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Grünanlage, Spielplatz, Rettung

Grünanlage, Spielplatz, Rettung
“Im Himmel, unter der Erde”
, Regie: Britta Wauer

Von Angelika Nguyen

In Weißensee, in der Herbert-Baum-Straße liegt ein großer Jüdischer Friedhof. Dort war zu verschiedenen Jahreszeiten die Dokumentarfilmregisseurin Britta Wauer und hat Bilder und Geschichten eingefangen, viele Geschichten, die der Film spannend erzählen kann.

Dabei ist die vielleicht größte Entdeckung des Films, wieviel solch eine Totenanlage aktiv in Biographien von ganz lebendigen Menschen ausrichten kann. Da ist der Berliner Harry Kindermann, den der Friedhof als Enklave vor der Deportation rettete, einen Engländer wiederum führte er zufällig auf die Spur seiner eigenen jüdischen Herkunft, einer jungen Familie bietet er eine Wohnung, der Schweizerin Gabriella Naidu, deren Großvater um 1900 Börsendirektor war und sich ein prächtiges, ganz unjüdisches Grabmal bauen ließ, Stoff für Familienforschung und für William Wolff indessen ist der Friedhof eine Arbeitsstelle, die Erfüllung seines Lebenstraums: er ist hier der Rabbiner.

“Ich weiß es nicht”, sagt Wolff auf die Frage, woher der jüdische Brauch kommt, kleine Steine auf den Gräbern abzulegen. Mit verschmitztem Gesicht sitzt der zierliche Mann in Hut und dunklem Anzug auf den Stufen vor dem Hauptgebäude. Keinen rechten Sinn kann er dem Brauch andichten und auch auch keine großartige Bedeutung.

So ist der ganze Film. Überhaupt nicht pathetisch und sorgfältig recherchiert, kontert er eventuelle große Erwartungen mit vielen angenehm konkreten Informationen. Da gibt es die Anfrage von australischen Hinterbliebenen, ob sie den Grabstein ihres Vorfahren veräußern dürften, gab es zu DDR-Zeiten einen FDJ-Subbotnik von der nahegelegenen Schule, zur Nazizeit Baumkletterei und Pflaumenessen und eine erste Liebe, und es gibt die vielen Blumen russischer Einwanderer, denen die Tradition der schlichten, nur steingeschmückten Grabsteine egal ist. Auch um das Wunder, dass der Friedhof eine von ganz wenigen Institutionen war, die von den Nazis verschont blieben, geht es.

Es ist ein zurückhaltender Film, der um die verlässliche Wirkung seines Sujets und seiner Protagonisten weiß, und im Hintergrund still ordnet. Er sammelt Eindrücke von der kleinen Landschaft des Friedhofs sowohl im Schnee und als auch bei Sommerlicht, beobachtet Schulklassen, spricht mit Hinterbliebenen, wird Zeuge einer Zeremonie der israelischen Armee. Da sind die Tränen von Baruch Bernhard Epstein, der beide Brüder in den KZs der Nazis verlor, dessen Geste am Grabstein seiner Großmutter dem Plakat des Films sein Motiv gab. Das ist einer der unverhofften, magischen Momente, als der Pragmatismus der Grabsteinsuche mit dem Augenblick des Findens, der Trauer und der Hilflosigkeit und die ganze Geschichte der Verfolgung der Juden Europas zusammentreffen.

Und immer wieder führt Rabbiner William Wolff mit den lachenden Augen wie ein leiser Moderator durch den Film. Weltkulturerbe soll er jetzt werden, der Friedhof, das klingt nach Erhabenheit. Davon ist im Film zum Glück nichts zu spüren. Eher sucht er sich das schnoddrige Gedicht, das Kurt Tucholsky einst über den Friedhof schrieb und lässt es zu Beginn und am Ende gleich zwei Mal hören: schön berlinerisch und witzig und traurig zugleich.

A.S.H. | 07.04.11 17:54 | Permalink