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Nordirland: Polizei setzt sich über Richterbeschluss hinweg

von Jürgen Schneider

Nach der Anklageerhebung gegen einen 17-Jährigen wegen des Mordes an dem Polizisten Stephen Carroll (s. Artikel vom 24.03.09) hat ein nordirisches Gericht unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen nun auch Brendan McConville des Mordes angeklagt. Der 37-Jährige war von 1993 bis 1997 für Sinn Féin Stadtrat von Craigavon. Danach trat er aus der Partei aus, weil er mit deren im Rahmen des nordirischen Friedensprozesses gemachten Zugeständnissen nicht einverstanden war. Gegen einen Dritten im Zusammenhang mit der Erschießung des Polizisten Festgenommenen soll heute Anklage wegen des Zurückhaltens von Informationen erhoben werden.

Die gestrige Verhandlung über die Beschwerde von sechs weiteren Festgenommenen wegen der Fortdauer ihres Gewahrsams endete vor dem Belfaster High Court allerdings mit der Richterentscheidung, sie müssten umgehend auf freien Fuß gesetzt werden, da bei der Verlängerung ihres Gewahrsams nicht geprüft wurde, ob ihre Festnahme rechtmäßig gewesen sei. Die Anwälte der sechs hatten vorgetragen, die Richterin habe nicht begründet, warum sie es als notwendig erachtete, die Beschuldigten in Gewahrsam zu halten, während auf den Abschluss der forensischen Untersuchungen gewartet werden musste.

In dem richterlichen Beschluss, die Festgenommen auf freien Fuß zu setzen, heißt es, deren Verhöre seien innerhalb der nach den anfänglichen 48 Stunden Gewahrsam beschlossenen Verlängerung der Inhaftierung um fünf Tage ebenso abgeschlossen worden wie die meisten forensischen Untersuchungen und Analysen. Dabei habe sich keinerlei Beweis ergeben, der auf eine Beteiligung der Beschuldigten an der Erschießung von zwei britischen Soldaten vor der Massareene-Kaserne in der Grafschaft Antrim bzw. des Polizisten Stephen Carroll in Craigavon hinweisen würde.1 Weiter heißt es in dem Beschluss: »Der Richter wurde informiert, dass die Festnahmen von D, Colin Duffy und D 2 auf geheimdienstlichen Informationen beruhten, während die Festnahme von D 2 sowohl auf Beweis und Information beruhte.«

Nach dem Richterspruch wurden alle sechs Festgenommen auf freien Fuß gesetzt, der 42-jährige Colin Duffy jedoch, der einzige, dessen Name nicht anonym blieb, vom Police Service of Northern Ireland (PSNI) sofort wieder festgenommen.

Duffy hatte 2007 Sinn Féin den Rücken gekehrt, weil er mit der Entscheidung der Partei, die nordirische Polizei zu unterstützen, nicht einverstanden war. Als Mitglied der sozialistischen Organisation éirígí hatte er gegen die unter den britischen Antiterrorgesetzen geplante Ausweitung der Gewahrsamsdauer auf 42 Tage, ohne dass Anklage erhoben werden müsste, protestiert.

Seit 1990 hatte die nordirische Polizei, die damals nach Royal Ulster Constabulary (RUC) hieß, wiederholt versucht, Colin Duffy etwas anzuhängen.1990 wurde er beschuldigt, im Besitz von 10 Patronen gewesen zu sein. Als er gegen Kaution freigelassen wurde und das Polizeirevier gemeinsam mit zwei weiteren Beschuldigten verließ, eröffneten Mitglieder der loyalistischen Terrorgang Ulster Volunteer Force das Feuer auf die drei. Colin Duffy überlebte den Mordanschlag, sein Mitbeschuldigter Sean Marshall wurde getötet.

1996 wurde Duffy nach drei Jahren Haft von einem Berufungsgericht freigesprochen. Er war wegen des Mordes an einem Ex-Soldaten verurteilt worden. Das Urteil wurde verworfen, weil der maßgebliche Belastungszeuge sich als Mitglied einer loyalistischen Terrororganisation erwies. 1997 wurde Duffy wegen des Vorwurfes , er habe zwei RUC-Polizisten erschossen, drei Monate lange inhaftiert. Der Vorwurf erwies sich als völlig haltlos. Duffys damalige Rechtsanwältin Rosemary Nelson wurde von einem loyalistischen Killerkommando erschossen.

Unter der Überschrift ›Leiden unter staatlicher Unterdrückung‹ berichtete Sinn Féins Zentralorgan »An Phoblacht/Republican News« am 18. Dezember 1997 über den täglichen Terror, dem Colin Duffy an seinem Wohnort Lurgan ausgesetzt war. Klickt man heute die Website von Sinn Féin an, findet sich zu dem Vorgehen der nordirischen Polizei gegenüber Colin Duffy kein Wort, sondern nur der Hinweis, man werde auf ein baldiges Treffen mit dem PSNI drängen, um über den Polizeigewahrsam in Antrim zu reden, der offenbar nicht dem höchsten Standard der Menschenrechte entspreche.


1) http://www.courtsni.gov.uk/NR/rdonlyres/ABB0936D-8B5D-40E4-9FF2-234271B82122/0/j_j_KER7462Final.htm

A.S.H. | 26.03.09 15:06 | Permalink