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Kassel: dOCUMENTA (13) & Werke unbekannter Meister

von Jürgen Schneider

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(Abb. 5)

Kassel steht bis zum 16.09.2012 ganz im Zeichen der dOCUMENTA (13). Wir erinnern uns: Im Vorfeld hatten die Verantwortlichen für dieses Kunstgroßereignis die katholische Kirche angegriffen, weil sich auf dem Turm der nur einen Steinwurf von den dOCUMENTA-Schauplätzen Fridericianum und documenta-Halle entfernten Sankt-Elisabeth-Kirche eine Skulptur des Bildhauers Stephan Balkenhol weithin sichtbar drehte. Man befürchtete, Besucher könnten annehmen, es handele sich um ein dOC (13)-Kunstwerk. Es hieß, die künstlerische Leiterin, Carolyn Christov-Bakargiev (kurz: CCB) fühle sich von Balkenhols Figur »bedroht«. Die katholische Kirche beließ die Balkenhol-Figur, wo sie war. CCB erklärte der Presse anlässlich der dOCUMENTA-Eröffnung, sie habe sofort mit Balkenhol telefoniert, nachdem die Skulptur im Kirchturm installiert gewesen sei. Der habe beteuert, wenn er gewusst hätte, dass sie plane, den Raum an der Kirche und um die Kirche herum zu bespielen, hätte er von dem Projekt Abstand genommen. Traf hier die fantasierte totale Verfügungsgewalt über den Stadtraum auf äußerste Künstlerahnungslosigkeit? Oder hat sich Balkenhol gedacht: Du kannst mich mal?

Autoritätshöriger als die Katholiken erwiesen sich die Protestanten. Die sagten ein Installationsprojekt des Mönchengladbacher Künstlers Gregor Schneider ab, was eine Zeitung für Deutschland aufs Schärfste begrüßte. Schneider wollte an der Karlskirche Überbleibsel eines Festes ausstellen, dem er im indischen Kalkutta beigewohnt hatte. Die Karlskirchenchristen hatten bei der dOCUMENTA brav angefragt, ob sie dafür den Segen bekämen. Nein, den bekamen sie nicht. Es war Schluss mit Kalkutta. Gregor Schneider empörte sich zurecht.

Wer nun die dOCUMENTA (13) besucht, stößt trotz der dOCUMENTA-Versuche, den gesamten Stadtraum zum offiziellen Ausstellungsparcours zu deklarieren, immer wieder auf nicht autorisierte Objekte, die den Betrachter zweifeln lassen, ob diese rein zufällig am jeweiligen Ort stehen oder hängen.

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(Abb. 1)

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(Abb. 2)

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(Abb. 3)

Wer sich etwa am Kulturbahnhof, der einer der dOC (13)-Schauplätze ist, zur Installation von Lara Favaretto bewegt, die einen Metallschrottplatz angelegt hat (Abb. 1), neben dem sich das hübsche Debattierhäuschen des Critical Art Ensemble befindet (Abb. 2), dem springen zwangsläufig gleich zwei Objekte ins Auge. An einer Backsteinwand hängt eine Art Kasten (Abb. 3). Der könnte der einfachen Machart nach der Arte Povera zugerechnet werden, die wiederum ein Gebiet ist, auf dem sich CCB besonders gut auskennt. Der Verschluss dieses braunen Kastens wurde aufgebrochen und er trägt die weiße Aufschrift »Netz«. Darunter stehen in gelb die kryptischen Buchstaben »Fb.«. Über dem Kasten ist ein Metallstück in die Wand eingelassen, auf dem ebenfalls in Kreideschrift »Netz« steht. Ein weißer Pfeil weist auf den Kasten. Soll hier darauf verwiesen werden, dass im Netz Diebstahl begangen wird, oder will der unbekannte Meister damit kritisieren, das die Netzkunst, um die in den 1990er Jahren ein Riesenhype gemacht wurde, bei dieser dOCUMENTA nicht zum Zuge kommt?

