keine Illusionen: Alles, nur nicht, dass diese Bürger an die Macht kommen! Auch die Protagonisten der heute sogenannten Bürgerrechtsbewegung waren ausnahmslos Aussteiger: Freaks, Hippies, Künstler, die das erbärmlich verlogene DDR-Bürgerleben nicht ertragen wollten. Eine Bürgerbewegung – vor dem Herbst 1989 gab es sie nicht.

„Alles eine Frage der Definition!“, hört man. „Bürger: das ist doch der Citoyen, aktiver, mündiger Mitgestalter der Gesellschaft. DDR-Bürger waren keine richtigen Bürger; sie waren Untertanen.“ – „Doch, doch“, entgegnen die anderen, „das waren schon richtige Bürger, glaubt uns, wir haben sie kennengelernt.“

Seit dem Rausschmiss der Punks im März 1983 aus den Jugendräumen der Pfingstgemeinde in Friedrichshain bemühten wir uns als Offene Arbeit und später als KvU um eigene Räume in der Kirche. Die Küsterin der Gemeinde bedankte sich übrigens später beim Bezirksrat: „Wir waren ja so froh, dass uns vor Jahren der Staatsapparat geholfen hat, die Punks aus unserem Haus zu vertreiben.“1

Doch die Kirchenleitung wollte sich mit uns keinen Ärger an den Hals hängen.
1985/86 liefen die Verhandlungen aus, unter anderem weil der Staat für die Gestattung des offiziellen Kirchentages 1987 in der DDR-Hauptstadt verlangte, kritische Basisgruppen fernzuhalten. Mit der Gründung der Kirche von Unten kam 1987 neuer Schwung auf, doch es gelang effektiv erst im Januar 1989, die KvU zu öffnen, nach fast sechs Jahren nervenden Verhandelns. Dann war aber auch fast jeden Tag was los bei uns: Theater, Performances, politische Bildung und vor allem Punk.

Man stelle sich vor, all die subkulturellen und staatsfernen sozialen Bewegungen der Jahre zwischen 1983 und 1989 hätten in Ost-Berlin einen Ort der öffentlichen Artikulation gefunden! Und nun schreibt einer unserer damaligen Besucher, von dem eigentlich anzunehmen wäre, dass er sich mit unseren damaligen Nöten und Vorstellungen gründlich auseinandergesetzt hat, in seinem Revolutionsbuch Folgendes: „Die KvU kritisierte im Kern den SED-Staat, griff aber stellvertretend die Kirchenleitungen an, weil sie diese als deren Sprachrohr verstand. So verständlich ihre Forderungen waren, so unverständlich blieb, warum sie nicht den Hauptverursacher, nämlich den SED-Staat ins Visier nahm und stattdessen längere Zeit innerkirchliche Sandkastenspiele abhielt.“2

Schade. Das klingt irgendwie nach „Thema verfehlt!“. Ein anderer, sehr profilierter Aufarbeiter ließ sich in seinem Betrachtungsbuch über die 1989er Revolution und die letzen Monate der DDR zu der folgenden schönen Äußerung hinreißen:

„Immer häufiger dichteten und sangen die jungen Leute über die Trostlosigkeit in der DDR: ,Leipzig City – kalt und verdreckt, hässliche Häuser, hinter Fassaden versteckt …
Vorgetäuschter Luxus, kalt und verlogen. In Eden, Ex und Deli ums Geld betrogen
…´“3

Nur dass dieser Song der Punk-Band Wutanfall nicht in den letzten DDR-Monaten komponiert wurde, sondern, wenn ich mich nicht irre, im Jahre 1981. „Leipzig in Trümmern“, diese Uralt-DDR-Punk-Hymne wurde leider nie „von immer mehr Jugendlichen“ gesungen, ganz einfach, weil sich kaum einer traute. „Laibsüch ün Drümmorn!“, so liebten wir es im breitesten Sächsisch und lachten uns tot dabei. Und nun wird jener alte Halunke von Song zu einem Veteran des bürgerlichen Massenprotests deklariert. Nicht mal das God Save The Queen blickt auf eine so veritable Karriere zurück. Zwar erfährt man erst im Endnotentext, dass die Autoren Punks waren, doch im Sinne der großen Revolution neigt man zunächst versöhnlich dazu, über derartige Kleinigkeiten hinwegzusehen. Leider entfährt dem Autor ein paar Seiten später, als er über die neuen, in der Revolutionszeit entstandenen basisdemokratisch-anarchistisch Gesinnten verweigerten sich weitgehend, Punks, Antifagruppen und andere subkulturelle Gruppierungen, die teilweise auch in kirchlichen Zusammenhängen agierten.“4

