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Vor der Sommerpause geht’s nochmal richtig zur Sache.

Diese Woche, Montag:
Merkel hat beim feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr vor dem Reichstagsgebäude am 20. Juli 2009 in Berlin eine Rede gehalten:

„Heute, am 20. Juli vor 65 Jahren, scheiterten das Attentat auf Hitler und damit der mutige Widerstand derer, die entschlossen waren, Unrecht und Terror zu beenden. …
Stauffenbergs Name steht für eine gültige Definition der Grenzen des Gehorsams – nämlich dort, wo heute unser Grundgesetz unveränderliche Grundwerte setzt. Daraus erwächst sein Verdienst. Genau damit begründen Stauffenberg und seine Weggefährten im Widerstand eine der wesentlichen Traditionslinien für die Bundeswehr. Sie sind uns heute Vorbild, Leitbild und Verpflichtung.
Das Attentat scheiterte. Viele derer, die Widerstand leisteten, verloren ihr Leben. Aber ihre Gedanken und ihr Anliegen haben gesiegt. …
Wir müssen unsere gewachsene globale Verantwortung und unsere nationalen Interessen gleichermaßen wahrnehmen. …
… wenn es sein muss, auch weit entfernt von Deutschland. …“ (bundesregierung.de)

Stauffenberg als eine Quelle des Grundgesetzes? Widerstand als wesentliche Traditionslinie der Bundeswehr? Widerständler haben die Bundeswehr aufgebaut, es waren gar nicht die Alt-Nazis? Wenn wir das weiterdenken, geraten wir ja ganz durcheinander.

Stauffenberg also unser „Vorbild, Leitbild und Verpflichtung“?

Stauffenberg trat gleich nach dem Abitur in die Reichswehr ein und machte eine Offizierskarriere, er stand der „Konservativen Revolution“ nahe und setzte schon 1932 auf Hitler. Er beteiligte sich an der militärischen Ausbildung der SA und wurde 1933 zum Leutnant befördert. Dann ging’s unter den Nazis in der Karriere mit Tempo aufwärts: 1936 begann die Generalstabsausbildung, 1938 durfte er an der Besetzung des „Sudetenlandes“, eines Teils der Tschechoslowakei, teilnehmen (manche könnten sagen, er brachte den dort lebenden „Volksdeutschen“ die "Freiheit"). 1939 ist er beim Überfall auf Polen dabei. 1940 geht’s als Generalstabsoffizier gegen Frankreich und es gibt das „Eiserne Kreuz“ . Inzwischen begann er sich jedoch auch einige andere Gedanken zu machen. 1942 dann soll er an den Entwürfen zu Regierungserklärungen für die Zeit nach dem Umsturz beteiligt gewesen sein. Die Wiederherstellung parlamentarischer Demokratie wird darin abgelehnt! (dhm.de)

Man könnte mit Ironie ja ohnehin fragen, wieso Kanzlerin und Co. einem Kreis von Männern huldigen, die mit Bomben und Attentaten gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen wollten, „Terror“ und „Gewalt“ wird doch abgelehnt. Helmuth James Graf von Moltke und seine Mitstreiter von der bürgerlichen Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ erwarteten schließlich auch, daß das „III. Reich“ von innen heraus zusammenbrechen würde und lehnten deshalb Attentate ab.

Was stand denn nun im geplanten Aufruf Stauffenbergs, der nach geglücktem Attentat und Umsturz im Juli 1944 verlesen werden sollte:

