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Wilhelm Werner – Bilder einer Zwangssterilisierung in der Sammlung Prinzhorn

von Jürgen Schneider

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Ende 2008 erwarb die Heidelberger Sammlung Prinzhorn aus Privatbesitz 30 Zeichnungen des Patientenkünstlers Wilhelm Werner, Anfang 2010 kamen aus derselben Quelle 14 weitere Blätter hinzu. Diese Werke sind derzeit in einer Kabinettausstellung der Sammlung Prinzhorn zu sehen. Die der Überlieferung nach vor 1938 entstandenen Zeichnungen, in denen die Sterilisierung eines Mannes während des Faschismus künstlerisch verarbeitet wird, sind eine kleine Sensation, ist doch bislang keine bildnerische Auseinandersetzung mit einem solchen Zwangseingriff bekannt geworden.

Die 30 Zeichnungen umfassende Bildserie ist säuberlich von 1 bis 30 durchnumeriert und hat szenischen Charakter. Das erste Bild zeigt eine marionettenhafte Figur, die an einem Flaschenzug hängt, während anonyme Hände im Begriff sind, diesem Aufgehängten die Hoden zu entfernen. Rechts unten findet sich die Signatur: »gezeichnet von Wilhelm Werner«.

Über Wilhelm Werner ist bislang wenig bekannt. Er wurde wohl 1898 im fränkischen Nordheim/Gerolzhofen geboren, war ledig, ohne Beruf und katholisch. Mit der Diagnose »Idiotie«, die keiner Überprüfung standhielte, wies man ihn am 12. August 1919 in die 1855 als Kreisirrenanstalt gegründete Heil- und Pflegeanstalt Werneck ein. Deren politisch nicht genehmer Chefarzt Dr. Josef Entres wurde 1934 durch Dr. Pius Papst abgelöst, der zunächst nur die Geschäfte des Direktors führte, am 1. April 1936 aber auch formell zum Direktor ernannt wurde. Unter Pius Papst traten nahezu alle in der Anstalt Beschäftigten der NSDAP bei; beim Rekrutierungsprozess tat sich besonders der Verwaltungsleiter Vogel hervor. Von 1934 bis 1940 wurde unter Papst auch das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« umgesetzt. An Insassen der Anstalt Werneck wurden insgesamt 284 Sterilisationen durchgeführt, darunter an Wilhelm Werner. Im Juli 1940 trafen die Patientenerfassungsformulare der »Aktion T4« in Werneck ein. Seit Kriegsbeginn wurden reichsweit die Anstaltsinsassen für den Krankenmord durch die zentrale »Euthanasie«-Dienststelle in Berlin erfasst. Auch die Tage der Anstalt Werneck waren bald gezählt. Am 23. September 1940 erschien Gauleiter Dr. Hellmuth, Würzburg, in seiner Funktion als Einsatzführer der Himmler unterstellten Volksdeutschen Mittelstelle des Gaus Mainfranken, die für die Umsiedlung Volksdeutscher zuständig war. Hellmuth forderte die Räumung mehrerer Krankenabteilungen, um Platz für volksdeutsche Umsiedler aus Bessarabien zu schaffen. Vom 3. bis zum 6. Oktober 1940 erfolgte die fast vollständige Räumung der Anstalt; insgesamt 760 Patienten und Patientinnen wurden abtransportiert, die meisten über Zwischenanstalten in die Vernichtungseinrichtungen der Aktion T4. Wilhelm Werner gehörte zu den 143 Kranken, die direkt in die Tötungsanstalt Sonnenstein im sächsischen Pirna gebracht wurden. Er wurde dort vermutlich am 6. Oktober 1940 vergast.

Bevor diese Entscheidung über das nackte Leben Werners getroffen wurde, hatte ein Verwaltungsangestellter der Anstalt Werneck dessen Zeichnungen an sich genommen. Abriebspuren zeugen davon, dass die Wernerschen Bilder häufig betrachtet wurden.

Schon ein kursorischer Blick auf die Bilder, auf die Linienführung und Schraffuren, lässt eine Stilsicherheit erkennen, die sich nur durch häufiges Zeichnen eingestellt haben kann. Sie erinnern an Oskar Schlemmers Federzeichnungen und Kostümstudien aus dessen Bauhauszeit. Zu Werners wie Gliederpuppen wirkenden und meist im Profil dargestellten Figuren gehören nackte Gestalten, Ordenschwestern, Clowns mit kugelrunden Körpern und Männer in Anzügen. Auf Bild Nr. 8 ist ein Anzug und Fliege tragender Herr handschriftlich benannt: »Doktor Weinzierl «. Immer wieder machen sich die Ordensschwestern oder anonyme Hände an den Genitalien der Männerfiguren zu schaffen, entfernen kugelig schematisierte Hoden. Auf dem einzigen Landschaftsbild (Nr. 11), ein stummer Schrei nach Freiheit, sind die in der Idylle einer Hügellandschaft wachsenden Bäume und Sträucher aus eben solchen Kugeln gebildet. Auf Bild Nr. 25, das »Der Siegeszug der Sterelation« überschrieben ist und mit dem er seinem Spott mit den Nazis zu treiben scheint, sitzt eine Ordensschwester samt einer Schale mit Hoden auf dem Dach eines Ausflugsbusses mit Grammophon und Hakenkreuzfahne. Eine Vielzahl an chirurgischen Instrumenten sind auf neun der Zeichnungen zu sehen. Ein Blatt trägt den Titel »(Für) Sterelationssache«. Und auf zwei Zeichnungen führt Werner vor Augen, wie diese Instrumente eingesetzt werden. Doch Werner zeigt keine Sterilisation, sondern die Kastration, obwohl es keinen Beleg dafür gibt, dass er einer solchen »Entmannung« unterzogen wurde. Wohl aber hat er die entwürdigende Zwangssterilisierung als Kastration erlebt und symbolisch als Entfernung der Hoden dargestellt.

Mehrfach sind auf den Zeichnungen technische Apparate dargestellt – mit einer ausgeprägten Liebe zum Detail. Einmal ragt ein kleiner Clownskopf aus einer mächtigen Maschine, ein anderes Mal schiebt sich eine Apparatur zwischen Ordensschwester und Miniclownspuppe. Es bleibt ambivalent, ob Werner die Vermählung von Mensch und Maschine oder den Menschen als ohnmächtig der Maschinerie ausgeliefert darstellen wollte. Die nazistische Maschinerie hat ihn als »lebensunwertes Leben« ins Gas geschickt.

»Bilder einer Zwangsterilisierung – Wilhelm Werner (1898-1940)«, Sammlung Prinzhorn, Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg, bis 6. Juni 2010, Di-So 11-17, Mi 11-20 Uhr

Begleitveranstaltungen:

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A.S.H. | 06.04.10 22:53 | Permalink