Dieser Satz ist geklaut und ideologisch verdreht wiedergegeben. Die KvU brachte es nämlich bereits 1997 folgendermaßen auf den Punkt: „Bei den Veränderungen in der DDR-Gesellschaft 1989/90, an denen wir unbestritten teilhatten, konnten wir so gut wie keine Akzente setzen.“5 Und das meint etwas ganz anderes. Die These von der Verweigerung ist falsch – und das weiß auch der Autor, denn nachweislich engagierten sich Punks sowohl in ihren eigenen als auch in den neuen Gruppen. Aber Punks in einer bürgerlichen Revolution, das passt nun mal nicht. Und so endet das Thema Punk in dem 500-seitigen Werk leider schon auf der Seite 91. Warum das so ist, darüber hat sich jener Aufarbeiter bereits vor 15 Jahren verbreitet, indem er über die Punk-Ideologie zu bemerken beliebte: „Anarchistisches Gedankengut wurde damals in der DDR vornehmlich in der Punk-Bewegung gepflegt, so dass sich durch die kirchliche Arbeit mit den Punks verschiedene Verbindungen entwickelten, auch wenn die UB (gemeint ist die Berliner Umweltbibliothek, Anm. d. Verf.) einen intelligenteren Anarchismus vertrat.“

Der historische Platz der Punks ist damit in der Hierarchie: Demokratie, Anarchismus und weniger intelligenter Anarchismus klar umrissen. In wessen geistiger Nähe sie sich angesiedelt hatten, schreibt der Aufarbeiter im Anschlusssatz: „Von Bedeutung war auch der Einfluss von exzentrischen Personen mit verworrenen kommunistischen Ideen, wie dem IM Wolfgang Wolf …“

Tja, wie sagte ein deutscher Politiker, als er seinen späteren Freund Gorbatschow mit dem Propagandaminister Goebbels verglich: Man muss doch mal die Dinge auf den Punkt bringen! Dabei waren wir unter dem Gesichtspunkt nutzenorientierten Anarchismus eindeutig im Vorteil. Die Vertreter der Intelligenzija in der Szene, ob Anarchisten oder nicht, zeigten sich leider oft unfähig, einfachste Dinge zu meistern. Über deren Auslassungen im Frühjahr 1987, wie man zweitausend Bockwürste für den Kirchentag von Unten bestellt, lachten wir uns in Alösa noch monatelang scheckig. Wenn unsere KvU-Kids im Sommer 1989 nicht gezeigt hätten, dass man auf die Straße gehen kann, würde diese Oppositions-Intelligenzija einschließlich des gerade zitierten Aufarbeiters wohl heute noch im Keller sitzen und Gorbatschow-Reden diskutieren. Wir, Freaks, Hippies und Punks, hatten uns schon in der DDR Freiheitsstandards ertrotzt, von denen nicht nur der Normalbürger kaum zu träumen wagte, auch Durchschnitts und sogar Spitzenwiderständler waren ganz erstaunt: Unter Einhaltung bestimmter Wege war es nämlich nicht nur möglich, den Wehrdienst zu verweigern, sondern auch Wohnungen zu besetzen, sich coole Jobs zu besorgen, in denen man nicht gemobbt wurde und die einem unglaublich viel Lebenszeit zum Ausprobieren ließen. Freilich verzichteten wir dabei auf viele Sicherheitsstandards, die DDR-Bürger so sehr liebten. Doch scheint die Thematisierung unserer Ausstiegsmodelle in den Augen mancher Ex-Revoluzzer inzwischen nicht mehr en vogue zu sein, und zwar aus prinzipiellen Gründen: Wie kann man in der DDR von Freiheitsstandards sprechen? Und der Verdacht schwingt mit: Wer sich solche Nischen geschaffen hat, hat kein Interesse an Änderungen. Nächster Schritt wäre dann die Feststellung: Die DDR war ein Paradies für Punks und Aussteiger.

1) Kirche von Unten: Wunder gibt es immer wieder. Fragmente zur Geschichte der Offenen Arbeit Berlin und der Kirche von Unten, Berlin 1997, S. 63.

2) Kowalczuk, Ilko-Sascha, Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR (Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe 762), Bonn 2009, S. 211.

3) Neubert, Ehrhard, Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989/90. Mit 42 Abbildungen, München 2008, S. 38.

4) Ebenda. S. 91.

5) Kirche von Unten, S. 366.

Der Text erschien auch in dem Buch „Leck mich am Leben“, Hrsg.: Frank Willmann, Verlag neues leben, 2012

Dirk Moldt ist Zeithistoriker und wohnt in Berlin.


[Inhalt telegraph #125/126]

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A.S.H. | 25.01.13 09:06 | Permalink