„ … Nicht vom deutschen Volke gerufen, sondern durch Intrigen schlimmster Art an die Spitze der Regierung gekommen, hat Hitler durch dämonische Künste und Lügen, durch ungeheuerliche Verschwendung, die allen Vorteile zu bringen schien, in Wahrheit uns aber in Schulden und Mangel stürzte, in unserem Volke Geister und Seelen verwirrt, ja selbst außerhalb Deutschlands verhängnisvolle Täuschung erzeugt. Um sich an der Macht zu halten, hat er eine Schreckensherrschaft errichtet. Unser Volk durfte einst stolz auf seine Redlichkeit und Rechtlichkeit sein. Hitler aber hat die göttlichen Gebote verhöhnt, das Recht zerstört, den Anstand verfemt, das Glück von Millionen vernichtet. Er hat Ehre und Würde, Freiheit und Leben anderer für nichts erachtet. Zahllose Deutsche, aber auch Angehörige anderer Völker, schmachten seit Jahren in Konzentrationslagern, den größten Qualen ausgesetzt und häufig schrecklichen Foltern unterworfen. [...]
In diesem Kriege haben Machtrausch, Selbstüberheblichkeit und Eroberungswahn ihren letzten Ausdruck gefunden. Tapferkeit und Hingabe unserer Soldaten sind schmählich mißbraucht. Ungeheure Opfer des ganzen Volkes sinnlos vergeudet. Wider den Rat der Sachverständigen hat Hitler ganze Armeen seiner Ruhmsucht, seinem Machtdünkel, seiner gotteslästerlichen Wahnidee geopfert, berufenes und begnadetes Werkzeug der Vorsehung zu sein. …“ (bpb.de)

Hans Frank sprach ja auch von der „schrecklichen Leidenszeit unter Adolf Hitler“. Der „Schlächter von Polen“ hätte gerne ebenso seine Verantwortung wegdelegiert, das Gericht auf Erden ließ das jedoch nicht zu, er wurde 1946 in Nürnberg gehängt! Er soll dennoch gebeten haben, Gott möge ihn „gnädig empfangen.“ (wikipedia)

Saul K. Padover kam als us-amerikanischer Nachrichtenoffizier des OSS 1944 nach Europa und zog hinter der amerikanischen Front durch Frankreich, Belgien, schließlich Deutschland und interviewte deutsche Kriegsgefangene und deutsche Bevölkerung, um deren Einstellungen und Verhalten zu beurteilen. Seine Analysen dienten der Unterstützung der amerikanischen Militärverwaltung. Die Berichte faßte er noch 1945 als Buch zusammen, welches dann als „The story of an American intelligence officer“ 1946 in New York und London erschien (erst 1999! in dt. Übersetzung). Darin heißt es:

„Seit zwei Monaten sind wir hier zugange, wir haben mit vielen Menschen gesprochen, wir haben jede Menge Fragen gestellt, und wir haben keinen einzigen Nazi gefunden. Jeder ist ein Nazigegner. Alle Leute sind gegen Hitler. Sie sind schon immer gegen Hitler gewesen. Was heißt das? Es heißt, dass Hitler die Sache ganz allein, ohne Hilfe und Unterstützung irgendeines Deutschen durchgezogen hat. Er hat den Krieg angefangen, er hat ganz Europa erobert, den größten Teil Russlands überrannt, fünf Millionen Juden ermordet, sechs bis acht Millionen Polen und Russen in den Hungertod getrieben, vierhundert Konzentrationslager errichtet, die größte Armee in Europa aufgebaut und dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fahren. Wer das ganz allein schaffen will, muss schon ziemlich gut sein. Ich kenne nur zwei Menschen in der ganzen Welt, die so etwas können. Der andere ist Superman." (Padover, 1999, S. 46)

„Psychologisch gesehen, wollen sich die Deutschen Strafe und moralischer Verantwortung entziehen, indem sie der Welt einen Schuldigen präsentieren, den sie noch vor kurzer Zeit als Halbgott angehimmelt haben. Die meisten Deutschen geben zu, dass sie 1939 den Krieg widerstandslos akzeptiert und die Siege von 1940 mit großer Begeisterung begrüßt haben. Der Krieg brachte Wohlstand und Beute. Hitler wurde als Held verehrt. Zum entscheidenden Bruch kam es mit dem traumatischen Schock von Stalingrad. Sobald die Rote Armee alle Siegeshoffnungen der Wehrmacht begrub, wandte man sich, natürlich passiv, von Hitler ab und begann, die Weisheit seiner Entscheidungen in Zweifel zu ziehen. Die Rote Armee zerstörte nicht nur Hitlers Armeen, sondern auch sein Ansehen. Die Deutschen stellten die militärischen Fähigkeiten des Führers in Frage und schenkten ihr Vertrauen den Generälen. In dieser Neigung, sich vom auserwählten Führer abzuwenden und das Schicksal der Nation anderen Leuten in die Hand zu legen, entdeckt man nicht den Schimmer eigenen Schuldbewusstseins, kein Bewusstsein, dass Krieg an sich verwerflich ist, dass die Deutschen einen falschen Weg eingeschlagen haben. Niemand kritisierte die Aggression als solche. Kritisiert wurde die gescheiterte Aggression. Hitler wird vorgeworfen, den Krieg verloren, und nicht, ihn begonnen zu haben." (Padover, 1999, S. 93 ff.) (fritz-bauer-institut.de)


