« Der Mobilfunkmast als Kontroll-Wachturm | Hauptseite | Theo macht den Fisch »

Ein Kind und Mord und Totschlag

“True Grit” von Joel und Ethan Coen

Geschockt seien sie vom Erfolg ihres neuen Films, sagten die Coen-Brüder neulich im Interview über den zeitweiligen Spitzenplatz von “True Grit” in den USA-Kinocharts.
Dabei ist es nicht verwunderlich. Hat doch ihr Film überraschenderweise alles Zeug zum Blockbuster. Coens besonderer Humor und ihre Independent-Schrulligkeiten, die ein breites Publikum abschrecken könnten, werden hier beinahe perfekt mit den Konventionen des populären Western-Genres vermischt. Die Grundkonstellation allein ruft doch schon Anteilnahme hervor: Ein Kind, Mattie, ein 14jähriges Mädchen, will den Mord an seinem Vater rächen. Dafür holt Mattie sich mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit erst den versoffenen, aber kampferfahrenen Rooster Cogburn, dann noch eher versehentlich, aber zum Glück den virtuosen Texasranger LaBoeuf.

Zunächst müssen wir uns jedoch durch eine lange wortreiche Vorbereitung fressen - mit gewissen Höhepunkten. Die Coen-Brüder haben den Dialog als eigenständiges Kunstmittel ihrer Filme etabliert. Da geht es um mehr als die Übermittlung von Informationen, da geht es um gute Preise (Mattie textet einen Pferdehändler zu), ums Kräftemessen (LaBoeuf: “Erst wollte ich dich küssen, aber jetzt überleg ich, ob ich dich verprügel.” – Mattie: “Ich stelle mir beides nicht sehr verlockend vor.”) oder auch um Psychologie vor Gericht. So ist das Verhör von Marshall Cogburn bei einer Verhandlung, die Mattie zufällig beobachtet, eine einzige Freude am Spiel von Jeff Bridges, der mit schwerer Zunge und einer Riesenportion Chuzpe Rede und Antwort steht.
Aber dann gibt es eine Zäsur, und die Coen-Brüder zeigen, dass sie nicht nur große Quasselszenen, sondern auch großes Kino können. Als Cogburn und La Boeuf ganz selbstverständlich ohne das Mädchen zur Mörderjagd aufbrechen, gibt Mattie nicht auf. Ganz einfach schwimmt sie mit ihrem Pferd den beiden hinterher. Wie Mattie sich da ins tiefe Wasser begibt und sich hinüber arbeitet und scheinbar endgültige Tatsachen wieder umstülpt, feiert der Film mit langem Schweigen und einer Dehnung der Zeit als eine Art Initiation.

Nicht mal Jeff Bridges ist die Sensation des Films, sondern die blutjunge Darstellerin der Mattie, Hailee Steinfeld. Das Besondere der Mattie-Figur liegt darin, dass ein Kind durch die Umstände gezwungen wird, erwachsen zu spielen, Kräfte heraus zu kramen, die eigentlich erst später dran sind – und gleichzeitig daran wächst. Groß sind die Momente, wenn das Kind dann wieder Kind wird. So sieht Mattie mit aufgerissenen, entsetzten Augen zu, wie am Ende eines Gesprächs zwei Menschen sterben. Beides - angeschaffte Härte und zarte Verletzlichkeit – spielt Steinfeld mit überzeugender Vehemenz.

Überhaupt ist der Film neben betörenden Totaleinstellungen, die wie alle großen Western im Kino besonders wirksam sind, ein Fest für alle beteiligten Schauspieler. Während Jeff Bridges als Cogburn die Masche des halb abwesenden Suffkopps, der schlagartig aktiv und humanistisch werden kann, abzieht, läuft der zutiefst unterschätzte Matt Damon als komischer Texasranger La Boeuf zu Hochform auf, liefert Josh Brolin finster und zugewachsen den Schurken des Stückes und darf auch Co-Schurke Barry Pepper mal so richtig ungepflegt und widerlich sein.

Die Lust am Erzählen ist der Garant aller Coen - Filme. Auch die allerorts drohende Traurigkeit mit Ironie unter Kontrolle zu halten gelingt hier wieder.

Und fast wäre es ein Meisterwerk geworden, wenn die Regisseure, alle Ironie vergessend, nicht noch einen sentimentalen Epilog angehängt hätten, der die Idee von der natürlichen Distanz zwischen dem alten Sack Cogburn und der jungen Mattie schlagartig unterläuft und plötzlich eine Art Lovestory daraus machen will. Das haben Mattie und Cogburn nicht verdient.

Die Herrschaften in Los Angeles haben “True Grit” nicht einen einzigen Oscar gegeben, aber das hat nichts zu sagen, nicht über den Film. Besser als der langweilige “The King’s Speech” ist er allemal.

Angelika Nguyen

A.S.H. | 28.02.11 17:40 | Permalink