« Wilhelm Werner – Bilder einer Zwangssterilisierung in der Sammlung Prinzhorn | Hauptseite | „Verschwiegenes Leid – Der Umgang mit der NS-Sterilisation in der Bundesrepublik Deutschland“ »

Seeschlacht bei Potsdam

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.

Die diesjährigen Jubelfeiern zu 20 Jahre Wiedervereinigung kommen langsam in Fahrt. Wer aber denkt dass schon alle Messen gelesen sind, der irrt. Zum Beispiel Groß Glienicke bei Potsdam.

Ein erholsamer Ort am Glienicker See neben dem Sacrower See zwischen Berlin und Potsdam, umringt von großflächigen Waldgebieten. Dazu gehört ein riesiges ehemaliges Armeeareal in welches sich durch die Sperrung eine einmalige Tier- und Pflanzenvielfalt entwickeln konnte.

Seit Wochen hängen im Ort Transparente mit „Freies Ufer“. Was ist geschehen? Groß Glienicke hat sein Gesicht in den letzten 15 Jahren komplett geändert. Bis zum Herbst 89 verlief die Grenze zwischen Ost und West durch den Glienicker See. Bis zum Fall der Mauer dominierte eine Mischung von Dorfkern, Datschen und Feriensiedlungen. Fast nirgends konnte man so gut wie hier mit verfolgen was im Osten seit Anfang der 90er Jahre vor sich ging. Durch die Schließung der meisten Großbetriebe in Ostdeutschland schlossen auch deren Ferienlager und Urlaubsbungalows, so am Glienicker See. Danach kamen die Alteigentümer die ihr Anrecht auf Eigentum durchsetzten. Die Gemeinde reagierte mit der Errichtung der typischen Reihenhaussiedlungen, somit konnten die Bewohner, die ihre Häuser verlassen mussten zu mindestens im Ort bleiben. Dann folgte der Verkauf der nun verwaisten Datschen und Feriensiedlungen. Diese wurden beseitigt und an ihrer Stelle entstanden Einfamilienhäuser. Zuerst im hautfarbenen Mallorcastil, gefolgt vom futuristischen Kubus. Datschengrundstücke mit typischen Brandenburger Häuschen sind mittlerweile die absolute Ausnahme und müssten eigentlich unter Artenschutz gestellt werden. Ist das Bedürfnis nach einem eigenen Haus im Grünen auch nachvollziehbar, so hat doch Groß Glienicke seinen Charme der Datschensiedlung zwischen zwei Seen eingebüßt. Die Filetstücke, der Wunsch aller Träume für Häuslebauer mit einem großen Portmaine, sind die Grundstücke direkt am Glienicker See. Diese wurden in den letzten Jahren Stück für Stück für astronomische Summen verkauft. Es gibt nur ein Problem, die Grundstücke gehen zwar direkt bis zum See, sind aber durch den ehemaligen Mauerstreifen unterbrochen. Dieser Weg ist öffentlich zugänglich und ein beliebter Seeumgang für Einheimische und Gäste. Das wollen aber einige Grundbesitzer ändern. Schon seit Jahren gibt es um diesen Weg Streit. Für das Ufer existiert seit 1999 ein gültiger Bebauungsplan, der den öffentlichen Weg weiter vorsieht. Da die Grundbesitzer juristisch und politisch daran nichts ändern können, greifen sie zur Selbstjustiz und errichten Barrikaden. So auch in diesem Frühling. Nur war der Protest gegen die Sperrung noch nie so groß und explosiv wie in diesem Jahr - 20 Jahre nach der Wiedervereinigung. Es finden regelmäßig Kundgebungen am Uferweg statt. Am letzten Sonntag demonstrierten 500 Leute am Glienicker See. Die größte Demonstration, die der Ort je sah. Es kam vor einer Woche zu Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten, Grundbesitzern und der Polizei. Und Verbalattacken mit juristischem Nachspiel. Ein Anwalt der Grundbesitzer hatte nach einer Demonstration geäußert, dass die Polizei das Privateigentum schützen soll und nicht wie „nach 33 und nach 45 grinsend daneben steht, während ein Mob Straftaten begeht“.
Mittlerweile begann das Grünflächenamt der Stadt Potsdam mit der Räumung der Barrikaden. Wegen des unerlaubten Sperrens des Uferweges wurde ein Zwangsgeld verhängt und den Grundbesitzern ein Kaufangebot für den Uferweg unterbreitet. Wenn darauf nicht eingegangen wird droht Enteignung. Das wäre doch mal was, nach 20 Jahren ist es auch Zeit für die Abkehr von der Treuhand-Devise „Rückgabe vor Entschädigung“. Bis dahin gehen die Montagsdemos weiter.

natter | 15.04.10 12:27 | Permalink