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(Abb. 4)

Nicht weit von diesem Werk stießen wir auf eine Installation aus hölzernen Obstkisten (Abb. 4), die ein ebenfalls unbekannter Meister seriell angeordnet hat. Ob er dabei von Thomas Bayrles Arbeiten in der documenta-Halle inspiriert wurde, die laut Katalog »ein organisches Netz bilden, durch das viele andere Erzählungen hindurchdringen können«? »Beschissenes Design!« hörten wir da den »Soldaten der Kunst«, Jonathan Messe brüllen, »die Führungsbefehle der Kunst hingegen sind vollends erzpräzise, eindeutig, erzklar und radikalst.« Klar, erzklar gar, war bei den Obstkisten gar nichts.

In der Friedrich-Ebert-Straße fiel uns dann eine Schaufensterdekoration auf, die einen halben Hund zeigt (Abb. 5). Während das Hinterteil aus einer mit einer undefinierbaren braunen Masse gefüllten Stahlschüssel herausragt, steckt der Kopf in dieser fest. War diese skulpturale Arbeit als Kritik an dem antianthropozentristischen Weltbild der CCB zu sehen, an deren Zuneigung zu ihrem Hündchen, an deren Aussprüchen, wie: »Wir sind auch Tiere! Aus diesem Grund plädiere ich für das Wahlrecht für Hunde.« Als Infragestellung der von CCB ins Programm genommenen »HUNDEdTOUR«, den »nicht linearen und nicht erklärenden Begegnungen von Menschen und Tieren in den Räumlichkeiten der dOCUMENTA (13)?« Kein Museumsschildchen, kein Audioguide, kein recherchebasierter Katalogtext gibt uns darüber Auskunft.

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(Abb. 6)

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(Abb. 7)

Am nächsten Tag in der Kasseler Aue, die anlässlich der dOCUMENTA (13) zu einer Art Hüttendorf geworden ist, wurde von der ohn’ Unterlass scheinenden Sonne ein weiteres Kunstwerk regelrecht angestrahlt. Es handelte sich um ein Ensemble aus acht Holzkisten in T-Form, wobei die oberen beiden längs auf den unteren sechs quer stehenden Kisten ruhten (Abb. 6). Auf den oberen Kisten waren seitlich Palmen sowie der Schriftzug »MALIBU« zu sehen. Wäre es dem unbekannten Meister nur um den Hinweis auf ein alkoholisches Getränk gegangen, hätte er sein Werk dann in der Nähe des von dem chinesischen Künstler Song Dong angelegten »Doing Nothing Garden« (Abb. 7) in Position gebracht? Oder wollte er suggerieren, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Trinken und dem Nichtstun gibt? War der Kistenmann also in Kreisen der Arbeitsagentur zu suchen? Dogs »Garten« ist eigentlich ein aus Schutt und organischen Abfällen errichteter zwei-höckeriger, von Gras und Blumen überwachsener Hügel. Laut den »Westfälischen Nachrichten« gab CCB die Erkenntnis aus: »Bäume und Pflanzen wachsen auf Müll.« Sie hat offenbar noch nie einen deutschen Monte Scherbelino gesehen. Im »Begleitbuch« zur dOCUMENTA (13) ist zu lesen, der Dong’sche Hügel sei ein sich lebendiger Organismus und beweise so, dass im richtigen Kontext sogar das Nichtstun schöpferische Kraft entfalten könne. Sogar das Nichtstun? Wieso sogar? Müsste es recht eigentlich nicht heißen: nur das Nichtstun. Meine Mutter jedenfalls, die wusste, was harte Maloche ist, hatte stets diesen weisen Spruch parat: »Hoch die Arbeit! So hoch, dass niemand dran kommt.« Kunststrebern und so manchen traditionell auf die Fabrik und die arbeitende Klasse fixierten Linken (»Arbeiter arbeite!«) ist das Nichtstun freilich ein arges Gräuel.

(Alle Fotos: Jürgen Schneider)

A.S.H. | 20.06.12 19:33 | Permalink