Dienstag, 21. Juli 2009, die Sommerpause rückt näher,
Merkel eilt zur nächsten Rede, diesen Tag an der Katholischen Akademie München:

„ … „das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit“. Dieses Zitat … erscheint mir insbesondere aus dem Blickwinkel des christlichen Menschenbildes wunderbar.
Das heißt also, die zentrale Rolle des Menschen, … ergibt den Schlüssel für alle Herausforderungen, auch für eine verantwortliche Politik. Das hört sich relativ trivial an. Und doch erfahren wir, dass in vielfältigen Erscheinungen unserer Zeit sehr eigennütziges Streben - nach Geld, Einfluss oder Ansehen - immer wieder zum Schaden anderer und damit zum Schaden anderer Menschen eingesetzt wird. Ich glaube, die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise ist geradezu ein Beispiel für eine tiefe Maßlosigkeit, für Gier, für Exzesse, für die völlig aus der Kontrolle geratene Durchsetzung von Eigeninteressen.
… Für mich ist ganz wichtig, dass ich versuche, mich von dem christlichen Menschenbild leiten zu lassen … Eigenwert und Eigenständigkeit des Menschen werden nicht angetastet - die Würde jedes Menschen ist unantastbar -, aber es ist eben keine Freiheit von allem, es ist keine Beliebigkeit, sondern es ist eine Freiheit zu etwas, eine Freiheit zur Teilhabe, zur Zuwendung zu anderen Menschen. … das tiefe Ringen um den Schutz der Würde des Menschen … Politik aus christlichem Glauben heraus muss sich beschränken. Das empfinde ich in meiner politischen Arbeit als etwas sehr Begütigendes. Wir sind Geschöpfe Gottes und wir sind sozusagen verpflichtet, nicht in staatliche Allmachtsansprüche zu verfallen, sondern unser Werk zu tun … weil die Liebe Gottes gegenwärtig ist und jeden, der in dieser Welt agiert … umfängt. …“ (domradio)

Die Kanzlerin redete noch lange weiter und träumte wohl ein wenig von einer Kanzel, sie redete viel von Demut und Gottvertrauen und anderen Dingen, die uns die Augen fast ein wenig feucht werden ließen.

Was war da noch eine Woche vorher? Die meisten haben die Mediennachricht natürlich längst schon vergessen.
In ihrem politischen Handeln vom christlichen Menschenbild geleitet:

„Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt es kategorisch ab, in der jetzigen Wirtschaftskrise die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. „Wir müssen aufpassen, dass derjenige, der den ganzen Tag arbeitet, zum Schluss mehr Geld hat als wenn er nicht arbeitet“, sagte Merkel in einem von Jugendlichen geführten Interview in der "Welt am Sonntag" zum Thema „Gerechtigkeit kinderleicht“. … „Zum 1. Juli, also vor wenigen Tagen, sind die Sätze gerade angehoben worden …“… Bundeskanzlerin Merkel sagte der "Welt am Sonntag" zum Thema gerechte Verteilung von Einkommen außerdem, sie sehe kein Problem darin, dass manche Manager mehr Geld verdienen als sie als Bundeskanzlerin. „Wenn ich so viel Geld haben wollte wie ein Wirtschaftsmanager, dann müsste ich eben Managerin oder Unternehmerin werden. Aber das reizt mich gar nicht“, so die Kanzlerin. Das Schlimmste, was einem Staat passieren könne, sei, dass keiner mehr Lust habe, etwas Besonderes zu leisten und damit Geld zu verdienen.“ („Oder-ist-euer-Lebenstraum-etwa-Hartz-IV“ , Merkel gegen Hartz-IV-Erhöhung)

