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Salzburger Anschauungen

von Jürgen Schneider

36 Poller, 36 Gurken
– Salzburger Anschauungen 1

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Salzburg-Souvenirs © Jürgen Schneider

Zum Sommeranfang schnürlregnete es in Salzburg. Neu war in der Prä-Festspielzeit nur das Thema Poller. Seit knapp drei Jahrzehnten ist die Altstadt »Fuzo«, also Fußgängerzone, doch das hinderte automobile Besucher des Traditionscafés Tomaselli keineswegs daran, mit ihren Protzkarossen zum Sachertortenschmaus zu fahren. »Die Altstadt ist frei«, verkündete Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden am 21. Juni, als er die Altstadtumzingelung durch 36 Poller freigab, »zum Schutz des Weltkulturerbes vor den illegalen ›Kaffeefahrten‹.« Schon am nächsten Tag umringte eine Schulklasse am Festspielhaus einen zu Schaden gekommenen Poller. Die Kutscher waren zunächst not amused, scheuten doch deren Gäule vor den per elektronischem ›Kastl‹ auf und nieder zu fahrenden phallischen Autosperren. Den Vorschlag, die Tiere zum Sprungtraining in die Wiener Reitschule zu schicken, schlugen sie in den Wind.

Auf einer windgeschützten Bank auf dem Kapuzinerberg markierte mir ein Einheimischer auf einem Stadtplan 43 der dort verzeichneten 47 Sehenswürdigkeiten, die ich auf jeden Fall zu besuchen hätte, Stadtberge inklusive, und erklärte mir, welche Biersorten in der Salzachstadt zu genießen seien. Stiegl sei gut, von Zipfer nur der Urtyp ein gutes Bier. Das ›Bräustübl‹ des Augustinerbräu sei zu meiden, da der augustinische Stoff zu wenig Kohlensäure enthalte. Ein Besuch des Maxglaner Vorstadtwirtshauses ›Ganshof‹ sei hingegen auf der Stelle vorzunehmen, solle das einstige Stammlokal von Thomas Bernhard, verewigt in dessen Roman »Untergeher«, doch abgerissen und durch Wohnbebauung ersetzt werden. Dieser Aufforderung war ich längst nachgekommen und hatte das Bernhard-Konterfei im Ganshof angeschaut, das von einem Gast gemalt wurde, »der hier schon hundert Jahre verkehrt«, wie die nette Kellnerin erläuterte.

Am nächsten Tag zog es mich auf den Mönchsberg. Diesen waldigen Felsrücken, so empfiehlt Renate Just in ihrem eins a Reiseführer »Salzburg – Auf krummen Touren durch die Stadt« (Kunstmann Verlag), »sollte man gemächlich erobern, ihn unter den Füßen haben«. Ich zog es jedoch vor, in der Gstättengasse in den Lift zu treten, der einen im Nu in den Eingangsbereich des Museums der Moderne Mönchsberg katapultiert. Das Museum hatte zur Vorbesichtigung der Ausstellung des österreichischen Künstlers Erwin Wurm mit dem Titel »Selbstporträt als Essiggurkerl« eingeladen.

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Erwin Wurm, Selbstporträt als Essiggurkerl, 2008, Acryl, Acryllack, lackierte Holzpodeste, 36-teilige Installation © VBK, Wien, 2010

Wurm hinterfragt immer wieder den Begriff des Skulpturalen. Selbstporträts in der Malerei kennen wir zuhauf, im Bereich Skulptur sind sie eher selten. Auf Aquarellen hatte sich Wurm 2006 bereits zu Marmelade und Gelee liquid gemacht. Jetzt zeigt sich: der Künstler ist nicht nur ein Essiggurkerl, sondern viele, mal krumm und warzig, mal aufrecht und glatt. Die multiple Künstlerpersönlichkeit manifestiert sich in 36 in Acryl gegossenen und naturalistisch bemalten Essig- und Salatgurken, »facettiert in Alltagsgegenständen«, wie Museumsdirektor Toni Stoos anmerkte. Nach der Post- die Gurkenmoderne. In ihrem Text zur Ausstellung schreibt Kirsten Voigt: »Ihrer pejorativen Konnotation entkommt die Gurke allerdings weder in diesen beiden Formen – also als Einleg- oder Schlangengurke – noch in ihrer bodenständigen Variante, jener der gedrungenen, aber schmackhaften Landgurke. Wer ›herumgurkt‹, kann nicht Kurs halten, sondern trottelt wankelmütig ins Ziellose, in der ›Sauren-Gurken-Zeit‹ herrscht Mangel.« Und: Eine Gurkentruppe gewinnt keine Fußball-WM.

