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Notwendiger Wandel?

Die Probleme des neuen US-Präsidenten

Von Sebastian Gerhardt

Wer immer daran gezweifelt hat, daß die bürgerlichen Demokratie mehr sein könnte, als ein schöner Kampfbegriff, der sollte sich in den USA von heute umschauen: Nach 8 Jahren der Regierung Bush ist eine Ablösung des Führungspersonals auf strikt verfassungsgemäßen Wege gelungen. Gerade weil er einen Wechsel nicht nur verspricht, sondern seine Wahl schon einen unübersehbarer Wandel darstellt, ist Barack Obama zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei und nun zum US-Präsidenten gewählt worden. Eine ganz andere Frage ist, ob er die Hoffnungen erfüllen kann, die sich mit dieser Wahl verbinden.

Der um sich greifenden Obamamanie ist der New Yorker Marxist Doug Henwood schon im Frühjahr mit einigen deutlichen Worten begegnet. Wie es in euphorischen Situationen – "Wer nicht für uns ist!" – zu geschehen pflegt, wurde sein Kommentar heftig mißverstanden. Nach dem Wahltag hat sich Henwood als Obamawähler geoutet. Um aber jetzt nicht wieder –.andersherum – mißverstanden zu werden, kramte Henwood seinen Kommentar vom März noch einmal heraus, worin es heißt:

"Genug der Kritik; die Dialektik braucht auch Positives, um eine Bewegung vorwärts anzuschubsen. Zweifellos enthält die Obamaeuphorie ein phantastisches Verlangen nach einer besseren Welt – friedlicher, egalitärer und menschlicher. Er wird wenig davon bieten können – aber es ist ein Beweis für eine wichtige, weit verbreitete Sehnsucht in dieser Schwärmerei. Und die Leute werden unweigerlich enttäuscht werden.

Dieses Blatt (der Left Business Observer) hat seit Jahren vertreten, daß ein immenses politisches Potential in einer öffentlichen Enttäuschung über die Demokraten liegt. ... In den fünfziger Jahren dachten die linksliberalen Intellektuellen, die nationale Malaise wäre die Schuld von Eisenhower, und ein Demokrat würde es richten. Dann kam John F Kennedy und es wurde schlimmer – was den Anstoß zu den Rebellionen der sechziger gab, bis zu all jenen Exzessen, die Obama heute vergessen machen will. Man könnte sagen, die Bewegungen der neunziger bis zum Höhepunkt in Seattle waren eine kleine Wiederholung dieses Musters. Die Wahrnehmung der Krise und der Entfremdung ist heute weit stärker als vor fünfzig Jahren, und schließt heute viel mehr von der Arbeiterklasse ein, angekotzt von den steigenden Lebenshaltungskosten und der Art, wie die Reichen uns alles überhelfen.

Nie eröffnete die Möglichkeit der Enttäuschung so viel Hoffnung. Das ist nicht genau das, was der Kandidat mit dem Wort meint – aber die Geschichte kann sehr ironisch sein."

Die aktuellen Nachrichten lassen wenig Zweifel daran, wer die Last der Krise in den USA tragen wird: Mit den Autokonzernen stehen wesentliche Teile der verarbeitenden Industrie vor einer ungewissen Zukunft. Die Arbeitslosenzahlen steigen weiter- im Oktober auf offizielle . Die Latinos sind schon heute so stark von der Krise getroffen, daß die Ländern südlich des Rio Grande über die ausbleibenden Überweisungen ihrer Landsleute aus den USA klagen. Dafür ist auf den Finanzmärkten zumindest die heftige Zuspitzung der Krise seit Mitte September ersteinmal überwunden. Zwar treibt das Finanzministerium in dieser Übergangszeit regelmäßig neue Säue durchs Dorf, und ohne eine vorsichtige Vermeidung eines neuen Bankrotts – etwa des Versicherers A.I.G. – könnte die Not der Banker morgen schon wieder groß sein. Aber die großen Riskoaufschläge am Markt für kurzfristige Schuldpapiere haben abgenommen, wenn sich auch noch nicht auf das Niveau vor der Lehmann Brothers Pleite zurückgegangen sind.
Diagramm Zinsspread

Und auch das Geschäftsvolumen nimmt auf diesem, für die Liquidität des US-Wirtschaft entscheidenden Markt wieder etwas zu – auch wenn immer noch gut 200 Milliarden zum Niveau der ersten acht Monate dieses Jahres fehlen:
Diagramm Commercial Paper

Damit sind aber nur die dringendsten Voraussetzungen geschaffen, um künftig mit der Auflösung der Immobilienblase und den damit verbunden Fehlinvestitionen im Bausektor einerseits, der Verminderung des US-Außenhandelsdefizites andererseits langsam beginnen zu können. Wie das neue Akkumulationsmodell der USA dann aussehen wird, weiß auch der neue US-Präsident nicht. Vorsorglich hat er aber in seiner Siegesrede in der Nacht zum 5. November schon künftige Widersprüche angedeutet: Nicht immer werde er so entscheiden können, wie viele seiner Wähler es erwarten. Aber er will ihnen gut zuhören. So fängt der versprochene Wandel in den USA schon einmal im Verhältnis zwischen dem gewählten Präsidenten und seiner Wählerschaft an. Seine Wähler haben ihre wichtigste Entscheidung hinter sich – für Barack Obama hat die Zeit der Entscheidungen gerade erst begonnen.

Sebastian Gerhardt | 13.11.08 01:54 | Permalink

Kommentare

Abseits von allen aktuellen Problemen würde ich sagen, dass Obamas großer Vorteil in seiner Art der Kommunikation liegt. Man lese mal das Buch hinter von-der-botschaft-zur-bewegung.de und bilde sich weiter, was so seine Kernstrategien im Wahlkampf waren, dann kommt man zu dem Schluss, dass es sich hier in erster Linie um eine Frage des Wandels in der Art der Politik dreht, nicht um irgendwelche inhaltlichen Anpassungen.

Verfasst von: Piet Wurm | 13.11.08 10:16

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