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Oh Yeah: Die »Belfast Music Exhibition«

von Jürgen Schneider

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›Alternative Ulster‹ hieß nicht nur ein nordirisches Fanzine, sondern auch ein bekannter Song der Belfaster Punkband Stiff Little Fingers. Dieser beginnt mit der Klage: »Nothin’ for us in Belfast ...«. Als der Song 1979 auf der LP »Inflammable Material« erschien, herrschte in Belfast Krieg, war die Stadt eine kulturelle Wüstenei, dominierten Armee und Polizei: »You got the Army on the street / And the RUC dog of repression / Is barking at your feet...« Die britischen Soldaten sind im Rahmen des Friedensprozesses, der bislang kein alternatives Nordirland gebracht hat, das mit Stiff Little Fingers’ »free, free, free« charakterisiert wäre, in die Kasernen verbannt worden, können aber jederzeit wieder auf die Straßen abkommandiert werden. Die nordirische Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC) wurde umgetauft, heißt Police Service of Northern Ireland (PSNI) und agiert im Konfliktfall wie eh und je. Das zeigte sich jüngst, als Jugendliche, die nicht von der »Friedensdividende« profitieren, in dem von Katholiken bewohnten und von protestantischen Wohnvierteln umgebenen Belfaster Wohnviertel Ardoyne gegen die Aufmärsche des Oranierordens, der eine protestantische klassenübergreifende Glaubens- und Schicksalsgemeinschaft ist, ihre Wut zum Ausdruck brachten.

Jenseits der fortwährenden extrem ideologisierten Spannungsbeziehung zwischen dem unionistisch-protestantischen und dem nationalistisch-katholischen Bevölkerungsteil, die als »Sectarianism« bezeichnet wird, sind jedoch Projekte entstanden, deren Initiatoren die Aufforderung der Stiff Little Fingers ernst nehmen: »Grab it change it's yours / Get an Alternative Ulster / Ignore the bores, their laws ...« Eines dieser Projekte ist das 2007 eröffnete Belfaster Oh Yeah Music Centre.

Weihnachten 2005 hatten sich der Belfaster Musikjournalist Stuart Bailie, der zehn Jahre lang in London für den »New Musical Express« und als Pressesprecher für Warner Brothers gearbeitet hatte, und Musiker der nordirisch-schottischen Indie-Rockband Snow Patrol getroffen und waren sich bei vielen Bieren schnell einig geworden, dass Belfast eine Musikzentrum als Spielstätte für Rockbands sowie zur Förderung des Nachwuchses braucht. Auf eine Initiative des behäbigen und in traditionellen Bahnen und Klüngeln werkelnden Arts Council würde ewig zu warten sein.

Ein geeignetes Haus fanden Gary Lightbody von Snow Patrol und Stuart Bailie in der Gordon Street – ein ehemaliges Lagerhaus der Whiskeydestille Bushmills. Snow Patrol sorgte für die Anschubfinanzierung, und Stuart Bailie übernahm die provisorische Leitung des Zentrums. Nach zweieinhalb Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit hat er nun einen Dreijahresvertrag , eine Stiftung zahlt sein Gehalt. Zwei Mitarbeiter werden in einer Art Wiedereingliederungsmaßnahme aus öffentlichen Geldern entlohnt.

Das Oh Yeah Music Centre verfügt nicht nur über einen großen Veranstaltungsraum, sondern auch über Proberäume, die von der Joe Strummer Foundation for New Music (kurz: Strummerville) eingerichtet und mit Texten des einstigen Frontmannes von The Clash sowie mit Clash-Memorabilia dekoriert wurden. Ein Aufnahmestudio sowie ein Café gibt es in dem Zentrum ebenfalls. Als zusätzliche Attraktion zeigt das Zentrum eine Dauerausstellung, die »Belfast Music Exhibition«, mit der die Entwicklung der Belfaster Musikszene seit den 1950er Jahren bis heute nachgezeichnet wird, mit Exponaten aus Stuart Bailies Privatsammlung sowie mit Leihgaben von Musikern. Präsentiert werden Solisten und Bands, die in den Medien gemeinhin als »britisch« geführt werden, häufig unter Weglassung eines Hinweises auf ihre nordirische Herkunft.

