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Nur keine Sentimentalität

“Liebe”, Regie: Michael Haneke

Von Angelika Nguyen

Der Film beginnt damit, dass die Polizei die Tür aufbricht und der Hausmeister sich die Nase zuhält. Hinter zugeklebten Zimmertüren finden sie eine tote alte Frau auf dem Bett liegend, schon ein bisschen verwest, festlich gekleidet, geschmückt mit bunten Blüten. Aufmerksam bestattet und dann allein gelassen.

Was folgt, ist eine Rückblende. George und Anne, emeritierte Musikprofessoren, sitzen in einem Klavierkonzert. Das Wissen um das Ende erzeugt eine besondere Spannung. Ganz kurz noch aber erzählt Haneke ein Stück Normalität. Zwischen zwei alten, noch fitten Menschen, die ein Leben zusammen gelebt und ihren Alltag haben, ihren Vertrautheit und ihre Selbstverständlichkeiten. Der Frieden zwischen beiden ist vollkommen. Dann bekommt Anne ihren ersten Schlaganfall und noch einen. Nach dem ersten ist sie halbseitig gelähmt, noch klar ihm Kopf und kann mit George noch reden. Nach dem zweiten ist sie selten ansprechbar, verbal kaum noch zu verstehen und ein Pflegefall.
George verrichtet die ganze Zeit über alles, was nötig ist und noch viel mehr. Er spricht weiter mit Anne, als wäre nichts gewesen. Geklärt ist zwischen beiden, dass er sie nicht fortgeben wird.

Der schlichte Filmtitel ist Programm. Glaube, Liebe, Hoffnung gibt es als christliche Tugenden gern im Dreierpack. Regisseur Michael Haneke aber lässt Glaube und Hoffnung weg.
Kein Glaube an Seligkeit, keine Hoffnung auf Besserung, kein Kitsch der Ewigkeit, keine Sentimentalität. Stattdessen die klaren Stationen des Abschieds eines alten Liebespaares, Anne und George.
Ohne Ausschmückung etwa durch musikalische Untermalung, Rückblenden auf früheres Glück oder konventionelle Traumbilder lässt der Film die Tatsachen auf uns wirken: Annes Lähmung, die Abholung von der Toilette, die Schnabeltasse, die Windeln, die Lieferung des Pflegebettes. Schritt für Schritt erleben wir den Weg aus der Normalität in den permanenten Ausnahmezustand.
Das Bezaubernde jedoch, das die Beziehung von Anne und George prägt, ist die Aufmerksamkeit, die sie füreinander behalten haben. So hört die noch gesunde Anne anfangs genau auf Georges Geschichte aus der Kindheit, die er während eines Essen erzählt, leidet mit, fragt nach. Ihre Verständigkeit füreinander ist immens.
Das erzählt Haneke ausführlich und zeigt, wie noch wichtiger diese Aufmerksamkeit in Zeiten der Krise wird, lässt sie zwischen beiden noch aufblitzen im Augenblick des grausamen Finales.

Hanekes eigentliches Lieblingsthema ist ja Gewalt jeder Art, sein eigener Klassiker “Funny Games” einer der brutalsten Filme überhaupt. Da scheint “Liebe” zunächst eine Ausnahme zu sein, bei näherem Hinsehen erzählt Haneke auch hier den Einbruch von Gewalt.
Krankheit und Hinfälligkeit bedrohen das gewohnte Leben von Anne und George so sehr, dass sie sich bald den Tod wünscht. Auch erzählt der Film, wie sich daraus Aggressionen entwickeln, für die keiner etwas kann.
Die Wohnung von Anne und George, der letzte Ort ihres Zusammenseins, wird Refugium und Gefängnis zugleich. Sie ist die Bühne, auf der die großen Schauspieler Emmanuelle Riva (Jahrgang 1927) und Jean-Louis Trintignant (Jahrgang 1930) ihre Figuren spielen und dabei gefilmt werden von Darius Khondji, dem Kameramann solch klaustrophobischer Filme wie “Sieben” oder “Panic Room” oder eben des US-Remakes von “Funny Games”. Allmäglich erschließt sich den Zuschauern die authentische Geographie dieser Wohnung, erkennt man die Räume wieder und ihre Lage zueinander. Die Verbindungstüren, den Kreisverkehr und das buntverglaste Fenster zum Schacht. Die Wohnung war Haneke wichtig. Akribisch ließ er die Wohnung seiner Eltern nachbauen. Im Abspann laufen statt Computerspezialisten Stuckateure und Tapeziermeister.

Bei aller Nüchternheit ist der Film voller Träume und Symbolik. Der Übergang von Realität in eine Traumwirklichkeit geschieht dabei stets ohne erkennbaren Absatz, erst allmählich stellt sich die Absurdität - für die Zuschauer - ein. So wäscht Anne am Schluss noch einmal ab.
Obwohl sie schon tot ist.

A.S.H. | 26.09.12 16:54 | Permalink