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Gegen die moralischen Straußenvögel dieser Welt

von Jürgen Schneider

Marxist Pocket Books (MPB) heißt eine neue, von Carolin Amlinger und Christian Baron edierte Reihe des Hamburger LAIKA Verlages, mit der ein Möglichkeitshorizont eröffnet werden soll, die vergangenen Ideen für die Gegenwart zu schärfen. Und um pocket books, also Taschenbücher, handelt es sich in der Tat, nur dass diese hübsch in Rot gebunden sind und tatsächlich in jede Tasche passen und somit prima im Bus, in der Eisen-, U- oder S-Bahn, auf dem Sofa sowie an dem unter dem Pflaster liegenden Strand zu lesen sind.

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Das MPB #1 ist: Terry Eagleton zu Karl Marx /Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei.

Das zu bedeutet, dass der englische Literaturwissenschaftler Eagleton ein zehnseitiges, vergnügliches ›Lob auf Marx‹ singt und dann der Text von Marx und Engels aus dem Jahre 1848 folgt, der mit dem bekannten Satz »Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus« anhebt. O-Ton Eagleton: Marx »hat an einer perfekten Gesellschaft ungefähr so wenig Interesse wie die Charaktere, die Clint Eastwood spielt, und verwendet an keiner Stelle solche absurden Begriffe. Er glaubte nicht daran, dass reale Menschen den Erzengel Gabriel an Gutmütigkeit überflügeln können. Aber er glaubte, dass es sehr wohl möglich sei, die Welt ganz deutlich zu verbessern. Darin war er ein Realist, kein Idealist. Die moralischen Straußenvögel dieser Welt, die ihren Kopf tief in den Sand gesteckt haben, bestreiten, dass irgendeine radikale Veränderung möglich sein könnte. Sie benehmen sich so, als ob es noch im Jahre 4000 ›Gute Zeiten, Schlechte Zeiten‹ und vielfarbige Zahnpasta geben werde. Die gesamte Geschichte der Menschheit belegt das Gegenteil.« In hunderten von Fragen, so Eagleton habe Marx falsch gelegen, als Denker sei er aber zu kreativ und originell, um ihn den plumpen Stereotypen seiner Gegner zu überlassen.

»Wie Marx nicht versuchte, der Pariser Kommune die Theorie beizubringen, sondern sich lieber – und erfolgreich – damit abquälte, seine Theorie auf das von der Kommune erkämpfte geschichtliche Niveau zu heben, machte Lenin sehr aufmerksam alle Erfahrungen mit, nach denen sich Staat und Revolution in sehr disziplinierten, ganz und gar unromantischen, vom Sog des Möglichen allerdings bereits in stürmische Dynamik versetzten Worten sehnt.« So heißt es aus der Feder von Dietmar Dath zu W. I. Lenin, Staat und Revolution im MPB #2.

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Dath liest die Schrift Lenins gegen deren liberale, rechte und linke Kritiker. Die Rechten werden, wie es ihnen gebührt, kurz und bündig abgefertigt: »Wer Lenin Hungersnöte aufs Schuldkonto schreibt, die stattfanden, weil Bürgerkrieg und Interventionstruppen, Bahn- und andere Transportwege unbrauchbar gemacht hatten, soll Feldzüge der US Army oder der Bundeswehr liebhaben, streiten möchte ich mit sowas nicht.« Die Anklage von links, so Dath in einem milderen Ton, kranke daran, »dass sie sehr oft nichts wissen will von den historischen Tatsachen, die eine zum Umsturz entschlossene Menschengruppe vorfindet, gegen die sie sich behaupten muss und die ihr oft nur die Wahl zwischen sehr schönem Tod und sehr hässlichem Überleben lässt.«

Terry Eagleton zu Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei (1848), Marxist Pocket Book #1
Hamburg: LAIKA Verlag, Juni 2012, 118 S., 8,50 €

Dietmar Dath zu W.I. Lenin: Staat und Revolution (1917), Marxist Pocket Book #2
Hamburg: LAIKA Verlag, Juni 2012, 188 Seiten, 9,90 €

natter | 06.07.12 18:48 | Permalink