Betritt man den Ausstellungsraum, wird man von dem Bild eines gütig lächelnden Terri Hooley begrüßt. Als Belfast in den 1970er Jahren eine kulturelle Wüstenei war, organisierte Hooley in Belfaster Spelunken Punkkonzerte und gründete sein Label Good Vibrations, auf dem unter anderem der Song ›Teenage Kicks‹ von den Undertones aus Derry erschien. Sein Plattenladen, der ebenfalls Good Vibrations hieß, war »der« Treffpunkt der Belfaster Punkszene, die sich über alle nordirischen Trennlinien hinwegsetzte und in der es egal war, ob einer ›Kafflik‹ (Katholik) oder ›Prod‹ (Protestant) war. Bailie nennt Hooley denn auch den »Schutzpatron« des Oh Yeah Music Centres. In Vitrinen finden sich Platten, Plakate und Fanzines der Punkbands seligen Angedenkens: The Undertones, Moondogs, Outcasts, Rudi, Ruefrex, Protex, Tear Jerkers und The Bankrobbers. Letztere hatten einst die Staatsgewalt auf den Plan gerufen, weil sie 15-Pfund-Noten in Umlauf gebracht hatten. Es bleibt Joe Strummer vorbehalten, auf einer Schrifttafel die Bedeutung des Punk für Belfast abschließend zu würdigen: »War Punk hart, war Ulster härter. War Punk Chaos, war Ulster Kriegsgebiet. Punk war der perfekte Soundtrack für die verwüsteten Städte.« Terri Hooley hat in seinem neuen Plattenladen in der Winetavern Street einen Raum mit den Scheiben »seiner« Punkbands dekoriert.

Lange vor dem Drei-Akkorde-Krach der Punks hatte es 1964 die Rythm & Blues-Combo Them im Maritime Hotel an Belfasts College Square North in wenigen Wochen zu Berühmtheit gebracht. Dieser Band sowie dessen Mitglied, dem späteren Solomusiker Van Morrison, der seine ersten musikalischen Erfolge mit der Band Georgie and the International Monarchs in US-amerikanischen GI-Clubs in Heidelberg und Frankfurt feierte, ist eine weitere Vitrine gewidmet. Und in dieser ist zurecht dem1968 von »Van the Man« in nur zwei Tagen in New York aufgenommenen frühen Meisterwerk »Astral Weeks« ein zentraler Platz eingeräumt worden.

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Gewürdigt wird auch der einzige Musiker von der Grünen Insel, der in Woodstock dabei war – Henry McCullough. Der Gitarrist hatte beim Hippie-Festival Joe Cocker begleitet. David Holmes schaffte es ebenfalls von Belfast in die USA, wo der DJ nach den Erfolgen seiner Scheiben »this films crap lets slash the seats« und »lets get killed« in Hollywood mit Steven Soderbergh zusammenarbeitete und für den Soundtrack zu den Filmen »Out of Sight«, »Ocean’s Eleven«, »Ocean’s Twelve« und »Ocean’s Thirteen« sorgte. Auch die Rockband Therapy?, die 1994 mit ihrer LP »Troublegum« international bekannt wurde, ist mit Exponaten vertreten.

Um dem Eindruck entgegen zu wirken, die Belfaster Musikszene sei ein »exclusive boys club«, wurde den »Female Voices« der ihnen gebührende Platz eingeräumt, exemplifiziert am Erfolg der Sängerin Ruby Murray, der im März 1955 das Kunststück gelang, gleichzeitig fünf Singles in den britischen Top 20 zu platzieren, darunter ihren Nummer-Eins-Hit ›Softly, Softly‹.

Zu einem beliebten Event hat sich die von Stuart Bailie moderierte sonntägliche »Belfast Music Tour« entwickelt, die unter anderem zu den Orten führt, die Van Morrison inspirierten, sowie zu den Stätten, die mit den Namen der zu Gastspielen in Nordirlands Kapitale weilenden Bands verbunden sind, wie etwa Led Zeppelin, The Clash und U2. Die Tour beginnt jeweils um 14 Uhr mit einer Besichtigung der jüngst renovierten Ulster Hall in der Bedford Street, in dem das Ulster Orchestra beheimatet ist. Vor der Ulster Hall erlebte im Dezember 1977 die nordirische Punkbewegung ihre Feuertaufe, als ein Konzert von The Clash kurzfristig abgesagt wurde und die Absage eine Straßenschlacht zwischen Punks und den Cops der Royal Ulster Constabulary zur Folge hatte.

A.S.H. | 31.07.09 12:15 | Permalink