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Noch Fragen? – Olaf Metzel stellt in Duisburg aus

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Olaf Metzel, Noch Fragen?, 1998/2010. © VG Bild-Kunst, Bonn 2010. Foto ©: Roman Mensing artdoc.de

von Jürgen Schneider

So nobel wurde die Bild noch nie präsentiert wie in Olaf Metzels Ausstellung »Noch Fragen?«, die derzeit im Museum Küppersmühle in Duisburg zu sehen ist. ›‹BILD Ruhrgebiet, 22.12.2009« heißt die 12-teilige Arbeit: Zerknitterte Matrizen (die der Prospektbeilage eines Supermarktes inklusive) in hübsch anzusehenden transparent-amorphen Plexiglasumhüllungen, die wie übergroße Müllbeutel wirken. Der Bild-Reporter war erregt: »Warum haben Sie ausgerechnet die Matrizen der Bild-Zeitung genommen?«

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Olaf Metzel, Hartz IV wird fünf, 2010. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2010. Foto ©: Roman Mensing artdoc.de

Statt der von ihm wohl erwarteten Enteignet-Springer-Rhetorik erhielt der Fragesteller vom Künstler die knappe Antwort: »Bild war die einzige Zeitung, die bereit war, mir Matrizen zu überlassen.« Der Reporter war zufrieden und flüsterte später stolz, dass der Bild-Chefredakteur eigens wegen dieser skulpturalen Arbeit aus Berlin anreisen werde. Für eine zweite »Zeitungs«-Arbeit (»Und dann noch das Wetter«, 2010) hat Metzel nicht nur aus Regionalzeitungen stammende Artikel zu diversen gesellschaftlich relevanten Themen beidseitig auf großformatige Aluminiumbleche drucken lassen, diese verformt und an sieben Metallstäben schwebend in Beziehung zueinander gesetzt. Das so entstandene komplexe plastisch-textliche Gefüge friert die Tagesaktualität der Zeitungsberichte und Schlagzeilen ein und bietet Raum für vielerlei Assoziationen und Verknüpfungen à la die Electro-Pioniere von Kraftwerk treffen Burka-Barbie.

Am Museumseingang werden die Ausstellungsbesucher von der Skulptur mit dem Titel »Hartz IV wird fünf« (2010) empfangen, die auf die Lektüre der Prospekte regionaler Möbelhäuser und der darin angebotenen Rauchglastische der Wohlstandsgemütlichkeit zurückgeht. Neben dem vom Umkippen bedrohten Geflecht aus lackierten Eisenstreben und verformten, bräunlich schimmernden Plexiglasplatten, an dem hier und da eine schwarz-rot-goldene Kordel hängt, steht ein ebenso flacher wie schwerer, cremefarbener Ledersessel, der schon bessere Zeiten gesehen hat.

Ausgangspunkt für das in einem abgedunkelten Raum präsentierte und LED-bunt erstrahlende Werk »Schicht im Schacht« (2009), das zugleich autonome Skulptur wie auch Modell für einen für den Duisburger Innenhafen geplanten Turm von 25 Meter Höhe ist, war Metzels Unzufriedenheit mit dem offiziellen, uninspirierten Kästchenlogo von Ruhr.2010. Er verwandelte es, übertrug es in eine dreidimensionale, gebrochene Spiralform und machte sich so zu eigen, was Nikolai Punin 1920 über Tatlins Entwurf für ein »Denkmal für die III. Internationale« schrieb: »Die klassische Form der Dynamik ist die Spirale.« Eine neue Dynamik, so Metzel, könne im Ruhrgebiet nur durch neue Technologien entstehen, für die sein Leuchtturm symbolisch stehen mag.

In der gelungenen Gesamtpräsentation alter und neuer Werke von Olaf Metzel befinden sich die Rauminstallationen »112:104« (1991), »Auf Wiedersehen« (1996) und »ichhasseschule« (2010) räumlich nebeneinander. Eine Kritikerin war völlig entsetzt, »dass ein einziger Künstler so viel kaputt machen kann.« Als müsste Kunst sich nicht die vorgefundene Gewalt zu ihrer Sache machen, als basierte Metzels Ästhetik der Verwüstung nicht auf künstlerisch gekonnter Konstruktion und Dekonstruktion. »112:104« ist ein vom Künstler geschaffenes Basketballfeld, das er in einzelne Segmente zerlegt und diese in einer durchdachten Komposition aufgetürmt hat. Er nahm dabei Bezug auf die sich ineinander schiebenden Eisschollen in Caspar David Friedrichs Gemälde »Das Eismeer« von 1823/24. Metzels Installation ist Referenz und Reverenz zugleich, so wie der Bezugspunkt seiner kalligraphisch anmutenden Aluminiumskulptur »Écriture automatique« (2008) das Wirken des französischen Schriftstellers und Künstlers Henri Michaux ist. Mit »112:104« und »Auf Wiedersehen«, den ebenso stilsicher inszenierten Trümmern einer Zuschauertribüne, thematisiert Metzel die Gewaltausbrüche bei Sportveranstaltungen.
Die post-Pisa-Installation »ichhasseschule« entstand in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern aus München und Duisburg, die mit Schulbänken und -stühlen das anstellen durften, was die Institution Schule ihnen im Alltag bei Strafandrohung verwehrt. In den Fokus gerät der einzelne Klassenraum, in dem Unterricht gegeben wird, sowie der gesellschaftliche Klassenraum von arm bis reich. Ursprünglich war »reiche Eltern für alle« als Titel vorgesehen. »Amok« steht quasi als Motto in großen, schwarzen Buchstaben auf einer rot bemalten Tischplatte. Die übrigen Schulbänke und –sitze sind angekokelt oder mit Grafitti überzogen, die sich inhaltlich jedoch zumeist recht gesittet ausnehmen: »FEERIEN« oder »Mir ist langweilig«. Aber klar doch, auch »ficken«, »Fotze«, »Furz« oder »Keine Macht für niemand« fehlen nicht. Der Duisburger Kulturdezernent Janssen gab sich überzeugt, dass das Metzel’sche Klassenzimmer »original« aussehe.

Der Ausstellungstitel geht auf die Installation »Noch Fragen?« zurück, für die Metzel ein ganzes Arsenal von Baseballschlägern in sandfarbene und grün-braune Camouflage-Stoffbahnen verspannt hat. Ohnehin hat ein Künstler mehr Fragen als Antworten. Die Kuratorenprosa mag noch so sehr einem Schein der Camouflage erliegen und konstatieren, Metzels Arrangement baue »seine Bedrohlichkeit auf leise, geschmackvolle Weise auf«, wo die Herren der militärischen Tarnung walten, auch wenn sie nicht in Khaki oder Olivgrün, sondern im Nadelstreifenanzug auftreten, lauert allemal die Keule.

Olaf Metzel, Noch Fragen?, bis 24. Mai 2010, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Philosophenweg 55, 47051 Duisburg.

Katalog: 144 Seiten, Snoeck Verlagsgesellschaft, 25,00 € (Museumsausgabe)

Drei weitere bildhauerische Arbeiten von Olaf Metzel werden von der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg, präsentiert, darunter dessen Frühwerk »Roter Beton« von 1981, das sich zwischen Skulpturen von Lehmbruck bewähren muss.

A.S.H. | 04.03.10 13:45 | Permalink