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Liebe Freunde,
Ich bedauere es sehr, dass ich am heutigen Sonnabend nicht an Ihrer Veranstaltung teilnehmen kann.
Vielleicht ergibt sich eine spätere Möglichkeit, mit den Mitgliedern unserer Organistion, besonders mit denjenigen, die vor 20 Jahren dabei waren, zur offiziellen Einweihung dieser Tafel nach Rostock zu kommen.
Vor fast zwanzig Jahren, am 19. Oktober 1992 hat sich unsere Organisation “Les Fils et Filles des Déportés Juifs de France” (Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich) aus eigener Initiative entschlossen, zusammen mit 50 unserer Mitstreiter, und unter ihnen auch viele Jugendliche aus jüdischen Organisationen, mit einem Bus nach Rostock zu reisen, es war eine lange Fahrt von mehr als 1 200 km, um in dieser Stadt unsere Solidarität den Opfern zu beweisen, die der gewalttätige rechtsextreme Mob verfolgte und sogar mit dem Tod bedrohte. Es waren viele Vietnamesen, Flüchtlinge aus anderen Ländern und insbesondere zahlreiche Roma.
Keine andere Organisation wollte uns zu dieser Demonstration die Hand reichen, obwohl die Lage doch klar durchschaubar war. Hier wiederholte sich etwas wie in den dreiziger Jahren. Wir waren ganz besonders betroffen von dem Rassenhass gegen die Sinti und Roma, die wie die Juden 50 Jahre davor in den deutschen Gaskammern ermordet wurden.
Wer anders als die Waisen der in Auschwitz vergasten Juden konnte hier die Alarmglocke ziehen und mit einer spektakulären Aktion die Öffentlichkeit aufrütteln. Wenn man die Presse hierzu liest, können wir sagen, wir hatten unser Ziel erreicht. Wir haben “wild” unsere Gedenktafel an der Vorderfront des Rathauses geklebt. Unser Sohn Arno hat dann mit den Jugendlichen Räume im ersten Stock besetzt und vom Balkon des Rathauses das Wort ergriffen, auch unsere Spruchbänder wurden hier aus dem Fenster gehängt.
Natürlich waren wir darauf vorbereitet, dass die Polizei eingreifen würde, aber nicht so brutal, wie sie es tat. Die Polizisten waren sehr zahlreich erschienen, es kam zu Schlägereien vor dem Rathaus. Wir wurden dann in unserem Autobus , beleitet von Polizeiwagen mit Sirengeheul und Blaulicht zum Polizeirevier gebracht. Ungefähr zehn Polizisten stellten sich in den Miittelgang unseres Busses, um uns zu überwachen. Es war eine unglaubliche Weise uns zu behandeln, vor allem wenn man daran denkt, wie zurückhaltend de Polizei reagiert hatte, als Menschen in Lebensgefahr waren, als die Skinheads ihre Molotowcocktails in die Asylantenheime warfen. Da war die Polizei nicht da.
Da das Polizeirevier uns nicht alle aufnehmen konnte, mussten wir die ganze Nach in einer kalten Turnhalle verbringen, die zum Polizeirevier gehörte. Der Bus blieb im Hof stehen, wir wurden die ganze Nacht verhört, ungefähr bis 4 Uhr morgens. Ein Staatsanwalt wurde aus Westdeutschland hinzugezogen und der französische Konsul traf aus Hamburg bei uns ein. Am nächsten Morgen durften wir gegen 11 Uhr unseren Bus besteigen. Die drei Zurückgebliebenen wurden dann in Rostock angeklagt.
Wir waren aber fest davon überzeugt, dass wir richtig gehandelt hatten und das die jüdischen Opfer das Recht auf Einmischen in Deutschland hatten, wenn Neo-Nazis mit Gewalttaten gegen Asylanten vorgingen. Unser Vorgehen wich wahrscheinlich von den üblichen Gegendemonstrationen ab, aber wir haben immer wieder behauptet : das Recht der Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich war gerecht, selbst wenn wir gegen das Gesetz verstiessen, das will aber nicht viel heissen.
Unsere Organisation ist natürlich sehr erfreut, dass diese Tafel , deren Text von uns geschrieben wurde, heute hier am Rathaus angebracht wird. Zu dieser Tafel gehört natürlich auch die Beschreibung darüber, unter welchen Bedingungen die erste Tafel im Oktober 1992 geklebt werden konnte. Wir wollen nicht dass der Eindruck entsteht, es war eine offizielle Veranstaltung mit Zustimmung des Bürgermeisters.
Nein, es war eine kleine Gruppe von französischen Juden, die mit ihrem Vorgehen hier auf eine allgemeine Ablehnung stiess, und von der Polizei brutalisiert wurde. Aber sie hatte diese Solidaritätsaktion mit gutem Gewissen durchgeführt, denn sie war sich ihren Verpflichtungen bewusst, dort einzuschreiten, wo Menschen verfolgt werden und in Todesgefahr sind.
Deswegen, liebe Teilnehmer dieser Veranstaltung, vergesst nicht, wer diese erste Tafel angebracht hat und unter welch schwierigen Bedingungen.
Beate Klarsfeld und alle Mitglieder der Fils et Filles des Déportés Juifs de France
Bolk | 27.08.12 10:54 | Permalink