Ich trottelte zielstrebig den Berg hinab zum Rupertinum, zur Ausstellung des in Wien lebenden Malers, Zeichners, Schriftstellers und Performance-Künstlers TOMAK. Der gibt das Motto aus: »Be An Antist!« In seinen Textmontagen, ein veritabler Chaosmos, in den zeichnerische Motive verwoben sind, ist das Anti stets präsent; er geht an gegen Luther und Goethe, gegen Deutschland, Krieg, gegen Wien und Salzburg. Er zitiert die Einstürzenden Neubauten und bezieht sich auf Nietzsche: »Niemand vermochte die Künstler nachhaltiger zu beeinflussen, als der alte Fritz!«

Nietzsches Dionysos-Dithyramben waren der Initialzünder für Wolfgang Rihms Salzburger Opernauftragswerk »Dionysos«, das Ende Juli Premiere haben wird. Für das Bühnenbild zeichnet der deutsche Kunst-ist-Totalität-Künstler Jonathan Meese verantwortlich: »Es gibt den Nietzsche-Bart, der einfach auf die Bühne kommt. Der Bart ist ja das Größte und Beste an Nietzsche. Der ewige Bart eben.« Meeses Nietzsche: »Ein Kumpel, (...) ein Stofftier.« Eine der akribischen Zeichnungen von TOMAK trägt den Titel »Jonathans Möwe hat ne Meese«. Darauf findet sich ein Bleistifttext über den Künstlerkollegen Meese, der gerne mit ausgestrecktem Arm posiert: »(...) ein paar Geschlechtsteile Hitler – und – ein wenig Kippenberger gelesen zu haben schadet nicht.«


