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Die Meute heult auf

Diesmal war es der Erwin, der nicht die verordnete Sicht auf DDR-Geschichte teilte, und deshalb von den Medien und Politikern angegriffen wird. Im 20. Jahr nach 1989 soll keiner anders denken, als von den sich-selbst-gleichgeschalteten Medien, einer Mehrheit der Politiker und den Berufs-„DDR-Bürgerrechtlern“ vorgegeben.
Was hat er denn nun gesagt, der Erwin Sellering, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident von der SPD? Einen Auszug aus dem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung finden wir bei faz.net.
Die, die gesellschaftliche Komplexität nicht erfassen können und die, die es können oder könnten, aber dennoch aus politischen Gründen die Reduktion auf Schwarz- und Weißmalerei betreiben, sollten sich fragen lassen: Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen einem „totalen Unrechtsstaat“ und einem „Unrechtsstaat“? Meinte Sellering eigentlich den „totalitären Unrechtsstaat“ als er vom „totalen Unrechtsstaat“ sprach? Das Adjektiv „vergißt“ ja ein Großteil der Meute im Umgang mit ihrem Objekt, so funktioniert Agitation und Propaganda. Was eigentlich ist ein „Unrechtsstaat“, außer einem Kampfbegriff, nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern in der Auseinandersetzung um den Blick auf Geschichte? An der Definition könnten sich die Geiferer dieses Jahres doch versuchen, die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben „eine wissenschaftlich haltbare Definition des Begriffs ‚Unrechtsstaat‘ “ einfach nicht finden oder erfinden können. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sollen „die Abgeordneten bei ihrer politischen Arbeit … unterstützen“, indem sie auf zwei Seiten Wissen als Fachinformation, Analyse oder gutachterliche Stellungnahme zusammenfassen, da offensichtlich angenommen wird, das Lesen nicht zu den Stärken der meisten Abgeordneten gehört. Manchem Abgeordneten wird so auf zwei Seiten in einfachen Worten versucht ein Gesetz zu erklären, was dieser selbst durch sein Abstimmverhalten in Kraft setzte, aber bisher gar nicht kapiert hatte (z.B.: http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2008/abgeltungsteuer.pdf).
Das wäre mal eine interessante Studie, die ausmacht, wer ein Wort gebiert oder produziert und wie es sich dann in die Sprach- und damit Denkmuster implementiert, und aus welchen Gründen das auch scheitern kann. Z.B.: „ … die Enteignung darf nur das allerletzte Mittel …“, zigTausende plapperten plötzlich diesen Satz – faszinierend, als hätte ihnen jemand das eigenständige Denken abgeschaltet oder vom parteiunabhängigen Parteitag eine Argumentationshilfe in die Hand gedrückt, an die sich alle bis heute halten müssen. Der Versuch, den Begriff „Enteignung“ durch den Begriff „Rettungsübernahme“ zu ersetzen, scheiterte jedoch. Das mit dem „Unrechtsstaat“ hat auch noch nicht so richtig geklappt, deshalb bedarf es noch unzähliger Wiederholungen!

david | 23.03.09 23:47 | Permalink