„Zum 1. Juli … sind die Sätze gerade angehoben worden“:
Der Hartz IV - Eckregelsatz, d.h. der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene beträgt nun 359 Euro. Das ist eine Anhebung um 8 Euro im Monat!
Was sagte Bundesminister a.D. Lafontaine zu Merkels Erklärung: „Gerade die Bundeskanzlerin trägt durch die Verweigerung des gesetzlichen Mindestlohns Verantwortung dafür, dass in Deutschland Löhne von drei bis vier Euro gezahlt werden und Menschen, die jeden Tag acht Stunden arbeiten, zusätzlich noch Hartz IV beziehen müssen.“ – Merkels "Christliches Menschenbild" und "Schutz der Würde des Menschen".
Inzwischen beziehen schon weit über 1,5 Millionen Menschen, die arbeiten, zusätzlich Hartz IV, weil Manager, „Unternehmer“, also die, die in Deutschland „etwas Besonderes … leisten“, ihnen nur Hungerlöhne zahlen. Wenn es dagegen keinen „Widerstand“ gibt, wird diese Zahl kontinuierlich weiter wachsen.


Immer noch Dienstag,
andere beginnen schon jetzt mit der Produktion von Sommer-Nachrichten:

"Wenn das Verhältnis von Ruhestands- und Erwerbsphase näherungsweise konstant gehalten werden soll, wäre ... bis 2060 eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 Jahre notwendig", schrieb die Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom Juli. (bundesbank.de)

Die Bundesbank rechnet schon mal durch, für den Zeitpunkt in 51 Jahren!
Warum nicht schon mal für das Jahr 2140 durchrechnen?
Lustig ist die einsetzende mediale Empörung!
Vor 2 Jahren wurde noch von „robuster Konjunktur“ palavert, weil die Steuereinnahmen einmal etwas anstiegen. Fast jede/r Politiker/in drängelte sich vor ein Mikrophon um Vorschläge zu machen, was mit den vielen Milliarden, die noch gar nicht da waren, angefangen werden soll: Van der Leyen wollte hunderttausende Kinderbetreuungsplätze einrichten, X und Y wollten Milliarden für Bildung ausgeben, die Rentenkasse auffüllen, das Gesundheitssystem … Steinbrück sah keinen Raum für neue Ausgaben, wollte jedoch in den nächsten Jahren die Neuverschuldung auf Null senken und die Altschulden (inzwischen über 1,5 Billionen) beginnen abzutragen usw. usf. Merkel fühlte: Der Aufschwung kommt beim Volke an.
Ein Jahr später schon war klar: Natürlich alles nur eine Theatervorstellung, die können nicht um eine Ecke denken, die, die es können, wollen nicht oder dürfen nicht. Ganz plötzlich hat sich das Wirtschaftswachstum erst halbiert, war die nicht vorhersehbare größte Krise seit 60 Jahren da, ab ging’s – auf Talfahrt.


Wir können nicht sagen, daß die Zeit von September bis Juni eine von Blödheit freie Zeit ist, aber im Sommer gibt es „gefühlt“ eine deutliche Haufenbildung.

Schon am Mittwoch dieser Woche dann folgende Meldung:

„Mittwoch, 22. Juli 2009 11:00 Uhr Schavan: Forscher sollen an Schulen unterrichten
Bundesbildungsministerin Schavan fordert, Wissenschaftler aus Universitäten und Forschungseinrichtungen an die Schulen zu holen. … Der Philologenverband hatte zu Wochenbeginn vorhergesagt, im nächsten Schuljahr würden 30 bis 40.000 Lehrer in Deutschland fehlen.“ (dradio)
Schavan: „Es gibt in Deutschland nicht mehr genügend Interesse am Lehrerberuf…“ . Wir: Ach so!?


Wir sind erst beim Mittwoch, aber uns reicht es schon.

Und?
Natürlich werden sie alle im September zur Bundestagswahl wiedergewählt. Weil das Gros der Wählerinnen und Wähler auch noch nicht schlauer geworden ist.


david | 25.07.09 22:08 | Permalink