Nicht asen mit Phrasen
Salzburger Anschauungen II

Ein halbseitiger Bericht muss es schon sein, wenn er wieder trällert, sagten sich die »Salzburger Nachrichten« und schickten ihren Reporter zum »Mond«, denn in diesem Kasino, »gleich hinter dem Niemandsland der steirisch-slowenischen Grenze, hinter leeren, graffitiverzierten Zollamtsgebäuden, wo sich eine Ahnung von Las Vegas aufbaut«, trat er auf, Heino, die blondierte deutsche Volkslied-Ikone, und sang, Playback natürlich, »von der schwarzen Barbara, die da steht im Wald in der Schenke zum Kürassier«. An anderer Stelle geißelten die »SN« die österreichische Langsamkeit: »Was ist los mit unserem Land? Ist die Schlafmütze zum Hauptaccessoire des Bundesadlers geworden?« Und in der Leserbriefspalte meldete sich der Österreichische Tierschutzverein zu Wort: »Als hätten die Kutschpferde nicht genug Stressfaktoren in ihrem Arbeitsalltag, kommen nun auch noch die Poller hinzu, die die Tiere erschrecken. Es ist wirklich an der Zeit, dass die Fiaker in Salzburg abgeschafft werden.« Menschen aus 149 Nationen leben in Salzburg. Einer ist der Zeitungsverkäufer, ein Iraner im Exil, der seine Tage im Mönchsbergtunnel zwischen Toscaninihof mit der Bucklreuthstrasse verbringt und schon am frühen Morgen weiß, was die Zeitungen inhaltlich zu bieten haben. »Hier, sehen Sie, heute steht in der ›NZZ‹ eine Besprechung des neuen Buches von Paco Ignacio Taibo.« Von der Lektüre der Austria-Tageszeitung »Die Presse« rät er ab: »Die lesen nur Richter und Staatsanwälte.« Welche Leserschaft »Der Standard« erreicht, verrät er nicht. In dieser Financial-Times-farbenen Zeitung kam der argentinische Soziologie Pablo Alabarces zu Wort, der in seinem kürzlich in Übersetzung erschienenen Buch »Für Messi sterben?« (Edition Suhrkamp) die Rolle des Fußballs bei der Erfindung der argentinischen Nation untersucht: »Der Fußball funktioniert heute aufgrund seiner medialen Allgegenwart, seines Expansionsdranges und seiner Macht, nationale Bedeutungen zu transportieren, auf ähnlich autoritäre Weise wie die Schule. Aber klar ist auch: Wenn der Fußball die letzte Säule der Gemeinschaft ist, dann handelt es sich um eine schwache Gemeinschaft.« Vor dem Spiel gegen Messi & Co. analysierte Wolfgang Weisgram im »Standard« unter der Überschrift »Die Piefke und die Deutschen« den Fußballstil der WM-Elf der Nachbarn. Teamchef Löw habe Schluss gemacht mit dem »piefkischen Verwaltungskick«, ihm sei »eine fulminante Neuinterpretation des uralten ›Schalker Kreisels‹ gelungen«. Löw sei »ein immenser Massel« beschieden gewesen, denn »mit Ballack hätte es weiter nur Vorgesetztenfußball« gegeben, »wären die Deutschen weiterhin bloß Piefke geblieben«. Anders als die deutschen Feuilleton-Redaktionen, in denen man die konventionelle Literatur hofiert, war sich »Der Standard« nicht zu schade, den Ende Juni im Alter von 80 Jahren verstorbenen Dichter Andreas Okopenko (AOk) zu würdigen, der »den Tempeldienst am leeren Wort« verabscheute. Im repressiven österreichischen Kulturklima sei er Außenseiter geblieben. Dies habe sich auch nicht geändert, als ihm das Prosa-Meisterwerk »Lexikon einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden« (1970) gelang, »ein Materialsteinbruch aus selbstverfertigten Lexikoneinträgen, die den Leser zur eigenständigen Montage einer Reiseroute ermuntern«. In diesem lesergesteuerten nonlinearen, in alle möglichen Richtungen ausufernden »Möglichkeitsroman« (AOk) stehen unter dem Stichwort ›Politik‹ Sätze, die das affirmative Piefkefeuilleton gewiss nicht goutiert: »Der Autor des Lexikonromans möchte eine Menschheit, die unter den Konditionen von LIBERTÉ EGALITÉ FRATERNITÉ bestandsfähig ist, zum Sozialismus nicht geprügelt werden braucht, in ihm die Individualität und alle anderen Wert- und Lustfaktoren höchst entwickeln könnte, keine Repression mehr kennt und alle Intelligenz an Stabilisierung und Intensivierung des Lebens wendet.« Okopenko bietet neun Einträge zum Thema Zeitung, im Salzburger Museum der Moderne sind bis zum 24.10. in der fulminanten, von Christoph Doswald kuratierten und nicht linear präsentierten Ausstellung »Press Art« aus der Sammlung des Schweizer Medienanwaltes Peter Nobel und dessen Gattin Annette derzeit 340 Werke mit Fokus auf die gedruckten Massenmedien zu sehen. Die Liste der Künstler aus aller Welt liest sich wie ein Who is Who des 20. Jahrhunderts. Ein Manifest von Beuys, der sich gekonnt der Mechanismen der Spektakelgesellschaft bediente, trifft auf Antikriegspostkarten von Malewitsch, Gerhard Richter auf Konzeptkunst, die Pariser Décollagisten auf Media Hacker, eine von Candida Höfer fotografisch abgebildete Zeitungssammlung trifft auf eine von Christo verpackte »Spiegel«-Ausgabe mit der Überschrift »Kubakrise«. Und wir sehen, dass das englische Sprichwort »Today's newspaper is tomorrow's fish wrapping« nicht uneingeschränkt Gültigkeit hat; die Kurzlebigkeit der Drucksachen, wichtigen Komplizen der Kunst auch im Digitalzeitalter, wird herausgefordert, sie selbst werden entkontextualisiert, und enthierarchisiert, die Inhalte werden durch den künstlerischen Eingriff kontaminiert.

