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“Me Too” von Alvaro Pastor und Antonio Naharro

Zwischen den Welten

Von Angelika Nguyen

Die Geschichte zwischen Daniel (Pablo Pineda) und Laura (Lola Duenas) beginnt mit einem typischen Vorurteil. Sie, als Mitarbeiterin einer Behörde für behinderte Menschen, fragt ihn, wo er seine Eltern gelassen habe. Denn Daniel hat das Down Syndrom. Für Laura ist Daniel, obwohl er 35 Jahre alt ist, ein Kind. Was sie noch nicht weiß, ist, dass Daniel der neue Mitarbeiter ist, mit einem Universitätsdiplom in der Tasche.
Die Konfrontation ist ein schöner Anfang für eine Liebesgeschichte, die weder auf asexuelle Weise “herzlich” (Presseheft) noch übertrieben optimistisch erzählt wird. In der täglichen Arbeit haben Daniel und Laura Zeit für Beobachtungen, Zeit für gemeinsames Kopieren, Zeit für Fragen, für gemeinsames Lachen.

Die Skepsis der Arbeitskollegen (“Erst macht sie ihn heiß, dann lässt sie ihn fallen.”) und die Sorge von Daniels Mutter (“Welche normale Frau interessiert sich für jemanden wie Daniel?”) scheinen berechtigt.
Aber inmitten aller Nüchternheit nähern die beiden sich auf dramatisch-widersprüchliche Weise einander. Der Charme füreinander wird allmählich nachvollziehbar. So verliebt sich Daniel vielleicht in die Selbstverständlichkeit, mit der Laura ihm die ewig offenen Schnürsenkel bindet, und Laura mag es offenbar, wenn Daniel ihr den Sinn des Getümmels auf einem Gemälde von Hieronymus Bosch erklärt. Lauras unverblümte Art, Fragen nach seiner Behinderung zu stellen, tut wiederum Daniel gut.
Neben der genau erzählten Entwicklung der Liebesgeschichte ist der Film stark in der Beschreibung des sozialen Umfeldes von Daniel, der engen Verbundenheit mit seiner Mutter Angeles und seinem Bruder Santi, weil bei aller Liebe auch Härte und Widersprüchlichkeit nicht ausgespart werden. So verbietet Santi Daniel, ihm ein schlechtes Gewissen für sein Glück mit Frau und Kind zu machen, nur weil er es selbst nicht hat.
Dagegen sprengt Lauras Zeitreise in ihre desolate Herkunftsfamilie und ihr Kindheitstrauma den erzählerischen Rahmen des Films und rutscht zudem ins Melodramatische ab. Die konzeptionelle Absicht: “Jeder hat seine Behinderung” ist zu deutlich. Ähnlich die dramatische Einheit störend wirkt die zu lang erzählte Eskapade des Down-Syndrom-Paares Luisa und Pedro. Deren Geschichte variiert nur noch einmal breit die Hauptgeschichte und das politische Credo des Films: das Recht von Menschen mit Down Syndrom auf Autonomie, Partnerschaft und Sexualität.
Interessant, wenn auch nur angedeutet, ist das Drama der Mutter Daniels, die mit Ehrgeiz und Liebe den behinderten Sohn einerseits zu akademischen Erfolgen führen, andererseits seine Selbstständigkeit nicht recht akzeptieren kann. Daniel ist zwischen die Welten geraten. In eine Frau mit Down Syndrom kann er sich nicht verlieben und eine mit 46 Chromosomen kann er nicht haben.
“Was nützt mir das alles, wenn ich allein bin?” fragt Daniel, ein Satz, den sein Darsteller Pablo Pineda über sich selbst sagte. Die Idee mit dem Uniabschluss kommt aus Pinedas eigener Biographie. Er ist der erste Europäer mit Down Syndrom, der eine Universität absolviert hat, so die korrekte Bezeichnung. Aber dieses Alleinstellungsmerkmal macht Daniel nicht nur einsam. Er ist auch eine Brücke, eine Art Übersetzer. Laura erscheint er nicht so Down Syndrom wie die anderen. “Du bist doch nicht so behindert oder?”, fragt sie ihn. Aber er ist einer von ihnen. ”Doch”, sagt Daniel, “Ich bin von Kopf bis Fuß Down Syndrom.” In Interviews hat Pablo Pineda immer wieder betont, dass die Down-Syndrom-Behinderung andere Charaktere hervorbringt, ein anderes Lebensempfinden. “Me Too” ist Dokumentation, Liebesdrama, Aufklärungskampagne, Plädoyer in einem.

Die Beziehung zwischen Daniel und Laura ist ohne falsche Versprechen, ohne Kitsch. Dann geschieht manchmal gerade Unerwartetes. Davon erzählt dieser Film. Darin besteht seine Größe.


Nachtrag von ost:blog
Der Film hat heute seinen Kinostart.
Der Text ist in kürzerer Fassung auch im Freitag vom heutigen Donnerstag, den 5. August, erschienen.

david | 05.08.10 21:07 | Permalink