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Abenteuer Wissenskosmos - Das Mosaik von Hannes Hegen

Der Comic aus Ost-Berlin (1955 bis 1975)
Eine Ausstellung im Museum Lichtenberg Berlin

Das Mosaik von Hannes Hegen erschien in 223 Heften von 1955 bis 1975. Die Auflage begann bei 100.000 und endete mit 660.000 Exemplaren.
Die Ausstellung stellt diesen außergewöhnlichen Comic in Originalheften mit seinen Quellen und Bezügen in großer Breite vor. Als Besonderheit darf man in zahlreichen Reprintheften ausführlich blättern und schmökern. Ein Film mit Interviews und einer aktuellen Umfrage zum Mosaik, Modelle und vieles mehr bereichern die Ausstellung.

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Ausgewählte Comics aus den Beneluxländern, wie Tim und Struppi, der gerade seinen 80. Geburtstag feierte, oder Spirou und Fantasio liegen zum Lesen bereit und dienen zum Vergleich. Neu sind Blicke in das bis letzes Jahr unbekannte Archiv Hegens und die Vorstellung des Buches Mark Lehmstedts.
Das ständig geleugnete Archiv war in voller Blüte noch vorhanden. Das ehemalige Grafikatelier voller tausender Zeichnungen zum Theater. Der Keller gefüllt mit Paketen der Druckunterlagen der einzelnen Hefte. Ein Anbau im Garten eine riesige Bibliothek zur Kulturgeschichte. Es gelang uns Hannes Hegen zu überzeugen, sein Archiv dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik zu übereignen.
Nun ist es gesichert und kann bearbeitet werden. Hoffen wir, dass es nicht in Bleikammern liegt. Der Leipziger Verleger hat ein Buch über die Geschichte des Mosaik herausgegeben, dass sich wie ein Krimi liest, vieles klarstellt und mit Mythen aufräumt. Dahinter steht eine penible Auswertung der Archivalien, leider nicht der Hegens selbst. Sicher ist nun, das Mosaik war ein Kollektivwerk, mit einem genialen Zeichner an der Spitze. Es kam zu Ermüdungserscheinungen, der Käpten vertat sich in der Einschätzung seiner Position, die Mannschaft meuterte und
wechselte das Schiff zu den Abrafaxen.
Das Mosaik war einzigartig und besaß eine grandiose Popularität in allen Schichten der Bevölkerung. Im Westen des Landes nahezu unbekannt, ist das Mosaik heute noch im Ostteil der Bundesrepublik allgemein beliebt. Man identifizierte sich in besonderem Maße mit den drei Handlungsträgern der Geschichten, die über zwanzig
Jahrhunderte hinweg durch Zeit und Raum führten. Der Comic wurde jeden Monat sehnsüchtig an den Zeitungskiosken erwartet und war immer gleich ausverkauft. Ihn zu lesen und mit seinen Protagonisten mitzufiebern war fast schon wie eine Emigration von der sozialistischen Alltagsrealität über die Mauern hinweg. Lange vor Asterix stellte das Mosaik Rom mit seinem Zirkus Maximus und seinen Legionen vor. Man begegnete den Dogen in Venedig und flog mit Raumschiffen auf fremde Planeten. Saurier und Urgeschichte kamen genauso vor wie die Dampfmaschinen James Watts. Unterhaltsam, spannend und witzig wurde Geschichte und Technik in turbulenten Abenteuern vermittelt. Das ästhetische Bildprogramm und die Texte waren hochqualitativ und beeinflussten viele heute bekannte Künstler, vor allem Maler, aus der ehemaligen DDR.
Bei der erstaunlichen Auflage ist es ein Paradox, dass man die Hefte nie am Kiosk bekam. Natürlich sammelte man sie, in welchem Zustand auch immer, tauschte weiland seine Matchboxsammlung oder gar seine Freundin dagegen und hütete sie wie seinen Augapfel.
Was nicht auftauchte, waren Pioniere mit blauen oder roten Halstüchern und politische Propaganda. Mehrfach sollte das Mosaik verboten werden, aber es hatte zwanzig Jahre lang Bestand. Im Rückblick fast nicht vorstellbar, war das Mosaik durch alle Kämpfe hindurch eine propagandafreie Insel im Meer des realexistierenden Sozialismus. Das Mosaik erschien im Dezember 1955 an den Kiosken der DDR wie eine Fata Morgana im Kalten Krieg. Sein erster Titel war "Auf der Jagd nach dem Golde" und spielte im Orient. Und das in 100.000 Exemplaren! Im Nachhinein einfach unglaublich.
Das Entschwinden von Dig, Dag und Digedag 1975 auf der Rückseite des letzten Heftes in den Orient, in eine orientalische Fata Morgana, war dann ein herber Verlust. Man verlor Freunde und stand bildlich gesprochen wieder allein im real existierenden Sozialismus.

Ausstellungsdauer: 25. September bis 30. Dezember 2011
kuratiert von Moritz Götze und Peter Lang

Museum Lichtenberg im Stadthaus
Türrschmidtstr. 24
10317 Berlin
(direkt am S-Bahnhof Nöldnerplatz)

Öffnungszeiten
Ausstellung
Di-Fr 11:00 - 18:00 Uhr
So 11:00 - 18:00 Uhr

www.museum-lichtenberg.de

natter | 27.09.11 00:20 | Permalink