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Christo (Christo Javacheff), Der Spiegel, 1963 mit Kunststofffolie und Bindfaden verpackte Zeitschrift, Aufl. 130, Sammlung Annette und Peter Nobel

Wurde bei James Joyce der Roman auch Zeitung, so kam mit den Futuristen das Wort in die Malerei, durch Dadaisten und sowjetische Konstruktivisten, wie etwa Warwara Fjodorowna Stepanowa, wurde das bedruckte Papier kunstfähig. Kurt Schwitters rezyklierte Papierabfälle und fror sie in seinen Collagen ein, wie etwa auf seinem aus dem Jahr 1930 stammenden Werk ›Man soll nicht asen mit Phrasen‹. An den linken Bildrand geklebt ist ein Zeitungsbericht über eine NSDAP-Veranstaltung in Frankfurt, darin die Worte des Autors von »Mein Kampf«: »Ich bin Schriftsteller und lebe von meinem Honorar.« Der chilenische Künstler Alfredo Jaar beschäftigte sich jahrelang mit dem Genozid in Ruanda. Sein Werk »Untitled (Newsweek)« besteht aus 17 chronologisch aufeinanderfolgenden Titelblättern der US-Zeitschrift »Newsweek« und zeigt, dass erst mehr als eine Million Menschen sterben mussten, bevor Ruanda reißerisch auf das Cover gelangte: »Hell on Earth«. Der spanische Künstler Joan Foncubera hat das Folterfoto aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib, das die US-Soldatin Lindy England und einen nackten Gefangenen zeigt, der von ihr an einer Hundeleine über den Boden geschleift wird, neu kreiert – aus Google-Bildern von Beteiligten und Verantwortlichen, die im Untersuchungsbericht zu den Ereignissen von Abu Ghraib genannt wurden: George W. Bush, Donald Rumsfeld und andere Schreibtischtäter und Folterer. Typen, die den Pudding nicht wert sind, mit denen kein Teufel sie mehr bewirft.


Smart Botox
– Salzburger Anschauungen III

April 1938. Einige Bühnenarbeiter der Salzburger Festspiele freuen sich derart über den Besuch Adolf Hitlers, dass sie ein Holzbrett durch die Aufschrift »Darauf stand und sprach unser Führer Adolf Hitler am 6. April 1938« zur Ikone machen. So ist es in Andreas Novaks Buch »Salzburg hört Hitler atmen« nachzulesen. In der Ausstellung »Das Grosse Welttheater – 90 Jahre Salzburger Festspiele«, mit der sich die Festspiele im Salzburg Museum derzeit selbst feiern, findet man solche Anekdoten nicht. Das zentrale Element der Selbstzelebrierung ist eine Zeitleiste, über der Fotos und Dokumente angebracht sind. Auf dieser findet sich zwar der Hinweis, dass die Festspiele nach 1938 zum Propagandainstrument der Nationalsozialisten wurden, Salzburg sich durch ein mehrheitlich deutschnationales und antisemitisches Bürgertum auszeichnete, und Hitler im August 1939 eine Mozart-Aufführung besuchte, aber das war es dann auch schon. Statt weiterer Aufklärung lässt man einen Ventilator schwarze Fähnchen in Bewegung setzen – Nationalsozialismus ultralight. Im Ausstellungskatalog heißt es knapp: »Nach dem Krieg konzentrierten sich die Bemühungen (...) vor allem auf die Entnazifizierung der Antipoden Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan.« Letzterer wurde 1957 künstlerischer Leiter der Festspiele, »und alles war monoman, da gibt’s einen Meister, und alle anderen haben zu applaudieren und nichts zu sagen.« (»Rondo«, 23.07.10) Ein typischer Fall der sog. »Entnazifizierung« eben.

Als im vergangenen Jahr die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz formulierte, die Festspiele seien »eine elitäre, reaktionäre Einrichtung, die vor allem dem Mythos Österreich stärken sollte, der ja 1918 in sich zusammengebrochen ist« und sich das »nahtlos in den österreichischen Austrofaschismus und dann auch gleich wieder in den Nationalsozialismus« gefügt habe, bescheinigte ihr der Noch-Festspielintendant Jürgen Flimm, angetreten, »sich auf alte Begriffe – ja sagen wir: Werte – zu besinnen«, sie habe »nicht mehr alle Tassen im Schrank«. Auf der Jubiläumszeitleiste heißt es klipp und klar, die Salzburger Festspiele seien immer eine Veranstaltung für die Eliten gewesen. In dieser Stadt pflegt man den Elitenschwachsinn. Was in bundesdeutschen Städten Resterampe heißt, wird hier beworben mit dem Spruch »Der günstigste Luxus der Stadt« und nennt sich großsprecherisch »Designermarkt«.

