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Das Lottel-Feuilleton

Von Jürger Schneider

Unter dem Pseudonym Axel Lottel äußerte sich am Samstag in der »Frankfurter Rundschau« ein »prominenter Literaturkritiker« zum »Hegemann-Komplex« (ZDF). Wer ist Axel Lottel? Und warum verwendet einer ein Pseudonym, um bambiharmlose Zeilen zu verfassen, in denen er, sich offenbar mutig wie sonst niemand wähnend, dafür plädiert, Helene Hegemann den Leipziger Literaturpreis zu verleihen. Helene Hegemann, verantwortlich für den im Ullstein Verlag erschienenen literarischen Remix »Axolotl Roadkill«, versteckt sich hinter keinem Pseudonym. Längst hat sich für sie die nicht mehr kniggegerechte und lange schon beerdigt geglaubte Anrede »Fräulein« durchgesetzt. Der Rückgriff auf eine antiquierte Anredeform gibt sich als »Kritik«. Als sei nicht schon das Hegemann entgegengehaltene Feuilletonbonmot, nur dann dürfe von Literatur die Rede sein, wenn das Werk auf eigenem Erleben im wirklichen Leben gründe, Zeugnis von Geistesferne genug gewesen. Zeugnis derer, die zu keiner lebendigen Erfahrung eines nicht schon Approbierten fähig sind. Da wird, als lebten wir in den miefigen 50er Jahren, mit advokatorischem Gestus geurteilt, Hegemanns Buch sei keine Literatur, sondern Pornographie. Nicht die Kriegshandlungen, die von dieser Gesellschaft getragen werden, gelten jenen Biedermännern als pornographisch, schließlich will man nicht am Diktum rütteln, am Hindukusch werde unsere Freiheit verteidigt. Nein, als »pornographisch« verworfen werden soll ein literarischer Text, in dem das Verb ficken verwendet wird und in dem sich die Romanfiguren mit anderen Drogen als Prosecco die Rübe zuknallen. Auch so will die neue Sittlichkeitsliga offenbar eine Freiheit verteidigt wissen, die nicht die unsere ist.

Was trieb diesen Lottel zum Decknamen? Die Angst, die Kolleginnen und Kollegen vom Meutejournalismus könnten über ihn herfallen? Jene also, die ihren Tag gerne damit verbringen, Pressemitteilungen, Waschzettel und den Flachsinn vermeintlicher Leistungsträger wiederzukäuen, nur um nun Helene Hegemann an den Pranger zu stellen, ihr vorzuwerfen, sie habe abgeschrieben. Ein Vorwurf, der in die ersten überschwänglichen Elogen und Lobeshymnen auf das Hegemann-Buch keinen Eingang fand. Nein, das Erregungspotential, das in dieser Vehemenz absent war, als ein sich selbst jahrzehntelang als Gewissen der Nation stilisierender Schriftsteller mit seiner SS-Vergangenheit reüssieren ging, setzte erst ein, als die Meute bei einem Blogger abschreiben konnte, dass die eben noch als »Fräuleinwunder« gelobte Helene einige Sätze aus dem Buch »Strobo« von Airen entlehnt hat. Abschreiben ist den Abschreibkritikern nicht genug. Also brüstet sich ein Herr Schmitz in der Wochenendausgabe der »Süddeutschen Zeitung«, die sich im Hegemann-Bashing besonders hervortut, als sei ihr Buch nicht auch der Versuch, mit dem Tod der Mutter zurecht zu kommen: »Wenn man sich die Mühe macht, beide Bücher zu vergleichen, entdeckt man Dutzende geklaute Sätze und Passagen.« »Man« will sagen: ich, der Schmitz. Dass man nichts entdeckt hat, hält einen freilich nicht davon ab, nicht nur negativ über Helene Hegemanns Buch zu urteilen, sondern gleich über ihr Umfeld mit. Wir schreiben ab, was Theodor Wiesengrund Adorno vor Jahrzehnten zu einem solchen Verfahren notierte: »Wird negativ geurteilt, so geschieht es eher im Sinne eines autoritären Dekrets als dem des Eindringens in die Sache. Die Ablehnung hat stets noch die Form dessen, was im Jargon des Dritten Reiches ›abschießen‹ hieß.« (Adorno, Zur Krisis der Literaturkritik, in: ders., »Noten zur Literatur«, Gesammelte Schriften 11, S. 662)

Doch jeder Medienhype ist von kurzer Dauer. Die Meute zieht weiter. Haiti? Trümmer von vorgestern. Tocotronic? Wer bitte? Ein kursorischer Blick in die Tageszeitungen der letzten Tage zeigt, dass der Meutejournalismus dem von ihm kreierten »Hegemann-Komplex« nun langsam den Rücken kehrt und sich, wie von einem alien attractor angezogen, geschlossen einer Novelle mit dem Titel »Mein Jenseits« zuwendet. Dieses schmale Werk stammt aus der Feder von Martin Walser. »Leicht, federnd und schlackenlos« sei dieses Büchlein, heißt es in der »Welt«. Und in der »Süddeutschen Zeitung« schreibt Thomas Steinfeld ergriffen, das milde Licht dieses Altersbuches strahle vertrauensvoll auf ein großes Werk zurück. Vor allem vermutlich auf das Walser-Buch »Tod eines Kritikers«. Als groß darf in Deutschland noch immer ein Werk gelten, das von antisemitischen Ressentiments durchsetzt ist. Zum Lobe dessen bedarf es offensichtlich eines Pseudonyms nicht.

A.S.H. | 14.02.10 23:54 | Permalink