Vor einem »Publikum um Banker Heinrich Spängler« (»Salzburger Nachrichten«, 18.07.07) erwies sich Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler als Ideologieproduzentin, indem sie das Festspiel-Gründungsmanifest von Hugo von Hofmannsthal so auslegte, dass sie dessen zentrale Aussagen, es dürfe keine Trennung zwischen Gebildeten und der Masse gemacht werden und das Publikum verlange nach Neuem in einem Fall typischer kognitiver Dissonanzreduktion überging und behauptete, der Friede und der Glaube an Europa stünden bei Hofmannsthal im Mittelpunkt. Dem Neuen, für das Gerard Mortier steht, der nach 1989 Intendant in Salzburg war und die Festspiele als Ort der Aufbrüche und der Konfrontation verstand, erwies sie mit dem Hinweis auf die finanziellen Grenzen eine Absage. Dazu passt, dass die Welturaufführung von Wolfgang Rihms Opernphantasie »Dionysos« im Festspielproduktionsprozess ganz unten angesiedelt war.

Trotz Dauerregen gab sich die »Elite« am 24. Juli 2010 in der Nobelgalerie Ropac am Salzburger Mirabellplatz die Ehre. Nicht nur das Salzburger Rupertinum richtet dem deutschen Künstler Daniel Richter, der gerne auf seine Hausbesetzervergangenheit verweist, eine Einzelausstellung aus, sondern auch Herr Ropac, der daneben Arbeiten von Balkenhol, Kiefer, Baselitz und Warhol zeigt.

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Ausstellungseröffnung Daniel Richter, Galerie Ropac © Jürgen Schneider

Richters Abkehr von der abstrakten und Hinwendung zur figurativ-plakativen Malerei hat seine schmale Begabung nur noch mehr vor Augen geführt. Wo so wenig ist, muss der Galeriewerbeschwulst einspringen und kunsthistorische Bezüge von Munch und Ensor bis Kippenberger konstruieren, um das Ranking Richters auf dem Kunstmarkt zu befördern. Richters fünfzehn neue, manieristisch anmutende Gemälde, denen es an jeder Tiefe mangelt, interessierten die Vernissagengäste kaum, schließlich war man gekommen, um sich selbst auszustellen – als »gespenstische Gemeinschaft«. Eine solche will eine Kritikerin allerdings in den Bildern Daniel Richters wahrgenommen haben. Ging bei den Herrschaften gar die Angst um, man könnte in den von ihm leuchtend bunt gemalten Fratzen das eigene Spiegelbild erkennen? Es war ein gruseliges Spektakel goldbroilerbraunen, botoxgesättigten, gelifteten oder mit Schminke zugespachtelten, auf High Heels wankenden, in grauenhafte Stoffe gehüllten und mit schweren Klunkern behängten Fleisches, das geradezu nach einem George Grosz und seinem Bleistift rief. Ben Becker, Bibelrezitator und Schauspieler, gab mit Lederhosen und einem Tirolerhütchen den Assimilierten und knutschte vor laufenden Kameras Frau Rabl-Stadler ab. Dirk von Lowtzow von der Hamburger Diskurspopcombo Tocotronic hingegen klammerte sich an seine Umhängetasche, schlich ob des Bussi-Bussi-Horrors irritiert durch die Räume der Ropac-Villa und erbettelte sich ein Glas Weißwein. Eine alte Dame mit güldenem Haarband und Späthippieoutfit stolperte über einen der beiden Gesteinsbrocken, die Richter ebenfalls bei Ropac ausstellt. »Das soll wohl der Stein des Anstoßes sein«, sagte sie und schüttelte ihr weißes Haupt.

A.S.H. | 16.08.10 17:01 | Permalink